Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Auge, als der Grieche seinem eigenthümlichen Geiste nach Auge, als der Grieche ſeinem eigenthümlichen Geiſte nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0192" n="176"/> Auge, als der Grieche ſeinem eigenthümlichen Geiſte nach<lb/><choice><sic>überhanpt</sic><corr>überhaupt</corr></choice> ſie je zu erfaſſen geneigt war. Die <hi rendition="#g">Natur</hi> war dem<lb/> Griechen eben nur der ferne Hintergrund des Menſchen: weit<lb/> im Vordergrunde ſtand der <hi rendition="#g">Menſch</hi> ſelbſt, und die Göt¬<lb/> ter, denen er die bewegende Naturmacht zuſprach, waren<lb/> eben menſchliche Götter. Allem, was er in der Natur<lb/> erſah, ſuchte er menſchliche Geſtalt und menſchliches Weſen<lb/> anzubilden, und als vermenſchlicht hatte die Natur für<lb/> ihn gerade den unendlichen Reiz, in deſſen Genuß ſeinem<lb/> Schönheitsſinne es unmöglich war, ſie, wie vom Stand¬<lb/> punkte jüdiſch modernen Utilismus aus, ſich nur als einen<lb/> roh ſinnlich genießbaren Gegenſtand zu eigen zu machen.<lb/> Dennoch nährte er dieſe ſchöne Selbſtbeziehung zur Natur<lb/> nur durch einen unwillkürlichen Irrthum: bei ſeiner Ver¬<lb/> menſchlichung der Natur legte er ihr auch menſchliche<lb/> Motive unter, die, als in der Natur wirkend, nothwendig<lb/> dem wahren Weſen der Natur gegenüber gehalten, nur<lb/> willkürlich gedacht werden konnten. Wie der Menſch, ſei¬<lb/> nem beſonderen Weſen nach, im Leben und in ſeinem Ver¬<lb/> hältniß zur Natur aus Nothwendigkeit handelt, entſtellt<lb/> er ſich unwillkürlich in ſeiner Vorſtellung das Weſen der<lb/> Natur, wenn er ſie nach <hi rendition="#g">menſchlicher</hi> Nothwendigkeit,<lb/> nicht nach der <hi rendition="#g">ihrigen</hi>, gebahrend ſich denkt. Sprach<lb/> dieſer Irrthum bei den Griechen ſich ſchön aus, wie er bei<lb/> andern, namentlich aſiatiſchen, Völkern ſich meiſt häßlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0192]
Auge, als der Grieche ſeinem eigenthümlichen Geiſte nach
überhaupt ſie je zu erfaſſen geneigt war. Die Natur war dem
Griechen eben nur der ferne Hintergrund des Menſchen: weit
im Vordergrunde ſtand der Menſch ſelbſt, und die Göt¬
ter, denen er die bewegende Naturmacht zuſprach, waren
eben menſchliche Götter. Allem, was er in der Natur
erſah, ſuchte er menſchliche Geſtalt und menſchliches Weſen
anzubilden, und als vermenſchlicht hatte die Natur für
ihn gerade den unendlichen Reiz, in deſſen Genuß ſeinem
Schönheitsſinne es unmöglich war, ſie, wie vom Stand¬
punkte jüdiſch modernen Utilismus aus, ſich nur als einen
roh ſinnlich genießbaren Gegenſtand zu eigen zu machen.
Dennoch nährte er dieſe ſchöne Selbſtbeziehung zur Natur
nur durch einen unwillkürlichen Irrthum: bei ſeiner Ver¬
menſchlichung der Natur legte er ihr auch menſchliche
Motive unter, die, als in der Natur wirkend, nothwendig
dem wahren Weſen der Natur gegenüber gehalten, nur
willkürlich gedacht werden konnten. Wie der Menſch, ſei¬
nem beſonderen Weſen nach, im Leben und in ſeinem Ver¬
hältniß zur Natur aus Nothwendigkeit handelt, entſtellt
er ſich unwillkürlich in ſeiner Vorſtellung das Weſen der
Natur, wenn er ſie nach menſchlicher Nothwendigkeit,
nicht nach der ihrigen, gebahrend ſich denkt. Sprach
dieſer Irrthum bei den Griechen ſich ſchön aus, wie er bei
andern, namentlich aſiatiſchen, Völkern ſich meiſt häßlich
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