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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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wo Auge und Ohr sich gegenseitig seiner Er¬
scheinung versichern
, ist aber der ganze künst¬
lerische Mensch vorhanden
.

Aber wo fand Beethoven die Menschen, denen er
über das Element seiner Musik die Hand hätte anbieten
mögen? Die Menschen deren Herzen so weit, daß er in sie
den allmächtigen Strom seiner harmonischen Töne sich hätte
ergießen lassen können? Deren Gestalten so markig schön,
das seine melodischen Rhythmen sie hätten tragen, nicht
zertreten müßen? -- Ach, nirgends her kam ihm ein
brüderlicher Prometheus zu Hülfe, der diese Menschen ihm
gezeigt hätte! Er selbst mußte sich aufmachen, das
Land der Menschen der Zukunft erst zu ent¬
decken
.

Vom Ufer des Tanzes stürzte er sich abermals in jenes
endlose Meer, aus dem er sich einst an dieses Ufer gerettet
hatte, in das Meer unersättlichen Herzenssehnens. Aber
auf einem stark gebautem, riesenhaft fest gefügtem Schiffe
machte er sich an die stürmische Fahrt; mit sicherer Faust
drückte er auf das mächtige Steuerruder: er kannte das
Ziel der Fahrt, und war entschlossen, es zu erreichen.
Nicht eingebildete Triumphe wollte er sich bereiten, nicht
nach kühn überstandenen Beschwerden zum müßigen Hafen
der Heimath wieder zurücklaufen: sondern die Gränzen des

wo Auge und Ohr ſich gegenſeitig ſeiner Er¬
ſcheinung verſichern
, iſt aber der ganze künſt¬
leriſche Menſch vorhanden
.

Aber wo fand Beethoven die Menſchen, denen er
über das Element ſeiner Muſik die Hand hätte anbieten
mögen? Die Menſchen deren Herzen ſo weit, daß er in ſie
den allmächtigen Strom ſeiner harmoniſchen Töne ſich hätte
ergießen laſſen können? Deren Geſtalten ſo markig ſchön,
das ſeine melodiſchen Rhythmen ſie hätten tragen, nicht
zertreten müßen? — Ach, nirgends her kam ihm ein
brüderlicher Prometheus zu Hülfe, der dieſe Menſchen ihm
gezeigt hätte! Er ſelbſt mußte ſich aufmachen, das
Land der Menſchen der Zukunft erſt zu ent¬
decken
.

Vom Ufer des Tanzes ſtürzte er ſich abermals in jenes
endloſe Meer, aus dem er ſich einſt an dieſes Ufer gerettet
hatte, in das Meer unerſättlichen Herzensſehnens. Aber
auf einem ſtark gebautem, rieſenhaft feſt gefügtem Schiffe
machte er ſich an die ſtürmiſche Fahrt; mit ſicherer Fauſt
drückte er auf das mächtige Steuerruder: er kannte das
Ziel der Fahrt, und war entſchloſſen, es zu erreichen.
Nicht eingebildete Triumphe wollte er ſich bereiten, nicht
nach kühn überſtandenen Beſchwerden zum müßigen Hafen
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[92/0108] wo Auge und Ohr ſich gegenſeitig ſeiner Er¬ ſcheinung verſichern, iſt aber der ganze künſt¬ leriſche Menſch vorhanden. Aber wo fand Beethoven die Menſchen, denen er über das Element ſeiner Muſik die Hand hätte anbieten mögen? Die Menſchen deren Herzen ſo weit, daß er in ſie den allmächtigen Strom ſeiner harmoniſchen Töne ſich hätte ergießen laſſen können? Deren Geſtalten ſo markig ſchön, das ſeine melodiſchen Rhythmen ſie hätten tragen, nicht zertreten müßen? — Ach, nirgends her kam ihm ein brüderlicher Prometheus zu Hülfe, der dieſe Menſchen ihm gezeigt hätte! Er ſelbſt mußte ſich aufmachen, das Land der Menſchen der Zukunft erſt zu ent¬ decken. Vom Ufer des Tanzes ſtürzte er ſich abermals in jenes endloſe Meer, aus dem er ſich einſt an dieſes Ufer gerettet hatte, in das Meer unerſättlichen Herzensſehnens. Aber auf einem ſtark gebautem, rieſenhaft feſt gefügtem Schiffe machte er ſich an die ſtürmiſche Fahrt; mit ſicherer Fauſt drückte er auf das mächtige Steuerruder: er kannte das Ziel der Fahrt, und war entſchloſſen, es zu erreichen. Nicht eingebildete Triumphe wollte er ſich bereiten, nicht nach kühn überſtandenen Beſchwerden zum müßigen Hafen der Heimath wieder zurücklaufen: ſondern die Gränzen des

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/108>, abgerufen am 25.11.2024.