spielkunst, also aus dem Leben, wirklich hervorgegangen sind.
Unsere deutschen Dramatiker, aus dem willkürlichen Inhalte ihrer dichterischen Absicht nach Erlösung in irgend einer nothwendig erscheinenden Form sich sehnend, stellten sich, da sie nichts zu bilden vermochten, diese noth¬ wendige Form willkürlich dar, indem sie nach dem französi¬ schen Schema griffen, ohne zu bedenken daß dieses einem ganz verschiedenen, wirklichen Bedürfnisse entsprungen war. Wer nicht aus Nothwendigkeit verfährt, hat aber die Wahl nach Belieben. So waren auch unsere Drama¬ tiker mit der Annahme der französischen Form durchaus noch nicht ganz befriedigt: es fehlte zum Gebräu noch dieß und jenes, -- etwas shakespearesche Verwegenheit, etwas spanischer Pathos, und als Zuthat Ueberreste schillerischer Idealität oder iffländischer Bürgergemüthlichkeit; dieß Alles nun nach französischem Rezepte unerhört pfiffig angemacht, mit journalistischer Bedachtsamkeit auf den neuesten Skan¬ dal zugerichtet, dem beliebtesten Schauspieler -- da der Dichter nun einmal selbst das Komödienspielen nicht er¬ lernt hat, -- die Rolle womöglich wiederum eines Dich¬ ters zugetheilt, -- dieß und jenes noch mit hinzu, wie es gerade die Umstände fügen, --: so haben wir das modernste dramatische Kunstwerk, den in Wahrheit sich selbst,
ſpielkunſt, alſo aus dem Leben, wirklich hervorgegangen ſind.
Unſere deutſchen Dramatiker, aus dem willkürlichen Inhalte ihrer dichteriſchen Abſicht nach Erlöſung in irgend einer nothwendig erſcheinenden Form ſich ſehnend, ſtellten ſich, da ſie nichts zu bilden vermochten, dieſe noth¬ wendige Form willkürlich dar, indem ſie nach dem franzöſi¬ ſchen Schema griffen, ohne zu bedenken daß dieſes einem ganz verſchiedenen, wirklichen Bedürfniſſe entſprungen war. Wer nicht aus Nothwendigkeit verfährt, hat aber die Wahl nach Belieben. So waren auch unſere Drama¬ tiker mit der Annahme der franzöſiſchen Form durchaus noch nicht ganz befriedigt: es fehlte zum Gebräu noch dieß und jenes, — etwas ſhakeſpeareſche Verwegenheit, etwas ſpaniſcher Pathos, und als Zuthat Ueberreſte ſchilleriſcher Idealität oder iffländiſcher Bürgergemüthlichkeit; dieß Alles nun nach franzöſiſchem Rezepte unerhört pfiffig angemacht, mit journaliſtiſcher Bedachtſamkeit auf den neueſten Skan¬ dal zugerichtet, dem beliebteſten Schauſpieler — da der Dichter nun einmal ſelbſt das Komödienſpielen nicht er¬ lernt hat, — die Rolle womöglich wiederum eines Dich¬ ters zugetheilt, — dieß und jenes noch mit hinzu, wie es gerade die Umſtände fügen, —: ſo haben wir das modernſte dramatiſche Kunſtwerk, den in Wahrheit ſich ſelbſt,
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ſpielkunſt, alſo aus dem Leben, wirklich hervorgegangen
ſind.
Unſere deutſchen Dramatiker, aus dem willkürlichen
Inhalte ihrer dichteriſchen Abſicht nach Erlöſung in
irgend einer nothwendig erſcheinenden Form ſich ſehnend,
ſtellten ſich, da ſie nichts zu bilden vermochten, dieſe noth¬
wendige Form willkürlich dar, indem ſie nach dem franzöſi¬
ſchen Schema griffen, ohne zu bedenken daß dieſes einem
ganz verſchiedenen, wirklichen Bedürfniſſe entſprungen
war. Wer nicht aus Nothwendigkeit verfährt, hat aber
die Wahl nach Belieben. So waren auch unſere Drama¬
tiker mit der Annahme der franzöſiſchen Form durchaus
noch nicht ganz befriedigt: es fehlte zum Gebräu noch dieß
und jenes, — etwas ſhakeſpeareſche Verwegenheit, etwas
ſpaniſcher Pathos, und als Zuthat Ueberreſte ſchilleriſcher
Idealität oder iffländiſcher Bürgergemüthlichkeit; dieß Alles
nun nach franzöſiſchem Rezepte unerhört pfiffig angemacht,
mit journaliſtiſcher Bedachtſamkeit auf den neueſten Skan¬
dal zugerichtet, dem beliebteſten Schauſpieler — da der
Dichter nun einmal ſelbſt das Komödienſpielen nicht er¬
lernt hat, — die Rolle womöglich wiederum eines Dich¬
ters zugetheilt, — dieß und jenes noch mit hinzu, wie es
gerade die Umſtände fügen, —: ſo haben wir das modernſte
dramatiſche Kunſtwerk, den in Wahrheit ſich ſelbſt,
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/143>, abgerufen am 22.07.2024.
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