pwa_069.001 Poesie mit den früher besprochenen anderweitigen Theilungen nicht pwa_069.002 bloss vergleichen: sie hängt auch historisch damit zusammen. Wir pwa_069.003 sehen z. B. noch an Homer, wie sich das alte Epos der Griechen pwa_069.004 in einer einigen, unzersplitterten Sprache bewegt habe: mit der Lyrik pwa_069.005 machen sich alsbald die mundartlichen Gegensätze geltend, und es pwa_069.006 giebt eine ionische, eine dorische, eine äolische Lyrik. Neben der pwa_069.007 altepischen Poesie des Mittelalters liegt, von allen bildenden Künsten pwa_069.008 allein mit Erfolg gepflegt, die Baukunst in der s. g. byzantinischen pwa_069.009 oder vorgothischen Weise, neben der sinnlichsten Art der Dichtkunst pwa_069.010 in polarischem Gegensatze die unsinnlichste unter den bildenden pwa_069.011 Künsten: so wie aber die Lyrik auf den Platz getreten ist, wird die pwa_069.012 Baukunst eine andre: es kommt nun erst die recht romantisch-mittelalterliche, pwa_069.013 die gothische oder deutsche, und es fängt auch mit einer pwa_069.014 Umkehr jenes polarischen Gegensatzes neben der unsinnlichen Kunst pwa_069.015 der Lyrik die sinnliche der Bildhauerei an, selbständige Bedeutung pwa_069.016 zu gewinnen.
pwa_069.017 Eben wie nun aber, um bei dieser letzten Vergleichung zu bleiben, pwa_069.018 auf die Trennung der Sculptur von der Architectur die Malerei pwa_069.019 folgt als ein Drittes, das den Abschluss der Entwickelung bezeichnet, pwa_069.020 indem es die getrennten wieder vereinigt und ihren Gegensatz vermittelt: pwa_069.021 grade so folgt als Drittes und Letztes auf Epos und Lyrik das pwa_069.022 Drama: hier ist der Unterschied wiederum aufgehoben; die Lyrik ist pwa_069.023 in ihren Ursprung, das Epos, zurückgekehrt; und während das Epos pwa_069.024 äussere Thatsachen, die Lyrik innere Zustände darstellt, stellt das pwa_069.025 Drama innere Zustände in äusseren Thatsachen dar. Ueber diese pwa_069.026 dritte Stufe hinaus giebt es keine mehr, und kann es keine mehr pwa_069.027 geben; ist sie erreicht, so bleibt die Poesie stehn und zehrt von den pwa_069.028 gesammelten Schätzen, oder sie verfällt und geht unter: nunmehr sind pwa_069.029 beide, die innere Welt wie die äussere, in den Bereich der Poesie pwa_069.030 gezogen, im Epos und in der Lyrik als getrennte Gegensätze, im pwa_069.031 Drama verquickt und verschmolzen. So ist auch über die Malerei pwa_069.032 hinaus, in der das Ideale der Baukunst und das Sinnliche der Sculptur pwa_069.033 sich durchdringen, keine bildende Kunst mehr gedenkbar. Der pwa_069.034 Parallelismus aber der Dichtkunst mit den bildenden Künsten zeigt pwa_069.035 sich auch auf dieser letzten Stufe zugleich als ein Synchronismus: die pwa_069.036 höhere Entwickelung des eigentlich deutschen Dramas, des auf deutschem pwa_069.037 Grund und Boden organisch gewordenen, fiel mit der Blüte pwa_069.038 der deutschen Malerei in das gleiche Jahrhundert.
pwa_069.039 Also Epik, Lyrik, Drama. Natürlich ist es niemals von dem pwa_069.040 Einen zum Andern im Sprunge gegangen: wie bei allem organischen pwa_069.041 Wachsthum fehlt es auch hier nicht an Mittelgliedern, die verbinden
pwa_069.001 Poesie mit den früher besprochenen anderweitigen Theilungen nicht pwa_069.002 bloss vergleichen: sie hängt auch historisch damit zusammen. Wir pwa_069.003 sehen z. B. noch an Homer, wie sich das alte Epos der Griechen pwa_069.004 in einer einigen, unzersplitterten Sprache bewegt habe: mit der Lyrik pwa_069.005 machen sich alsbald die mundartlichen Gegensätze geltend, und es pwa_069.006 giebt eine ionische, eine dorische, eine äolische Lyrik. Neben der pwa_069.007 altepischen Poesie des Mittelalters liegt, von allen bildenden Künsten pwa_069.008 allein mit Erfolg gepflegt, die Baukunst in der s. g. byzantinischen pwa_069.009 oder vorgothischen Weise, neben der sinnlichsten Art der Dichtkunst pwa_069.010 in polarischem Gegensatze die unsinnlichste unter den bildenden pwa_069.011 Künsten: so wie aber die Lyrik auf den Platz getreten ist, wird die pwa_069.012 Baukunst eine andre: es kommt nun erst die recht romantisch-mittelalterliche, pwa_069.013 die gothische oder deutsche, und es fängt auch mit einer pwa_069.014 Umkehr jenes polarischen Gegensatzes neben der unsinnlichen Kunst pwa_069.015 der Lyrik die sinnliche der Bildhauerei an, selbständige Bedeutung pwa_069.016 zu gewinnen.
pwa_069.017 Eben wie nun aber, um bei dieser letzten Vergleichung zu bleiben, pwa_069.018 auf die Trennung der Sculptur von der Architectur die Malerei pwa_069.019 folgt als ein Drittes, das den Abschluss der Entwickelung bezeichnet, pwa_069.020 indem es die getrennten wieder vereinigt und ihren Gegensatz vermittelt: pwa_069.021 grade so folgt als Drittes und Letztes auf Epos und Lyrik das pwa_069.022 Drama: hier ist der Unterschied wiederum aufgehoben; die Lyrik ist pwa_069.023 in ihren Ursprung, das Epos, zurückgekehrt; und während das Epos pwa_069.024 äussere Thatsachen, die Lyrik innere Zustände darstellt, stellt das pwa_069.025 Drama innere Zustände in äusseren Thatsachen dar. Ueber diese pwa_069.026 dritte Stufe hinaus giebt es keine mehr, und kann es keine mehr pwa_069.027 geben; ist sie erreicht, so bleibt die Poesie stehn und zehrt von den pwa_069.028 gesammelten Schätzen, oder sie verfällt und geht unter: nunmehr sind pwa_069.029 beide, die innere Welt wie die äussere, in den Bereich der Poesie pwa_069.030 gezogen, im Epos und in der Lyrik als getrennte Gegensätze, im pwa_069.031 Drama verquickt und verschmolzen. So ist auch über die Malerei pwa_069.032 hinaus, in der das Ideale der Baukunst und das Sinnliche der Sculptur pwa_069.033 sich durchdringen, keine bildende Kunst mehr gedenkbar. Der pwa_069.034 Parallelismus aber der Dichtkunst mit den bildenden Künsten zeigt pwa_069.035 sich auch auf dieser letzten Stufe zugleich als ein Synchronismus: die pwa_069.036 höhere Entwickelung des eigentlich deutschen Dramas, des auf deutschem pwa_069.037 Grund und Boden organisch gewordenen, fiel mit der Blüte pwa_069.038 der deutschen Malerei in das gleiche Jahrhundert.
pwa_069.039 Also Epik, Lyrik, Drama. Natürlich ist es niemals von dem pwa_069.040 Einen zum Andern im Sprunge gegangen: wie bei allem organischen pwa_069.041 Wachsthum fehlt es auch hier nicht an Mittelgliedern, die verbinden
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bloss vergleichen: sie hängt auch historisch damit zusammen. Wir pwa_069.003
sehen z. B. noch an Homer, wie sich das alte Epos der Griechen pwa_069.004
in einer einigen, unzersplitterten Sprache bewegt habe: mit der Lyrik pwa_069.005
machen sich alsbald die mundartlichen Gegensätze geltend, und es pwa_069.006
giebt eine ionische, eine dorische, eine äolische Lyrik. Neben der pwa_069.007
altepischen Poesie des Mittelalters liegt, von allen bildenden Künsten pwa_069.008
allein mit Erfolg gepflegt, die Baukunst in der s. g. byzantinischen pwa_069.009
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Eben wie nun aber, um bei dieser letzten Vergleichung zu bleiben, pwa_069.018
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Parallelismus aber der Dichtkunst mit den bildenden Künsten zeigt pwa_069.035
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pwa_069.039
Also Epik, Lyrik, Drama. Natürlich ist es niemals von dem pwa_069.040
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/87>, abgerufen am 22.11.2024.
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