Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_042.001 II. VON DER POESIE IM BESONDERN. pwa_042.002 1. DIE EPISCHE POESIE. pwa_042.003 pwa_042.009 pwa_042.017 pwa_042.018 pwa_042.034 1 pwa_042.036
Paulus Diaconus 1, 27. Iornandes 4. 5. Germ. 2. 3. Annal. 2, 88. pwa_042.001 II. VON DER POESIE IM BESONDERN. pwa_042.002 1. DIE EPISCHE POESIE. pwa_042.003 pwa_042.009 pwa_042.017 pwa_042.018 pwa_042.034 1 pwa_042.036
Paulus Diaconus 1, 27. Iornandes 4. 5. Germ. 2. 3. Annal. 2, 88. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0060" n="42"/> </div> </div> <div n="3"> <lb n="pwa_042.001"/> <head> <hi rendition="#c">II. VON DER POESIE IM BESONDERN.</hi> </head> <div n="4"> <lb n="pwa_042.002"/> <head> <hi rendition="#c">1. DIE EPISCHE POESIE.</hi> </head> <p><lb n="pwa_042.003"/> Es ist eine weit verbreitete Behauptung, dass man als die älteste <lb n="pwa_042.004"/> Gattung der Poesie die Lyrik zu erkennen habe: denn dem Menschen <lb n="pwa_042.005"/> liege nichts näher als sein Ich, und nichts könne ihn eher und leichter <lb n="pwa_042.006"/> zu poetischer Production reizen als seine Empfindungen: mithin sei <lb n="pwa_042.007"/> die lyrische Poesie als die Poesie des Ichs und des Gefühls auch <lb n="pwa_042.008"/> die älteste.</p> <p><lb n="pwa_042.009"/> Diese Behauptung hat viel verleitenden Schein: dennoch ist sie <lb n="pwa_042.010"/> ein lediglich aus der Luft gegriffenes Theorem, und von aller Kenntniss <lb n="pwa_042.011"/> der Litteraturgeschichte, von aller Einsicht in das eigentliche Wesen <lb n="pwa_042.012"/> der Poesie verlassen. So wie man sich nach historischer Begründung <lb n="pwa_042.013"/> umthut, und so wie man nur einigermassen bedenkt, was denn <lb n="pwa_042.014"/> Poesie überhaupt solle und wolle, so ergiebt sich vielmehr und bleibt <lb n="pwa_042.015"/> nur die Lehre bestehn, dass die epische Poesie die älteste, und dass <lb n="pwa_042.016"/> alle Poesie zuerst nur episch gewesen sei.</p> <p><lb n="pwa_042.017"/> Befestigen wir diesen Satz zuerst auf dem geschichtlichen Wege.</p> <p><lb n="pwa_042.018"/> Wie das Aelteste, was wir von deutscher Litteratur kennen, poetische <lb n="pwa_042.019"/> Werke sind (denn prosaische Uebersetzung ausländischer Prosa <lb n="pwa_042.020"/> darf hier nicht in Anschlag kommen), so ist auch das Aelteste, was <lb n="pwa_042.021"/> wir von deutscher Poesie kennen und wissen, epische Poesie. Episch <lb n="pwa_042.022"/> sind all die ersten Denkmäler derselben, die sich erhalten haben: so <lb n="pwa_042.023"/> aus dem achten Jahrhundert das Lied von Hildebrand und Hadebrand <lb n="pwa_042.024"/> (LB. 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 55); so aus dem neunten das vom Jüngsten Tage (LB. 1<hi rendition="#sup">4</hi>, 75): <lb n="pwa_042.025"/> denn auch dieses erzählt, zwar nicht Vergangenes, sondern Zukünftiges, <lb n="pwa_042.026"/> nicht in historischer, sondern in prophetischer Weise. Indess <lb n="pwa_042.027"/> damit wäre noch nicht viel bewiesen: denn die deutsche Nation ist <lb n="pwa_042.028"/> älter als aus dem achten und dem neunten Jahrhundert. Aber es <lb n="pwa_042.029"/> reichen Zeugnisse von da an aufwärts bis in die frühesten Zeiten zurück, <lb n="pwa_042.030"/> bis in denjenigen Zustand, den wir für die europäische Existenz <lb n="pwa_042.031"/> der Deutschen als ihren Urzustand betrachten dürfen und müssen: Zeugnisse <lb n="pwa_042.032"/> über epische und nur über epische Lieder bei den Langobarden, <lb n="pwa_042.033"/> bei den Gothen, bei den Germanen, wie Tacitus sie schildert<note xml:id="pwa_042_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_042.036"/> Paulus Diaconus 1, 27. Iornandes 4. 5. Germ. 2. 3. Annal. 2, 88.</note>.</p> <p><lb n="pwa_042.034"/> Nicht anders bei anderen Völkern. Die Litteratur der Hebräer <lb n="pwa_042.035"/> hat einen epischen Beginn; als Walmiki den ersten indischen Vers </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0060]
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II. VON DER POESIE IM BESONDERN. pwa_042.002
1. DIE EPISCHE POESIE. pwa_042.003
Es ist eine weit verbreitete Behauptung, dass man als die älteste pwa_042.004
Gattung der Poesie die Lyrik zu erkennen habe: denn dem Menschen pwa_042.005
liege nichts näher als sein Ich, und nichts könne ihn eher und leichter pwa_042.006
zu poetischer Production reizen als seine Empfindungen: mithin sei pwa_042.007
die lyrische Poesie als die Poesie des Ichs und des Gefühls auch pwa_042.008
die älteste.
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Diese Behauptung hat viel verleitenden Schein: dennoch ist sie pwa_042.010
ein lediglich aus der Luft gegriffenes Theorem, und von aller Kenntniss pwa_042.011
der Litteraturgeschichte, von aller Einsicht in das eigentliche Wesen pwa_042.012
der Poesie verlassen. So wie man sich nach historischer Begründung pwa_042.013
umthut, und so wie man nur einigermassen bedenkt, was denn pwa_042.014
Poesie überhaupt solle und wolle, so ergiebt sich vielmehr und bleibt pwa_042.015
nur die Lehre bestehn, dass die epische Poesie die älteste, und dass pwa_042.016
alle Poesie zuerst nur episch gewesen sei.
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Befestigen wir diesen Satz zuerst auf dem geschichtlichen Wege.
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Wie das Aelteste, was wir von deutscher Litteratur kennen, poetische pwa_042.019
Werke sind (denn prosaische Uebersetzung ausländischer Prosa pwa_042.020
darf hier nicht in Anschlag kommen), so ist auch das Aelteste, was pwa_042.021
wir von deutscher Poesie kennen und wissen, epische Poesie. Episch pwa_042.022
sind all die ersten Denkmäler derselben, die sich erhalten haben: so pwa_042.023
aus dem achten Jahrhundert das Lied von Hildebrand und Hadebrand pwa_042.024
(LB. 14, 55); so aus dem neunten das vom Jüngsten Tage (LB. 14, 75): pwa_042.025
denn auch dieses erzählt, zwar nicht Vergangenes, sondern Zukünftiges, pwa_042.026
nicht in historischer, sondern in prophetischer Weise. Indess pwa_042.027
damit wäre noch nicht viel bewiesen: denn die deutsche Nation ist pwa_042.028
älter als aus dem achten und dem neunten Jahrhundert. Aber es pwa_042.029
reichen Zeugnisse von da an aufwärts bis in die frühesten Zeiten zurück, pwa_042.030
bis in denjenigen Zustand, den wir für die europäische Existenz pwa_042.031
der Deutschen als ihren Urzustand betrachten dürfen und müssen: Zeugnisse pwa_042.032
über epische und nur über epische Lieder bei den Langobarden, pwa_042.033
bei den Gothen, bei den Germanen, wie Tacitus sie schildert 1.
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Nicht anders bei anderen Völkern. Die Litteratur der Hebräer pwa_042.035
hat einen epischen Beginn; als Walmiki den ersten indischen Vers
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Paulus Diaconus 1, 27. Iornandes 4. 5. Germ. 2. 3. Annal. 2, 88.
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