auswirft, so ist Schwester Musik gefangen und muß, wollend oder nicht, ohne an ihnen haften zu können, die öden Spinnenfäden drehen und wenden, die die raffinirende Theaterstückmacherei allein zum Gewebe verbinden kann: da schwirrt und zwitschert sie denn wohl noch, wie in der französischen Pfiffigkeitsoper, bis ihr endlich mißmuthig der Athem ausgeht, und Schwester Prosa ganz allein sich nur noch breit macht. Die Tanzkunst hingegen darf nur irgend welche Lücke im Athemholen der gesetzgebenden Sängerin ersehen, irgend welches Erkalten des Lavastromes musikalischen Gefühlsergusses, -- sogleich schwingt sie ihre Beine bis zu ihrer Ausdehnung über die ganze Bühne, tanzt die Schwester Musik von der Scene hinweg in das einzige Orchester noch hinunter, dreht, schwenkt und wirbelt sich so lange, bis das Publikum den Wald vor lauter Bäu¬ men, d. h. die Oper vor lauter Beinen gar nicht mehr sieht.
So wird die Oper zum gemeinsamen Vertrage des Egoismus der drei Künste. Die Tonkunst, um ihre Su¬ prematie zu retten, verträgt mit der Tanzkunst auf so und so viele Viertelstunden, die ihr ganz allein gehören sollen: in dieser Zeit soll die Kreide auf den Schuhsohlen die Gesetze der Bühne schreiben, nach dem Systeme der Beinschwingungen, nicht aber dem der Tonschwingungen, Musik gemacht werden; auch soll den Sängern ausdrücklich verboten sein, nach irgend welcher anmuthiger Leibesbe¬
auswirft, ſo iſt Schweſter Muſik gefangen und muß, wollend oder nicht, ohne an ihnen haften zu können, die öden Spinnenfäden drehen und wenden, die die raffinirende Theaterſtückmacherei allein zum Gewebe verbinden kann: da ſchwirrt und zwitſchert ſie denn wohl noch, wie in der franzöſiſchen Pfiffigkeitsoper, bis ihr endlich mißmuthig der Athem ausgeht, und Schweſter Proſa ganz allein ſich nur noch breit macht. Die Tanzkunſt hingegen darf nur irgend welche Lücke im Athemholen der geſetzgebenden Sängerin erſehen, irgend welches Erkalten des Lavaſtromes muſikaliſchen Gefühlserguſſes, — ſogleich ſchwingt ſie ihre Beine bis zu ihrer Ausdehnung über die ganze Bühne, tanzt die Schweſter Muſik von der Scene hinweg in das einzige Orcheſter noch hinunter, dreht, ſchwenkt und wirbelt ſich ſo lange, bis das Publikum den Wald vor lauter Bäu¬ men, d. h. die Oper vor lauter Beinen gar nicht mehr ſieht.
So wird die Oper zum gemeinſamen Vertrage des Egoismus der drei Künſte. Die Tonkunſt, um ihre Su¬ prematie zu retten, verträgt mit der Tanzkunſt auf ſo und ſo viele Viertelſtunden, die ihr ganz allein gehören ſollen: in dieſer Zeit ſoll die Kreide auf den Schuhſohlen die Geſetze der Bühne ſchreiben, nach dem Syſteme der Beinſchwingungen, nicht aber dem der Tonſchwingungen, Muſik gemacht werden; auch ſoll den Sängern ausdrücklich verboten ſein, nach irgend welcher anmuthiger Leibesbe¬
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auswirft, ſo iſt Schweſter Muſik gefangen und muß,
wollend oder nicht, ohne an ihnen haften zu können, die
öden Spinnenfäden drehen und wenden, die die raffinirende
Theaterſtückmacherei allein zum Gewebe verbinden kann:
da ſchwirrt und zwitſchert ſie denn wohl noch, wie in der
franzöſiſchen Pfiffigkeitsoper, bis ihr endlich mißmuthig
der Athem ausgeht, und Schweſter Proſa ganz allein ſich
nur noch breit macht. Die Tanzkunſt hingegen darf nur
irgend welche Lücke im Athemholen der geſetzgebenden
Sängerin erſehen, irgend welches Erkalten des Lavaſtromes
muſikaliſchen Gefühlserguſſes, — ſogleich ſchwingt ſie ihre
Beine bis zu ihrer Ausdehnung über die ganze Bühne,
tanzt die Schweſter Muſik von der Scene hinweg in das
einzige Orcheſter noch hinunter, dreht, ſchwenkt und wirbelt
ſich ſo lange, bis das Publikum den Wald vor lauter Bäu¬
men, d. h. die Oper vor lauter Beinen gar nicht mehr ſieht.
So wird die Oper zum gemeinſamen Vertrage des
Egoismus der drei Künſte. Die Tonkunſt, um ihre Su¬
prematie zu retten, verträgt mit der Tanzkunſt auf ſo und
ſo viele Viertelſtunden, die ihr ganz allein gehören
ſollen: in dieſer Zeit ſoll die Kreide auf den Schuhſohlen
die Geſetze der Bühne ſchreiben, nach dem Syſteme der
Beinſchwingungen, nicht aber dem der Tonſchwingungen,
Muſik gemacht werden; auch ſoll den Sängern ausdrücklich
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/151>, abgerufen am 22.07.2024.
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