Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

werkes, das er in der so angeregten Stimmung schuf, ge¬
treu und in redlicher Demuth mit den Lebensbildern über¬
schrieb, deren Anschauen in ihm es hervorgerufen hatte;
Erinnerungen aus dem Landleben nannte er
das Ganze.

Aber eben nur "Erinnerungen" waren es auch,
-- Bilder, nicht unmittelbare sinnliche Wirklichkeit.
Nach dieser Wirklichkeit aber drängte es ihn mit der All¬
gewalt künstlerisch nothwendigen Sehnens. Seinen Ton¬
gestalten selbst jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkenn¬
bare, unleugbare, sinnlich sichere Festigkeit zu geben, wie
er sie an den Erscheinungen der Natur zu so beseligendem
Troste wahrgenommen hatte, -- das war die liebevolle
Seele des freudigen Triebes, der uns die über Alles herr¬
liche A - dur -Symphonie erschuf. Aller Ungestüm,
alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonni¬
gen Uebermuthe der Freude, die mit bacchantischer Allmacht
uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und
Meere des Lebens hinreißt, jauchzend selbstbewußt überall,
wohin wir im kühnen Takte dieses menschlichen Sphären¬
tanzes treten. Diese Symphonie ist die Apotheose des
Tanzes
selbst: sie ist der Tanz nach seinem höchsten
Wesen, die seligste That der in Tönen gleichsam idealisch
verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie
schließen sich auf dem markigen Gebein des Rhythmus

werkes, das er in der ſo angeregten Stimmung ſchuf, ge¬
treu und in redlicher Demuth mit den Lebensbildern über¬
ſchrieb, deren Anſchauen in ihm es hervorgerufen hatte;
Erinnerungen aus dem Landleben nannte er
das Ganze.

Aber eben nur „Erinnerungen“ waren es auch,
— Bilder, nicht unmittelbare ſinnliche Wirklichkeit.
Nach dieſer Wirklichkeit aber drängte es ihn mit der All¬
gewalt künſtleriſch nothwendigen Sehnens. Seinen Ton¬
geſtalten ſelbſt jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkenn¬
bare, unleugbare, ſinnlich ſichere Feſtigkeit zu geben, wie
er ſie an den Erſcheinungen der Natur zu ſo beſeligendem
Troſte wahrgenommen hatte, — das war die liebevolle
Seele des freudigen Triebes, der uns die über Alles herr¬
liche A - dur -Symphonie erſchuf. Aller Ungeſtüm,
alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonni¬
gen Uebermuthe der Freude, die mit bacchantiſcher Allmacht
uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und
Meere des Lebens hinreißt, jauchzend ſelbſtbewußt überall,
wohin wir im kühnen Takte dieſes menſchlichen Sphären¬
tanzes treten. Dieſe Symphonie iſt die Apotheoſe des
Tanzes
ſelbſt: ſie iſt der Tanz nach ſeinem höchſten
Weſen, die ſeligſte That der in Tönen gleichſam idealiſch
verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie
ſchließen ſich auf dem markigen Gebein des Rhythmus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="90"/>
werkes, das er in der &#x017F;o angeregten Stimmung &#x017F;chuf, ge¬<lb/>
treu und in redlicher Demuth mit den Lebensbildern über¬<lb/>
&#x017F;chrieb, deren An&#x017F;chauen in ihm es hervorgerufen hatte;<lb/><hi rendition="#g">Erinnerungen aus dem Landleben</hi> nannte er<lb/>
das Ganze.</p><lb/>
          <p>Aber eben nur &#x201E;<hi rendition="#g">Erinnerungen</hi>&#x201C; waren es auch,<lb/>
&#x2014; Bilder, nicht unmittelbare &#x017F;innliche Wirklichkeit.<lb/>
Nach die&#x017F;er Wirklichkeit aber drängte es ihn mit der All¬<lb/>
gewalt kün&#x017F;tleri&#x017F;ch nothwendigen Sehnens. Seinen Ton¬<lb/>
ge&#x017F;talten &#x017F;elb&#x017F;t jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkenn¬<lb/>
bare, unleugbare, &#x017F;innlich &#x017F;ichere Fe&#x017F;tigkeit zu geben, wie<lb/>
er &#x017F;ie an den Er&#x017F;cheinungen der Natur zu &#x017F;o be&#x017F;eligendem<lb/>
Tro&#x017F;te wahrgenommen hatte, &#x2014; <hi rendition="#g">das</hi> war die liebevolle<lb/>
Seele des freudigen Triebes, der uns die über Alles herr¬<lb/>
liche <hi rendition="#aq #g">A</hi> <hi rendition="#g">-</hi> <hi rendition="#aq #g">dur</hi> <hi rendition="#g">-Symphonie</hi> er&#x017F;chuf. Aller Unge&#x017F;tüm,<lb/>
alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonni¬<lb/>
gen Uebermuthe der Freude, die mit bacchanti&#x017F;cher Allmacht<lb/>
uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und<lb/>
Meere des Lebens hinreißt, jauchzend &#x017F;elb&#x017F;tbewußt überall,<lb/>
wohin wir im kühnen Takte die&#x017F;es men&#x017F;chlichen Sphären¬<lb/>
tanzes treten. Die&#x017F;e Symphonie i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Apotheo&#x017F;e des<lb/>
Tanzes</hi> &#x017F;elb&#x017F;t: &#x017F;ie i&#x017F;t der Tanz nach &#x017F;einem höch&#x017F;ten<lb/>
We&#x017F;en, die &#x017F;elig&#x017F;te That der in Tönen gleich&#x017F;am ideali&#x017F;ch<lb/>
verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie<lb/>
&#x017F;chließen &#x017F;ich auf dem markigen Gebein des Rhythmus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0106] werkes, das er in der ſo angeregten Stimmung ſchuf, ge¬ treu und in redlicher Demuth mit den Lebensbildern über¬ ſchrieb, deren Anſchauen in ihm es hervorgerufen hatte; Erinnerungen aus dem Landleben nannte er das Ganze. Aber eben nur „Erinnerungen“ waren es auch, — Bilder, nicht unmittelbare ſinnliche Wirklichkeit. Nach dieſer Wirklichkeit aber drängte es ihn mit der All¬ gewalt künſtleriſch nothwendigen Sehnens. Seinen Ton¬ geſtalten ſelbſt jene Dichtigkeit, jene unmittelbar erkenn¬ bare, unleugbare, ſinnlich ſichere Feſtigkeit zu geben, wie er ſie an den Erſcheinungen der Natur zu ſo beſeligendem Troſte wahrgenommen hatte, — das war die liebevolle Seele des freudigen Triebes, der uns die über Alles herr¬ liche A - dur -Symphonie erſchuf. Aller Ungeſtüm, alles Sehnen und Toben des Herzens wird hier zum wonni¬ gen Uebermuthe der Freude, die mit bacchantiſcher Allmacht uns durch alle Räume der Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt, jauchzend ſelbſtbewußt überall, wohin wir im kühnen Takte dieſes menſchlichen Sphären¬ tanzes treten. Dieſe Symphonie iſt die Apotheoſe des Tanzes ſelbſt: ſie iſt der Tanz nach ſeinem höchſten Weſen, die ſeligſte That der in Tönen gleichſam idealiſch verkörperten Leibesbewegung. Melodie und Harmonie ſchließen ſich auf dem markigen Gebein des Rhythmus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/106
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/106>, abgerufen am 25.11.2024.