licher Gestalt als Gegenstände der Anbetung in Holz oder Stein dargestellt. Dem religiösen Bedürfnisse nach Ver¬ gegenständlichung der unsichtbaren gefürchteten oder verehr¬ ten göttlichen Macht, entsprach die älteste Bildhauerkunst durch Formung natürlicher Stoffe zur Nachahmung der menschlichen Gestalt, wie die Baukunst einem unmittel¬ bar menschlichen Bedürfnisse entsprach durch Verwendung und Fügung natürlicher Stoffe zu einer, dem besonderen Zwecke zusagenden, gewissermaßen verdichtenden Nach¬ ahmung der Natur, wie wir z. B. im Göttertempel den verdichtet dargestellten Götterhain zu erkennen haben. War dieser Absicht gebende Mensch in der Baukunst ein nur auf nächste, unmittelbarste Nützlichkeit bedachter, so konnte die Kunst nur Handwerk bleiben oder zum Hand¬ werk wieder werden; war er dagegen ein künstlerischer, stellte er sich als solchen, der sich bereits selbst Stoff und Gegenstand künstlerischer Behandlung geworden war, an den Ausgangspunkt der Absicht, so erhob er auch das Bauhandwerk eben zur Kunst. So lange der Mensch sich selbst in thierischer Abhängigkeit von der Natur empfand, vermochte er die anzubetenden Mächte dieser Natur, wenn er auch bereits unter menschlicher Gestalt sie sich vorstellte, doch eben nur nach dem Maße bildlich darzustellen, mit welchem er sich maß, nämlich in dem Gewande und mit den Attributen der Natur, von der er sich thierisch abhängig
licher Geſtalt als Gegenſtände der Anbetung in Holz oder Stein dargeſtellt. Dem religiöſen Bedürfniſſe nach Ver¬ gegenſtändlichung der unſichtbaren gefürchteten oder verehr¬ ten göttlichen Macht, entſprach die älteſte Bildhauerkunſt durch Formung natürlicher Stoffe zur Nachahmung der menſchlichen Geſtalt, wie die Baukunſt einem unmittel¬ bar menſchlichen Bedürfniſſe entſprach durch Verwendung und Fügung natürlicher Stoffe zu einer, dem beſonderen Zwecke zuſagenden, gewiſſermaßen verdichtenden Nach¬ ahmung der Natur, wie wir z. B. im Göttertempel den verdichtet dargeſtellten Götterhain zu erkennen haben. War dieſer Abſicht gebende Menſch in der Baukunſt ein nur auf nächſte, unmittelbarſte Nützlichkeit bedachter, ſo konnte die Kunſt nur Handwerk bleiben oder zum Hand¬ werk wieder werden; war er dagegen ein künſtleriſcher, ſtellte er ſich als ſolchen, der ſich bereits ſelbſt Stoff und Gegenſtand künſtleriſcher Behandlung geworden war, an den Ausgangspunkt der Abſicht, ſo erhob er auch das Bauhandwerk eben zur Kunſt. So lange der Menſch ſich ſelbſt in thieriſcher Abhängigkeit von der Natur empfand, vermochte er die anzubetenden Mächte dieſer Natur, wenn er auch bereits unter menſchlicher Geſtalt ſie ſich vorſtellte, doch eben nur nach dem Maße bildlich darzuſtellen, mit welchem er ſich maß, nämlich in dem Gewande und mit den Attributen der Natur, von der er ſich thieriſch abhängig
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licher Geſtalt als Gegenſtände der Anbetung in Holz oder
Stein dargeſtellt. Dem religiöſen Bedürfniſſe nach Ver¬
gegenſtändlichung der unſichtbaren gefürchteten oder verehr¬
ten göttlichen Macht, entſprach die älteſte Bildhauerkunſt
durch Formung natürlicher Stoffe zur Nachahmung der
menſchlichen Geſtalt, wie die Baukunſt einem unmittel¬
bar menſchlichen Bedürfniſſe entſprach durch Verwendung
und Fügung natürlicher Stoffe zu einer, dem beſonderen
Zwecke zuſagenden, gewiſſermaßen verdichtenden Nach¬
ahmung der Natur, wie wir z. B. im Göttertempel
den verdichtet dargeſtellten Götterhain zu erkennen haben.
War dieſer Abſicht gebende Menſch in der Baukunſt ein
nur auf nächſte, unmittelbarſte Nützlichkeit bedachter, ſo
konnte die Kunſt nur Handwerk bleiben oder zum Hand¬
werk wieder werden; war er dagegen ein künſtleriſcher,
ſtellte er ſich als ſolchen, der ſich bereits ſelbſt Stoff und
Gegenſtand künſtleriſcher Behandlung geworden war, an
den Ausgangspunkt der Abſicht, ſo erhob er auch das
Bauhandwerk eben zur Kunſt. So lange der Menſch ſich
ſelbſt in thieriſcher Abhängigkeit von der Natur empfand,
vermochte er die anzubetenden Mächte dieſer Natur, wenn
er auch bereits unter menſchlicher Geſtalt ſie ſich vorſtellte,
doch eben nur nach dem Maße bildlich darzuſtellen, mit
welchem er ſich maß, nämlich in dem Gewande und mit
den Attributen der Natur, von der er ſich thieriſch abhängig
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/168>, abgerufen am 22.07.2024.
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