Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Werk nicht einmal zu verstehen! Macht was Ihr wollt; Beim Ueberblicke der geschäftigen Einöde unsrer musi¬ Werk nicht einmal zu verſtehen! Macht was Ihr wollt; Beim Ueberblicke der geſchäftigen Einöde unſrer muſi¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0118" n="102"/> Werk nicht einmal zu verſtehen! Macht was Ihr wollt;<lb/> ſeht neben Beethoven ganz hinweg, tappt nach Mozart,<lb/> umgürtet Euch mit Sebaſtian Bach; ſchreibt Symphonieen<lb/> — mit oder ohne Geſang, ſchreibt Meſſen, Oratorien —<lb/> dieſe geſchlechtsloſen Opernembryonen! — macht Lieder<lb/> ohne Worte, Opern ohne Text —: Ihr bringt nichts zu<lb/> Stande, das wahres Leben in ſich habe, — denn ſeht —<lb/> Euch fehlt der <hi rendition="#g">Glaube</hi>! Der große Glaube an die<lb/> Nothwendigkeit deſſen, was Ihr thut! Ihr habt nur den<lb/> Glauben der Albernheitm den Aberglauben an die Möglich¬<lb/> keit der Nothwendigkeit Eurer egoiſtiſchen Willkühr!</p><lb/> <p>Beim Ueberblicke der geſchäftigen Einöde unſrer muſi¬<lb/> kaliſchen Kunſtwelt; beim Gewahren der unbedingteſten Zeu¬<lb/> gungsunfähigkeit dieſer gleichwohl ewig ſich beliebäugelnden<lb/> Kunſtmaſſe; beim Anblicke dieſes geſtaltloſen Breies, deſſen<lb/> Bodenſatz verſtockte, pedantiſche Unverſchämtheit iſt, und<lb/> aus dem (bei allem tiefſinnenden, urmuſikaliſchen Meiſter¬<lb/> dünkel, endlich doch nur gefühlslüderliche, italieniſche<lb/> Opernarien oder freche franzöſiſche Kankantanzweiſen an<lb/> das volle Tageslicht der modernen Oeffentlichkeit als künſt¬<lb/> lich deſtillirte Dünſte zu ſteigen vermögen; — kurz, bei<lb/> Erwägung dieſes vollkommenen ſchöpferiſchen Unvermögens,<lb/> ſehen wir und ohne Schreck nach dem großen vernichtenden<lb/> Schickſalsſchlage um, der dieſem ganzen, unmaßen ausge¬<lb/> breiteten Muſikkrame ein Ende mache, um Raum zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0118]
Werk nicht einmal zu verſtehen! Macht was Ihr wollt;
ſeht neben Beethoven ganz hinweg, tappt nach Mozart,
umgürtet Euch mit Sebaſtian Bach; ſchreibt Symphonieen
— mit oder ohne Geſang, ſchreibt Meſſen, Oratorien —
dieſe geſchlechtsloſen Opernembryonen! — macht Lieder
ohne Worte, Opern ohne Text —: Ihr bringt nichts zu
Stande, das wahres Leben in ſich habe, — denn ſeht —
Euch fehlt der Glaube! Der große Glaube an die
Nothwendigkeit deſſen, was Ihr thut! Ihr habt nur den
Glauben der Albernheitm den Aberglauben an die Möglich¬
keit der Nothwendigkeit Eurer egoiſtiſchen Willkühr!
Beim Ueberblicke der geſchäftigen Einöde unſrer muſi¬
kaliſchen Kunſtwelt; beim Gewahren der unbedingteſten Zeu¬
gungsunfähigkeit dieſer gleichwohl ewig ſich beliebäugelnden
Kunſtmaſſe; beim Anblicke dieſes geſtaltloſen Breies, deſſen
Bodenſatz verſtockte, pedantiſche Unverſchämtheit iſt, und
aus dem (bei allem tiefſinnenden, urmuſikaliſchen Meiſter¬
dünkel, endlich doch nur gefühlslüderliche, italieniſche
Opernarien oder freche franzöſiſche Kankantanzweiſen an
das volle Tageslicht der modernen Oeffentlichkeit als künſt¬
lich deſtillirte Dünſte zu ſteigen vermögen; — kurz, bei
Erwägung dieſes vollkommenen ſchöpferiſchen Unvermögens,
ſehen wir und ohne Schreck nach dem großen vernichtenden
Schickſalsſchlage um, der dieſem ganzen, unmaßen ausge¬
breiteten Muſikkrame ein Ende mache, um Raum zu
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