Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.dem Auge mit; die Dichterweise ward zur Schreibart Da saß sie nun, die einsame grämliche Schwester, dem Auge mit; die Dichterweiſe ward zur Schreibart Da ſaß ſie nun, die einſame grämliche Schweſter, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0126" n="110"/> dem <hi rendition="#g">Auge</hi> mit; die Dichterweiſe ward zur <hi rendition="#g">Schreibart</hi><lb/> — zum <hi rendition="#g">Schreibeſtyl</hi> der Geiſteshauch des Dichters.</p><lb/> <p>Da ſaß ſie nun, die einſame grämliche Schweſter,<lb/> hinter der qualmenden Lampe im düſtren Zimmer, —<lb/> ein weiblicher <hi rendition="#g">Fauſt</hi>, der über Staub und Mottenfraß<lb/> hinweg aus dem unbefriedigenden Weben und Kreuzen der<lb/> Gedanken, aus der ewigen Marter der Vorſtellung und<lb/> Einbildung, in das wirkliche Leben hinaus ſich ſehnte, um<lb/> mit Fleiſch und Bein, niet- und nagelfeſt, unter wirklichen<lb/> Menſchen als wirklicher Menſch zu gehen und zu ſtehen.<lb/> Ach! ihr Fleiſch und Bein hatte die arme Schweſter in<lb/> übergedankenvoller Gedankenloſigkeit von ſich fahren laſſen:<lb/> was ihr nun fehlte, der körperloſen Seele, konnte ſie jetzt<lb/> immer nur <hi rendition="#g">beſchreiben</hi>, wie ſie es von ihrem trüben<lb/> Zimmer aus, durch das Fenſter des Denkens, in der lieben<lb/> weiten Sinnenwelt leben und ſich bewegen ſah; von dem<lb/> Geliebten ihrer Jugend konnte ſie ewig nur ſchildern:<lb/> „ſo ſah er aus, ſo gebahrten ſeine Glieder, ſo blitzte ſein<lb/> Auge, ſo tönte ſeiner Stimme Klang!“ Aber all dieß<lb/> Schildern und Beſchreiben, ſo wohlgefällig ſie es auch<lb/> ſelbſt zur Kunſt erheben wollte, ſo erfindungsreich <hi rendition="#g">ſie</hi> ſich<lb/> auch bemühte, es in Sprach- und Schriftformen zu er¬<lb/> ſetzendem künſtleriſchem Troſte ſich zu geſtalten, — es war<lb/> doch immer nur ein eitel überflüſſiges Bemühen, die<lb/> Stillung eines Bedürfniſſes, das nur aus einem, willkür¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0126]
dem Auge mit; die Dichterweiſe ward zur Schreibart
— zum Schreibeſtyl der Geiſteshauch des Dichters.
Da ſaß ſie nun, die einſame grämliche Schweſter,
hinter der qualmenden Lampe im düſtren Zimmer, —
ein weiblicher Fauſt, der über Staub und Mottenfraß
hinweg aus dem unbefriedigenden Weben und Kreuzen der
Gedanken, aus der ewigen Marter der Vorſtellung und
Einbildung, in das wirkliche Leben hinaus ſich ſehnte, um
mit Fleiſch und Bein, niet- und nagelfeſt, unter wirklichen
Menſchen als wirklicher Menſch zu gehen und zu ſtehen.
Ach! ihr Fleiſch und Bein hatte die arme Schweſter in
übergedankenvoller Gedankenloſigkeit von ſich fahren laſſen:
was ihr nun fehlte, der körperloſen Seele, konnte ſie jetzt
immer nur beſchreiben, wie ſie es von ihrem trüben
Zimmer aus, durch das Fenſter des Denkens, in der lieben
weiten Sinnenwelt leben und ſich bewegen ſah; von dem
Geliebten ihrer Jugend konnte ſie ewig nur ſchildern:
„ſo ſah er aus, ſo gebahrten ſeine Glieder, ſo blitzte ſein
Auge, ſo tönte ſeiner Stimme Klang!“ Aber all dieß
Schildern und Beſchreiben, ſo wohlgefällig ſie es auch
ſelbſt zur Kunſt erheben wollte, ſo erfindungsreich ſie ſich
auch bemühte, es in Sprach- und Schriftformen zu er¬
ſetzendem künſtleriſchem Troſte ſich zu geſtalten, — es war
doch immer nur ein eitel überflüſſiges Bemühen, die
Stillung eines Bedürfniſſes, das nur aus einem, willkür¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |