gemeinschaftlich abging. Das ihnen gemeinsame Schöpfe¬ rische war aber -- das Bedürfniß, und wo dieses in wahrhafter, naturnothwendiger Kraft sich äußert, da ver¬ mag der Mensch auch das Unmögliche um es zu befriedi¬ gen: aus der Armuth wird Fülle aus dem Mangel Ueber¬ fluß; die ungeschlachte Gestalt des schlichten Volks¬ komödianten spricht in Heldengebärden, der rauhe Klang der Alltagssprache wird tönende Seelenmusik, das rohe mit Teppichen umhangene Brettergerüst wird zur Welt¬ bühne mit all ihren reichen Scenen. Nehmen wir dieß Kunstwerk aus der Fülle glücklicher Bedingungen hinweg, stellen wir es außerhalb des Bereiches zeugender Kraft, wie sie aus dem Bedürfnisse dieser einen, gerade so gegebenen Zeitperiode hervorging, -- so sehen wir aber zu unsrer Trauer, daß die Armuth doch nur Armuth, der Mangel doch nur Mangel war; daß Shakspeare wohl der gewaltigste Dichter aller Zeiten, sein Kunstwerk aber noch nicht das Werk für alle Zeiten war, -- daß, nicht sein Genius, wohl aber der unvollendete, nur wollende, noch nicht aber könnende künstlerische Geist seiner Zeit, ihn doch nur zum Thespis der Tragödie der Zukunft machte. Wie der Karren des Thespis, in dem geringen Zeitumfange der athenischen Kunstblüthe, sich zu der Bühne des Aeschylos und Sophokles verhält, so verhält sich die Bühne Shake¬ speare's, in dem ungemessenen Zeitraume der allgemein¬
gemeinſchaftlich abging. Das ihnen gemeinſame Schöpfe¬ riſche war aber — das Bedürfniß, und wo dieſes in wahrhafter, naturnothwendiger Kraft ſich äußert, da ver¬ mag der Menſch auch das Unmögliche um es zu befriedi¬ gen: aus der Armuth wird Fülle aus dem Mangel Ueber¬ fluß; die ungeſchlachte Geſtalt des ſchlichten Volks¬ komödianten ſpricht in Heldengebärden, der rauhe Klang der Alltagsſprache wird tönende Seelenmuſik, das rohe mit Teppichen umhangene Brettergerüſt wird zur Welt¬ bühne mit all ihren reichen Scenen. Nehmen wir dieß Kunſtwerk aus der Fülle glücklicher Bedingungen hinweg, ſtellen wir es außerhalb des Bereiches zeugender Kraft, wie ſie aus dem Bedürfniſſe dieſer einen, gerade ſo gegebenen Zeitperiode hervorging, — ſo ſehen wir aber zu unſrer Trauer, daß die Armuth doch nur Armuth, der Mangel doch nur Mangel war; daß Shakſpeare wohl der gewaltigſte Dichter aller Zeiten, ſein Kunſtwerk aber noch nicht das Werk für alle Zeiten war, — daß, nicht ſein Genius, wohl aber der unvollendete, nur wollende, noch nicht aber könnende künſtleriſche Geiſt ſeiner Zeit, ihn doch nur zum Theſpis der Tragödie der Zukunft machte. Wie der Karren des Theſpis, in dem geringen Zeitumfange der atheniſchen Kunſtblüthe, ſich zu der Bühne des Aeſchylos und Sophokles verhält, ſo verhält ſich die Bühne Shake¬ ſpeare's, in dem ungemeſſenen Zeitraume der allgemein¬
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gemeinſchaftlich abging. Das ihnen gemeinſame Schöpfe¬
riſche war aber — das Bedürfniß, und wo dieſes in
wahrhafter, naturnothwendiger Kraft ſich äußert, da ver¬
mag der Menſch auch das Unmögliche um es zu befriedi¬
gen: aus der Armuth wird Fülle aus dem Mangel Ueber¬
fluß; die ungeſchlachte Geſtalt des ſchlichten Volks¬
komödianten ſpricht in Heldengebärden, der rauhe Klang
der Alltagsſprache wird tönende Seelenmuſik, das rohe
mit Teppichen umhangene Brettergerüſt wird zur Welt¬
bühne mit all ihren reichen Scenen. Nehmen wir dieß
Kunſtwerk aus der Fülle glücklicher Bedingungen hinweg,
ſtellen wir es außerhalb des Bereiches zeugender Kraft,
wie ſie aus dem Bedürfniſſe dieſer einen, gerade ſo
gegebenen Zeitperiode hervorging, — ſo ſehen wir aber
zu unſrer Trauer, daß die Armuth doch nur Armuth,
der Mangel doch nur Mangel war; daß Shakſpeare wohl
der gewaltigſte Dichter aller Zeiten, ſein Kunſtwerk aber
noch nicht das Werk für alle Zeiten war, — daß, nicht ſein
Genius, wohl aber der unvollendete, nur wollende, noch nicht
aber könnende künſtleriſche Geiſt ſeiner Zeit, ihn doch nur zum
Theſpis der Tragödie der Zukunft machte. Wie der
Karren des Theſpis, in dem geringen Zeitumfange der
atheniſchen Kunſtblüthe, ſich zu der Bühne des Aeſchylos
und Sophokles verhält, ſo verhält ſich die Bühne Shake¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/132>, abgerufen am 22.07.2024.
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