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Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776.

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Evchen. Das kann nur die Zeit lehren: --
ich setz indessen -- hören sie nur! -- sie hielten ihr
Wort nicht, überließen mich meinem Schicksal,
dem ganzen Gewicht der Schande, die mich erwar-
tet, dem Zorn meiner Anverwandten, der Wuth
meines Vaters, glaubst du, daß ich dies alles ab-
warten würde? abwarten könnte? -- gewiß nicht!
-- Die grauenvollste Wildniß würde ich aufsu-
chen, von allem was menschliches Ansehn hat
entfernt, mich im dicksten Gesträuch vor mir selbst
verbergen, nur den Regen des Himmels trinken,
um mein Gesicht, mein geschändetes Jch nicht im
Bach spiegeln zu dürfen; und wenn dann der Himmel
ein Wunderwerk thäte, mich und das unglückliche
Geschöpf, das Waise ist noch eh es einen Vater
hat, beym Leben zu erhalten, so wollt ich, so bald
es zu stammlen anfieng, ihm statt Vater und
Mutter, die gräßlichen Worte, Hure und Meyn-
eid,
so lang ins Ohr schreyn, bis es sie deutlich
nachspräche, und dann in einem Anfall von Rase-
rey durch sein Schimpfen mich bewöge, seinem und
meinem Elend ein Ende zu machen. -- Wär das
nicht blutig? Gröningseck! --
v. Gröningseck. Nur zu sehr -- die Haar stehn
mir -- ich bin Soldat -- war sehr jung schon
im Feld mit; hab manche schreckliche Scene mit
angesehn -- aber so was --
Evchen. Kannst nur du veranlassen, und ich
ausführen!
v. Grö-
E 5


Evchen. Das kann nur die Zeit lehren: —
ich ſetz indeſſen — hoͤren ſie nur! — ſie hielten ihr
Wort nicht, uͤberließen mich meinem Schickſal,
dem ganzen Gewicht der Schande, die mich erwar-
tet, dem Zorn meiner Anverwandten, der Wuth
meines Vaters, glaubſt du, daß ich dies alles ab-
warten wuͤrde? abwarten koͤnnte? — gewiß nicht!
— Die grauenvollſte Wildniß wuͤrde ich aufſu-
chen, von allem was menſchliches Anſehn hat
entfernt, mich im dickſten Geſtraͤuch vor mir ſelbſt
verbergen, nur den Regen des Himmels trinken,
um mein Geſicht, mein geſchaͤndetes Jch nicht im
Bach ſpiegeln zu duͤrfen; und wenn dann der Himmel
ein Wunderwerk thaͤte, mich und das ungluͤckliche
Geſchoͤpf, das Waiſe iſt noch eh es einen Vater
hat, beym Leben zu erhalten, ſo wollt ich, ſo bald
es zu ſtammlen anfieng, ihm ſtatt Vater und
Mutter, die graͤßlichen Worte, Hure und Meyn-
eid,
ſo lang ins Ohr ſchreyn, bis es ſie deutlich
nachſpraͤche, und dann in einem Anfall von Raſe-
rey durch ſein Schimpfen mich bewoͤge, ſeinem und
meinem Elend ein Ende zu machen. — Waͤr das
nicht blutig? Groͤningseck! —
v. Groͤningseck. Nur zu ſehr — die Haar ſtehn
mir — ich bin Soldat — war ſehr jung ſchon
im Feld mit; hab manche ſchreckliche Scene mit
angeſehn — aber ſo was —
Evchen. Kannſt nur du veranlaſſen, und ich
ausfuͤhren!
v. Groͤ-
E 5
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[73/0075] Evchen. Das kann nur die Zeit lehren: — ich ſetz indeſſen — hoͤren ſie nur! — ſie hielten ihr Wort nicht, uͤberließen mich meinem Schickſal, dem ganzen Gewicht der Schande, die mich erwar- tet, dem Zorn meiner Anverwandten, der Wuth meines Vaters, glaubſt du, daß ich dies alles ab- warten wuͤrde? abwarten koͤnnte? — gewiß nicht! — Die grauenvollſte Wildniß wuͤrde ich aufſu- chen, von allem was menſchliches Anſehn hat entfernt, mich im dickſten Geſtraͤuch vor mir ſelbſt verbergen, nur den Regen des Himmels trinken, um mein Geſicht, mein geſchaͤndetes Jch nicht im Bach ſpiegeln zu duͤrfen; und wenn dann der Himmel ein Wunderwerk thaͤte, mich und das ungluͤckliche Geſchoͤpf, das Waiſe iſt noch eh es einen Vater hat, beym Leben zu erhalten, ſo wollt ich, ſo bald es zu ſtammlen anfieng, ihm ſtatt Vater und Mutter, die graͤßlichen Worte, Hure und Meyn- eid, ſo lang ins Ohr ſchreyn, bis es ſie deutlich nachſpraͤche, und dann in einem Anfall von Raſe- rey durch ſein Schimpfen mich bewoͤge, ſeinem und meinem Elend ein Ende zu machen. — Waͤr das nicht blutig? Groͤningseck! — v. Groͤningseck. Nur zu ſehr — die Haar ſtehn mir — ich bin Soldat — war ſehr jung ſchon im Feld mit; hab manche ſchreckliche Scene mit angeſehn — aber ſo was — Evchen. Kannſt nur du veranlaſſen, und ich ausfuͤhren! v. Groͤ- E 5

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Zitationshilfe: Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_kindermoerderin_1776/75>, abgerufen am 27.11.2024.