lich schöne Lebensäußerung war, und alles Abziehen der Dicht¬ kunst von der Ton- und Tanzkunst verwehrte. Selbst der Uebergang aus der Lyrik zum Drama, wie wir ihn in den epischen Gesängen zu erkennen haben, blieb den Spartanern fremd; die homerischen Gesänge sind, bezeichnend genug, in ionischer, nicht in dorischer Mundart gesammelt. Während die ionischen Völker und namentlich schließlich die Athener, unter lebhaftester gegenseitiger Berührung sich zu politi¬ schen Staaten entwickelten, und die aus dem Leben ver¬ schwindende Religion künstlerisch in der Tragödie nur noch sich darstellten, waren die Spartaner, als abgeschlossene Binnenländler bei ihrem urhellenischen Wesen verblieben und stellten ihren unvermischten Naturstaat als ein leben¬ diges künstlerisches Monument den wechselvollen Gestal¬ tungen des neueren politischen Lebens gegenüber. Alles, was in dem jähen Wirbel der rastlos zerstörenden Neu¬ zeit Rettung und Anhalt suchte, richtete damals seine Augen auf Sparta; der Staatsmann suchte die Formen dieses Urstaates zu erforschen, um sie künstlich auf den politischen Staat der Gegenwart überzutragen; der Künstler aber, der das gemeinsame Kunstwerk der Tra¬ gödie vor seinen Augen sich zersetzen und zerschälen sah, blickte dahin, wo er den Kern dieses Kunstwerkes, den schönen urhellenischen Menschen, gewahren und für die Kunst erhalten könnte. Wie Sparta als lebendes
lich ſchöne Lebensäußerung war, und alles Abziehen der Dicht¬ kunſt von der Ton- und Tanzkunſt verwehrte. Selbſt der Uebergang aus der Lyrik zum Drama, wie wir ihn in den epiſchen Geſängen zu erkennen haben, blieb den Spartanern fremd; die homeriſchen Geſänge ſind, bezeichnend genug, in ioniſcher, nicht in doriſcher Mundart geſammelt. Während die ioniſchen Völker und namentlich ſchließlich die Athener, unter lebhafteſter gegenſeitiger Berührung ſich zu politi¬ ſchen Staaten entwickelten, und die aus dem Leben ver¬ ſchwindende Religion künſtleriſch in der Tragödie nur noch ſich darſtellten, waren die Spartaner, als abgeſchloſſene Binnenländler bei ihrem urhelleniſchen Weſen verblieben und ſtellten ihren unvermiſchten Naturſtaat als ein leben¬ diges künſtleriſches Monument den wechſelvollen Geſtal¬ tungen des neueren politiſchen Lebens gegenüber. Alles, was in dem jähen Wirbel der raſtlos zerſtörenden Neu¬ zeit Rettung und Anhalt ſuchte, richtete damals ſeine Augen auf Sparta; der Staatsmann ſuchte die Formen dieſes Urſtaates zu erforſchen, um ſie künſtlich auf den politiſchen Staat der Gegenwart überzutragen; der Künſtler aber, der das gemeinſame Kunſtwerk der Tra¬ gödie vor ſeinen Augen ſich zerſetzen und zerſchälen ſah, blickte dahin, wo er den Kern dieſes Kunſtwerkes, den ſchönen urhelleniſchen Menſchen, gewahren und für die Kunſt erhalten könnte. Wie Sparta als lebendes
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lich ſchöne Lebensäußerung war, und alles Abziehen der Dicht¬
kunſt von der Ton- und Tanzkunſt verwehrte. Selbſt der
Uebergang aus der Lyrik zum Drama, wie wir ihn in den
epiſchen Geſängen zu erkennen haben, blieb den Spartanern
fremd; die homeriſchen Geſänge ſind, bezeichnend genug, in
ioniſcher, nicht in doriſcher Mundart geſammelt. Während
die ioniſchen Völker und namentlich ſchließlich die Athener,
unter lebhafteſter gegenſeitiger Berührung ſich zu politi¬
ſchen Staaten entwickelten, und die aus dem Leben ver¬
ſchwindende Religion künſtleriſch in der Tragödie nur noch
ſich darſtellten, waren die Spartaner, als abgeſchloſſene
Binnenländler bei ihrem urhelleniſchen Weſen verblieben
und ſtellten ihren unvermiſchten Naturſtaat als ein leben¬
diges künſtleriſches Monument den wechſelvollen Geſtal¬
tungen des neueren politiſchen Lebens gegenüber. Alles,
was in dem jähen Wirbel der raſtlos zerſtörenden Neu¬
zeit Rettung und Anhalt ſuchte, richtete damals ſeine
Augen auf Sparta; der Staatsmann ſuchte die Formen
dieſes Urſtaates zu erforſchen, um ſie künſtlich auf den
politiſchen Staat der Gegenwart überzutragen; der
Künſtler aber, der das gemeinſame Kunſtwerk der Tra¬
gödie vor ſeinen Augen ſich zerſetzen und zerſchälen ſah,
blickte dahin, wo er den Kern dieſes Kunſtwerkes, den
ſchönen urhelleniſchen Menſchen, gewahren und für die
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/178>, abgerufen am 24.07.2024.
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