Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Chore des Volkes herausschreitend, und schilderte nicht Bei dem Volke ist Alles Wirklichkeit und That; es Die Blüthe der Tragödie dauerte genau so lange, als Chore des Volkes herausſchreitend, und ſchilderte nicht Bei dem Volke iſt Alles Wirklichkeit und That; es Die Blüthe der Tragödie dauerte genau ſo lange, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" n="108"/> Chore des Volkes herausſchreitend, und <hi rendition="#g">ſchilderte nicht<lb/> mehr</hi>, wie im Epos, die Thaten der Helden, ſondern<lb/><hi rendition="#g">ſtellte ſie ſelbſt als dieſer Held dar</hi>.</p><lb/> <p>Bei dem Volke iſt Alles Wirklichkeit und That; es<lb/><hi rendition="#g">handelt</hi>, und freut ſich dann im Denken ſeines Handelns:<lb/> So jagte das heitre Volk von Athen die trübſinnigen<lb/> Söhne des kunſtſinnigen Peiſiſtratos bei einer hitzigen<lb/> Veranlaſſung zu Hof und Stadt hinaus und bedachte dann,<lb/> wie es bei dieſer Gelegenheit ein ſich ſelbſt gehörendes,<lb/> freies Volk geworden ſei; ſo ſtellte es die Bretter der<lb/> Bühne auf, ſchmückte als Tragöd ſich mit Gewand und<lb/> Maske eines Gottes oder Helden, um ſelbſt Gott oder Held<lb/> zu ſein, und die <hi rendition="#g">Tragödie</hi> war erſchaffen, deren Blüthe<lb/> es mit wonnigem Bewußtſein von ſeiner Schöpferkraft ge¬<lb/> noß, deren metaphyſiſchen Grund aufzuſuchen es aber der<lb/> kopfzerbrecheriſchen Spekulation unſerer heutigen Hof¬<lb/> theaterdramaturgen rückſichtslos genug allein überließ.</p><lb/> <p>Die Blüthe der Tragödie dauerte genau ſo lange, als<lb/> ſie aus dem Geiſte des Volke heraus gedichtet wurde und<lb/> dieſer Geiſt eben ein wirklicher Volksgeiſt, nämlich ein<lb/><hi rendition="#g">gemeinſamer</hi>, war. Als die nationale Volksgenoſſenſchaft<lb/> ſich ſelbſt zerſplitterte, als das gemeinſame Band ihrer<lb/> Religion und ureigenen Sitte von den ſophiſtiſchen Nadel¬<lb/> ſtichen des egoiſtiſch ſich zerſetzenden atheniſchen Geiſtes<lb/> zerſtochen und zerſtückt wurde, — da hörte auch das Volks¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0124]
Chore des Volkes herausſchreitend, und ſchilderte nicht
mehr, wie im Epos, die Thaten der Helden, ſondern
ſtellte ſie ſelbſt als dieſer Held dar.
Bei dem Volke iſt Alles Wirklichkeit und That; es
handelt, und freut ſich dann im Denken ſeines Handelns:
So jagte das heitre Volk von Athen die trübſinnigen
Söhne des kunſtſinnigen Peiſiſtratos bei einer hitzigen
Veranlaſſung zu Hof und Stadt hinaus und bedachte dann,
wie es bei dieſer Gelegenheit ein ſich ſelbſt gehörendes,
freies Volk geworden ſei; ſo ſtellte es die Bretter der
Bühne auf, ſchmückte als Tragöd ſich mit Gewand und
Maske eines Gottes oder Helden, um ſelbſt Gott oder Held
zu ſein, und die Tragödie war erſchaffen, deren Blüthe
es mit wonnigem Bewußtſein von ſeiner Schöpferkraft ge¬
noß, deren metaphyſiſchen Grund aufzuſuchen es aber der
kopfzerbrecheriſchen Spekulation unſerer heutigen Hof¬
theaterdramaturgen rückſichtslos genug allein überließ.
Die Blüthe der Tragödie dauerte genau ſo lange, als
ſie aus dem Geiſte des Volke heraus gedichtet wurde und
dieſer Geiſt eben ein wirklicher Volksgeiſt, nämlich ein
gemeinſamer, war. Als die nationale Volksgenoſſenſchaft
ſich ſelbſt zerſplitterte, als das gemeinſame Band ihrer
Religion und ureigenen Sitte von den ſophiſtiſchen Nadel¬
ſtichen des egoiſtiſch ſich zerſetzenden atheniſchen Geiſtes
zerſtochen und zerſtückt wurde, — da hörte auch das Volks¬
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