holung aus. Die so sich bedingende Melodie ward das Ele¬ ment der Symphonie des gesangreichen und gesangfrohen Mozart. Er hauchte seinen Instrumenten den sehnsuchts¬ vollen Athem der menschlichen Stimme ein, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge, ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühls¬ tiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen mensch¬ lichen Stimme als unerschöpflicher Quell des Ausdruckes im Innersten des Herzens zu Grunde liegt. Während Mozart in seiner Symphonie Alles, was von der Befrie¬ digung dieses seines eigenthümlichsten Dranges oblag, mehr oder weniger, nach herkömmlicher und in ihm selbst stabil werdender Annahme, mit ungemein geschicktem contrapunktischen Verfahren, gewissermaßen nur abfertigte, erhob er so die Gesangsausdrucksfähigkeit des Instrumen¬ tale zu der Höhe, daß sie nicht allein Heiterkeit, stilles, inniges Behagen -- wie bei Haydn, sondern die ganze Tiefe unendlicher Herzenssehnsucht in sich zu fassen ver¬ mochte.
Die unermeßliche Fähigkeit der Instrumentalmusik zum Ausdrucke urgewaltigen Drängens und Verlangens erschloß sich Beethoven. Er vermochte es, das eigen¬ thümliche Wesen der christlichen Harmonie dieses uner¬
holung aus. Die ſo ſich bedingende Melodie ward das Ele¬ ment der Symphonie des geſangreichen und geſangfrohen Mozart. Er hauchte ſeinen Inſtrumenten den ſehnſuchts¬ vollen Athem der menſchlichen Stimme ein, der ſein Genius mit weit vorwaltender Liebe ſich zuneigte. Den unverſiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichſam in raſtloſer Sorge, ihr, der nur von Inſtrumenten vorgetragenen, erſatzweiſe die Gefühls¬ tiefe und Inbrunſt zu geben, wie ſie der natürlichen menſch¬ lichen Stimme als unerſchöpflicher Quell des Ausdruckes im Innerſten des Herzens zu Grunde liegt. Während Mozart in ſeiner Symphonie Alles, was von der Befrie¬ digung dieſes ſeines eigenthümlichſten Dranges oblag, mehr oder weniger, nach herkömmlicher und in ihm ſelbſt ſtabil werdender Annahme, mit ungemein geſchicktem contrapunktiſchen Verfahren, gewiſſermaßen nur abfertigte, erhob er ſo die Geſangsausdrucksfähigkeit des Inſtrumen¬ tale zu der Höhe, daß ſie nicht allein Heiterkeit, ſtilles, inniges Behagen — wie bei Haydn, ſondern die ganze Tiefe unendlicher Herzensſehnſucht in ſich zu faſſen ver¬ mochte.
Die unermeßliche Fähigkeit der Inſtrumentalmuſik zum Ausdrucke urgewaltigen Drängens und Verlangens erſchloß ſich Beethoven. Er vermochte es, das eigen¬ thümliche Weſen der chriſtlichen Harmonie dieſes uner¬
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holung aus. Die ſo ſich bedingende Melodie ward das Ele¬
ment der Symphonie des geſangreichen und geſangfrohen
Mozart. Er hauchte ſeinen Inſtrumenten den ſehnſuchts¬
vollen Athem der menſchlichen Stimme ein, der ſein
Genius mit weit vorwaltender Liebe ſich zuneigte. Den
unverſiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das
Herz der Melodie, gleichſam in raſtloſer Sorge, ihr, der nur
von Inſtrumenten vorgetragenen, erſatzweiſe die Gefühls¬
tiefe und Inbrunſt zu geben, wie ſie der natürlichen menſch¬
lichen Stimme als unerſchöpflicher Quell des Ausdruckes
im Innerſten des Herzens zu Grunde liegt. Während
Mozart in ſeiner Symphonie Alles, was von der Befrie¬
digung dieſes ſeines eigenthümlichſten Dranges oblag,
mehr oder weniger, nach herkömmlicher und in ihm ſelbſt
ſtabil werdender Annahme, mit ungemein geſchicktem
contrapunktiſchen Verfahren, gewiſſermaßen nur abfertigte,
erhob er ſo die Geſangsausdrucksfähigkeit des Inſtrumen¬
tale zu der Höhe, daß ſie nicht allein Heiterkeit, ſtilles,
inniges Behagen — wie bei Haydn, ſondern die ganze
Tiefe unendlicher Herzensſehnſucht in ſich zu faſſen ver¬
mochte.
Die unermeßliche Fähigkeit der Inſtrumentalmuſik
zum Ausdrucke urgewaltigen Drängens und Verlangens
erſchloß ſich Beethoven. Er vermochte es, das eigen¬
thümliche Weſen der chriſtlichen Harmonie dieſes uner¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/101>, abgerufen am 22.07.2024.
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