anderer als der Mensch und die Natur: vollkommenste Versicherung ihrer selbst erhält daher die Wissenschaft nur wieder im Kunstwerk, in dem Werke, das den Menschen und die Natur -- so weit diese im Menschen sich zum Bewußtsein gelangt -- unmittelbar darstellt. Die Er¬ füllung der Wissenschaft ist somit ihre Erlösung in die Dichtkunst, aber in die Dichtkunst, die in schwesterlicher Gemeinschaft mit den übrigen Künsten zum vollendeten Kunstwerke sich anläßt, -- und dieses Kunstwerk ist kein anderes als das Drama. --
Das Drama ist nur als vollster Ausdruck eines gemeinschaftlichen künstlerischen Mittheilungsverlangens denkbar; dieses Verlangen will sich aber wiederum nur an eine gemeinschaftliche Theilnahme kundgeben. Wo sowohl dieses gemeinschaftliche Verlangen als diese gemeinschaft¬ liche Theilnahme fehlt, ist das Drama kein nothwendiges, sondern ein willkürliches Kunstprodukt. Ohne daß jene Bedingungen im Leben vorhanden waren, hat nun der Dichter für sich allein, im Drange nach unmittelbarer Dar¬ stellung des von ihm erkannten Lebens, das Drama zu schaffen versucht: sein Schaffen mußte daher allen Mängeln willkürlichen Verfahrens unterliegen. Genau nur in dem Grade, als sein Drang aus einem gemeinschaftlichen her¬ vorging und an eine gemeinschaftliche Theilnahme sich aus¬ sprechen konnte, finden wir seit der Wiederbelebung des
anderer als der Menſch und die Natur: vollkommenſte Verſicherung ihrer ſelbſt erhält daher die Wiſſenſchaft nur wieder im Kunſtwerk, in dem Werke, das den Menſchen und die Natur — ſo weit dieſe im Menſchen ſich zum Bewußtſein gelangt — unmittelbar darſtellt. Die Er¬ füllung der Wiſſenſchaft iſt ſomit ihre Erlöſung in die Dichtkunſt, aber in die Dichtkunſt, die in ſchweſterlicher Gemeinſchaft mit den übrigen Künſten zum vollendeten Kunſtwerke ſich anläßt, — und dieſes Kunſtwerk iſt kein anderes als das Drama. —
Das Drama iſt nur als vollſter Ausdruck eines gemeinſchaftlichen künſtleriſchen Mittheilungsverlangens denkbar; dieſes Verlangen will ſich aber wiederum nur an eine gemeinſchaftliche Theilnahme kundgeben. Wo ſowohl dieſes gemeinſchaftliche Verlangen als dieſe gemeinſchaft¬ liche Theilnahme fehlt, iſt das Drama kein nothwendiges, ſondern ein willkürliches Kunſtprodukt. Ohne daß jene Bedingungen im Leben vorhanden waren, hat nun der Dichter für ſich allein, im Drange nach unmittelbarer Dar¬ ſtellung des von ihm erkannten Lebens, das Drama zu ſchaffen verſucht: ſein Schaffen mußte daher allen Mängeln willkürlichen Verfahrens unterliegen. Genau nur in dem Grade, als ſein Drang aus einem gemeinſchaftlichen her¬ vorging und an eine gemeinſchaftliche Theilnahme ſich aus¬ ſprechen konnte, finden wir ſeit der Wiederbelebung des
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anderer als der Menſch und die Natur: vollkommenſte
Verſicherung ihrer ſelbſt erhält daher die Wiſſenſchaft nur
wieder im Kunſtwerk, in dem Werke, das den Menſchen
und die Natur — ſo weit dieſe im Menſchen ſich zum
Bewußtſein gelangt — unmittelbar darſtellt. Die Er¬
füllung der Wiſſenſchaft iſt ſomit ihre Erlöſung in die
Dichtkunſt, aber in die Dichtkunſt, die in ſchweſterlicher
Gemeinſchaft mit den übrigen Künſten zum vollendeten
Kunſtwerke ſich anläßt, — und dieſes Kunſtwerk iſt kein
anderes als das Drama. —
Das Drama iſt nur als vollſter Ausdruck eines
gemeinſchaftlichen künſtleriſchen Mittheilungsverlangens
denkbar; dieſes Verlangen will ſich aber wiederum nur an
eine gemeinſchaftliche Theilnahme kundgeben. Wo ſowohl
dieſes gemeinſchaftliche Verlangen als dieſe gemeinſchaft¬
liche Theilnahme fehlt, iſt das Drama kein nothwendiges,
ſondern ein willkürliches Kunſtprodukt. Ohne daß jene
Bedingungen im Leben vorhanden waren, hat nun der
Dichter für ſich allein, im Drange nach unmittelbarer Dar¬
ſtellung des von ihm erkannten Lebens, das Drama zu
ſchaffen verſucht: ſein Schaffen mußte daher allen Mängeln
willkürlichen Verfahrens unterliegen. Genau nur in dem
Grade, als ſein Drang aus einem gemeinſchaftlichen her¬
vorging und an eine gemeinſchaftliche Theilnahme ſich aus¬
ſprechen konnte, finden wir ſeit der Wiederbelebung des
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/130>, abgerufen am 22.07.2024.
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