äußerte, so war er nichts desto weniger doch ein dem hellenischen Leben selbst grundverderblicher Irrthum. Als der Hellene aus der geschlechtlich nationalen Urge¬ meinschaft sich losgelöst, als er das unwillkürlich ihr ent¬ nommene Maß schönen Lebens verloren hatte, vermochte dieses nothwendige Maß sich nirgends ihm aus einer rich¬ tigen Anschauung der Natur zu ersetzen. Er hatte unbe¬ wußt in der Natur gerade nur so lange eine bindende, umfassende Nothwendigkeit erblickt, als diese Nothwendig¬ keit als eine im gemeinsamen Leben bedingte ihm selbst zum Bewußtsein kam: löste dieses sich in seine egoistischen Atome auf, beherrschte ihn nur die Willkür seines mit der Gemeinsamkeit nicht mehr zusammenhängenden Eigenwil¬ lens oder endlich eine, aus dieser allgemeinen Willkür Kraft gewinnende, wiederum willkürliche äußere Macht, -- so fehlte bei seiner mangelnden Erkenntniß der Natur, welche er nun eben so willkürlich wähnte als sich selbst und die ihn beherrschende weltliche Macht, das sichere Maß, nach dem er sein Wesen wiederum hätte erkennen können, und das sie, zu deren größtem Heile, den Men¬ schen darbietet, die in ihr die Nothwendigkeit ihres Wesens und ihre nur im weitesten, allumfassendsten Zusammen¬ hange alles Einzelnen wirkende, ewig zeugende Kraft er¬ kennen. Keinem anderen, als diesem Irrthume sind die ungeheuerlichsten Ausschweifungen des griechischen Geistes
äußerte, ſo war er nichts deſto weniger doch ein dem helleniſchen Leben ſelbſt grundverderblicher Irrthum. Als der Hellene aus der geſchlechtlich nationalen Urge¬ meinſchaft ſich losgelöſt, als er das unwillkürlich ihr ent¬ nommene Maß ſchönen Lebens verloren hatte, vermochte dieſes nothwendige Maß ſich nirgends ihm aus einer rich¬ tigen Anſchauung der Natur zu erſetzen. Er hatte unbe¬ wußt in der Natur gerade nur ſo lange eine bindende, umfaſſende Nothwendigkeit erblickt, als dieſe Nothwendig¬ keit als eine im gemeinſamen Leben bedingte ihm ſelbſt zum Bewußtſein kam: löſte dieſes ſich in ſeine egoiſtiſchen Atome auf, beherrſchte ihn nur die Willkür ſeines mit der Gemeinſamkeit nicht mehr zuſammenhängenden Eigenwil¬ lens oder endlich eine, aus dieſer allgemeinen Willkür Kraft gewinnende, wiederum willkürliche äußere Macht, — ſo fehlte bei ſeiner mangelnden Erkenntniß der Natur, welche er nun eben ſo willkürlich wähnte als ſich ſelbſt und die ihn beherrſchende weltliche Macht, das ſichere Maß, nach dem er ſein Weſen wiederum hätte erkennen können, und das ſie, zu deren größtem Heile, den Men¬ ſchen darbietet, die in ihr die Nothwendigkeit ihres Weſens und ihre nur im weiteſten, allumfaſſendſten Zuſammen¬ hange alles Einzelnen wirkende, ewig zeugende Kraft er¬ kennen. Keinem anderen, als dieſem Irrthume ſind die ungeheuerlichſten Ausſchweifungen des griechiſchen Geiſtes
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äußerte, ſo war er nichts deſto weniger doch ein dem
helleniſchen Leben ſelbſt grundverderblicher Irrthum.
Als der Hellene aus der geſchlechtlich nationalen Urge¬
meinſchaft ſich losgelöſt, als er das unwillkürlich ihr ent¬
nommene Maß ſchönen Lebens verloren hatte, vermochte
dieſes nothwendige Maß ſich nirgends ihm aus einer rich¬
tigen Anſchauung der Natur zu erſetzen. Er hatte unbe¬
wußt in der Natur gerade nur ſo lange eine bindende,
umfaſſende Nothwendigkeit erblickt, als dieſe Nothwendig¬
keit als eine im gemeinſamen Leben bedingte ihm ſelbſt
zum Bewußtſein kam: löſte dieſes ſich in ſeine egoiſtiſchen
Atome auf, beherrſchte ihn nur die Willkür ſeines mit der
Gemeinſamkeit nicht mehr zuſammenhängenden Eigenwil¬
lens oder endlich eine, aus dieſer allgemeinen Willkür
Kraft gewinnende, wiederum willkürliche äußere Macht, —
ſo fehlte bei ſeiner mangelnden Erkenntniß der Natur,
welche er nun eben ſo willkürlich wähnte als ſich ſelbſt
und die ihn beherrſchende weltliche Macht, das ſichere
Maß, nach dem er ſein Weſen wiederum hätte erkennen
können, und das ſie, zu deren größtem Heile, den Men¬
ſchen darbietet, die in ihr die Nothwendigkeit ihres Weſens
und ihre nur im weiteſten, allumfaſſendſten Zuſammen¬
hange alles Einzelnen wirkende, ewig zeugende Kraft er¬
kennen. Keinem anderen, als dieſem Irrthume ſind die
ungeheuerlichſten Ausſchweifungen des griechiſchen Geiſtes
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/193>, abgerufen am 23.07.2024.
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