Auge, als der Grieche seinem eigenthümlichen Geiste nach überhaupt sie je zu erfassen geneigt war. Die Natur war dem Griechen eben nur der ferne Hintergrund des Menschen: weit im Vordergrunde stand der Mensch selbst, und die Göt¬ ter, denen er die bewegende Naturmacht zusprach, waren eben menschliche Götter. Allem, was er in der Natur ersah, suchte er menschliche Gestalt und menschliches Wesen anzubilden, und als vermenschlicht hatte die Natur für ihn gerade den unendlichen Reiz, in dessen Genuß seinem Schönheitssinne es unmöglich war, sie, wie vom Stand¬ punkte jüdisch modernen Utilismus aus, sich nur als einen roh sinnlich genießbaren Gegenstand zu eigen zu machen. Dennoch nährte er diese schöne Selbstbeziehung zur Natur nur durch einen unwillkürlichen Irrthum: bei seiner Ver¬ menschlichung der Natur legte er ihr auch menschliche Motive unter, die, als in der Natur wirkend, nothwendig dem wahren Wesen der Natur gegenüber gehalten, nur willkürlich gedacht werden konnten. Wie der Mensch, sei¬ nem besonderen Wesen nach, im Leben und in seinem Ver¬ hältniß zur Natur aus Nothwendigkeit handelt, entstellt er sich unwillkürlich in seiner Vorstellung das Wesen der Natur, wenn er sie nach menschlicher Nothwendigkeit, nicht nach der ihrigen, gebahrend sich denkt. Sprach dieser Irrthum bei den Griechen sich schön aus, wie er bei andern, namentlich asiatischen, Völkern sich meist häßlich
Auge, als der Grieche ſeinem eigenthümlichen Geiſte nach überhaupt ſie je zu erfaſſen geneigt war. Die Natur war dem Griechen eben nur der ferne Hintergrund des Menſchen: weit im Vordergrunde ſtand der Menſch ſelbſt, und die Göt¬ ter, denen er die bewegende Naturmacht zuſprach, waren eben menſchliche Götter. Allem, was er in der Natur erſah, ſuchte er menſchliche Geſtalt und menſchliches Weſen anzubilden, und als vermenſchlicht hatte die Natur für ihn gerade den unendlichen Reiz, in deſſen Genuß ſeinem Schönheitsſinne es unmöglich war, ſie, wie vom Stand¬ punkte jüdiſch modernen Utilismus aus, ſich nur als einen roh ſinnlich genießbaren Gegenſtand zu eigen zu machen. Dennoch nährte er dieſe ſchöne Selbſtbeziehung zur Natur nur durch einen unwillkürlichen Irrthum: bei ſeiner Ver¬ menſchlichung der Natur legte er ihr auch menſchliche Motive unter, die, als in der Natur wirkend, nothwendig dem wahren Weſen der Natur gegenüber gehalten, nur willkürlich gedacht werden konnten. Wie der Menſch, ſei¬ nem beſonderen Weſen nach, im Leben und in ſeinem Ver¬ hältniß zur Natur aus Nothwendigkeit handelt, entſtellt er ſich unwillkürlich in ſeiner Vorſtellung das Weſen der Natur, wenn er ſie nach menſchlicher Nothwendigkeit, nicht nach der ihrigen, gebahrend ſich denkt. Sprach dieſer Irrthum bei den Griechen ſich ſchön aus, wie er bei andern, namentlich aſiatiſchen, Völkern ſich meiſt häßlich
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Auge, als der Grieche ſeinem eigenthümlichen Geiſte nach
überhaupt ſie je zu erfaſſen geneigt war. Die Natur war dem
Griechen eben nur der ferne Hintergrund des Menſchen: weit
im Vordergrunde ſtand der Menſch ſelbſt, und die Göt¬
ter, denen er die bewegende Naturmacht zuſprach, waren
eben menſchliche Götter. Allem, was er in der Natur
erſah, ſuchte er menſchliche Geſtalt und menſchliches Weſen
anzubilden, und als vermenſchlicht hatte die Natur für
ihn gerade den unendlichen Reiz, in deſſen Genuß ſeinem
Schönheitsſinne es unmöglich war, ſie, wie vom Stand¬
punkte jüdiſch modernen Utilismus aus, ſich nur als einen
roh ſinnlich genießbaren Gegenſtand zu eigen zu machen.
Dennoch nährte er dieſe ſchöne Selbſtbeziehung zur Natur
nur durch einen unwillkürlichen Irrthum: bei ſeiner Ver¬
menſchlichung der Natur legte er ihr auch menſchliche
Motive unter, die, als in der Natur wirkend, nothwendig
dem wahren Weſen der Natur gegenüber gehalten, nur
willkürlich gedacht werden konnten. Wie der Menſch, ſei¬
nem beſonderen Weſen nach, im Leben und in ſeinem Ver¬
hältniß zur Natur aus Nothwendigkeit handelt, entſtellt
er ſich unwillkürlich in ſeiner Vorſtellung das Weſen der
Natur, wenn er ſie nach menſchlicher Nothwendigkeit,
nicht nach der ihrigen, gebahrend ſich denkt. Sprach
dieſer Irrthum bei den Griechen ſich ſchön aus, wie er bei
andern, namentlich aſiatiſchen, Völkern ſich meiſt häßlich
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/192>, abgerufen am 23.07.2024.
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