Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_450.001 pwa_450.022 pwa_450.023 pwa_450.001 pwa_450.022 pwa_450.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0468" n="450"/><lb n="pwa_450.001"/> ist, also im höheren Stil. Es wird also z. B. das Polysyndeton eher <lb n="pwa_450.002"/> im niederen, das Asyndeton im höheren Stil anzuwenden sein. Vom <lb n="pwa_450.003"/> mittleren Stil lässt sich eben nur sagen, dass er die characteristischen <lb n="pwa_450.004"/> Eigenthümlichkeiten der beiden andern Arten vermischt anwendet und <lb n="pwa_450.005"/> eine gegen die andere ausgleicht, dass er auf einer rechten Mitte die <lb n="pwa_450.006"/> Figur neben dem Tropus, das Polysyndeton neben dem Asyndeton <lb n="pwa_450.007"/> gebraucht. Es zeigt sich aber diese poetische Seite des Redestils am <lb n="pwa_450.008"/> reichsten ausgebildet bei Herder (LB. 3, 2, 439): hier beruht das Dichterische <lb n="pwa_450.009"/> auf grösster Lebensfülle, auf Kraft und Wahrheit des Gemüthes; <lb n="pwa_450.010"/> sein Stil ist darum auch weit verschieden von den schönthuenden <lb n="pwa_450.011"/> Redensarten und dem sogenannten blühenden Stil mancher Modeprediger. <lb n="pwa_450.012"/> Indessen der rednerische Stil nimmt doch nicht den ganzen <lb n="pwa_450.013"/> Schmuck der poetischen Darstellung in sich auf: nicht gebräuchlich <lb n="pwa_450.014"/> sind z. B. die epischen Wiederholungen: diese sind eben nur in der <lb n="pwa_450.015"/> Epik an der Stelle, haben nur da ihre gute Begründung durch die <lb n="pwa_450.016"/> alterthümliche Art und Weise des musikalischen Vortrages, und auch <lb n="pwa_450.017"/> da sind sie beschränkt, da man jetzt nicht überall mehr den alterthümlichen <lb n="pwa_450.018"/> Vorbildern folgen darf; nicht gebräuchlich sind ferner die <lb n="pwa_450.019"/> epischen Gleichnisse: denn auch diese sind nur eine Ueberlieferung <lb n="pwa_450.020"/> und würden zudem den Hörer zerstreuen und ablenken von dem Ziel <lb n="pwa_450.021"/> der Ueberzeugung und der Ueberredung.</p> <p><lb n="pwa_450.022"/> Nun zweitens die <hi rendition="#b">lyrische Poesie.</hi></p> <p><lb n="pwa_450.023"/> Der Stil der Lyrik unterscheidet sich von dem Stile der Rede <lb n="pwa_450.024"/> nur in zwei Stücken, die dann freilich Hauptstücke sind: einmal darin, <lb n="pwa_450.025"/> dass er sich alles dessen zu enthalten hat, was allein und ausschliesslich <lb n="pwa_450.026"/> der verständigen Deutlichkeit dient: denn in der Poesie ist dem <lb n="pwa_450.027"/> Verstande überall nur eine negative Rolle zugewiesen; und zweitens <lb n="pwa_450.028"/> darin, dass er von der zweiten Hauptstufe des Stils die metrische <lb n="pwa_450.029"/> Anordnung der Worte mit auf diese dritte Stufe hinübernimmt. Abgesehen <lb n="pwa_450.030"/> von diesen zwei Puncten hat die Lyrik fast Alles mit der rednerischen <lb n="pwa_450.031"/> Prosa gemein: denn auch ihr Ziel ist Ausdruck und Erregung <lb n="pwa_450.032"/> des Gefühls, und auch sie nimmt als Mittel zu diesem Zwecke die <lb n="pwa_450.033"/> Einbildungskraft in Anspruch durch Anschaulichkeit der Darstellung; <lb n="pwa_450.034"/> auch sie geht bald auf Ethos aus, bald auf Pathos, bald auf ein <lb n="pwa_450.035"/> schwebendes Gemisch beider, auf Ethos in elegischen Dichtungen, auf <lb n="pwa_450.036"/> Pathos in Oden, Hymnen und Dithyramben, auf eine Mitte beider im <lb n="pwa_450.037"/> Liede. Auch sie sucht gleich der Rede Ethos zu erregen durch eine <lb n="pwa_450.038"/> gemächlich zögernde, Pathos durch eine unruhig vorwärts eilende <lb n="pwa_450.039"/> Darstellung: sanfte Ruhe, Anmuth, Wehmuth characterisieren ja die <lb n="pwa_450.040"/> Elegie, Erhabenheit und stürmischer Schwung die Ode, den Hymnus, <lb n="pwa_450.041"/> den Dithyrambus. Auch sie braucht in der niederen Art eher nur </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [450/0468]
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ist, also im höheren Stil. Es wird also z. B. das Polysyndeton eher pwa_450.002
im niederen, das Asyndeton im höheren Stil anzuwenden sein. Vom pwa_450.003
mittleren Stil lässt sich eben nur sagen, dass er die characteristischen pwa_450.004
Eigenthümlichkeiten der beiden andern Arten vermischt anwendet und pwa_450.005
eine gegen die andere ausgleicht, dass er auf einer rechten Mitte die pwa_450.006
Figur neben dem Tropus, das Polysyndeton neben dem Asyndeton pwa_450.007
gebraucht. Es zeigt sich aber diese poetische Seite des Redestils am pwa_450.008
reichsten ausgebildet bei Herder (LB. 3, 2, 439): hier beruht das Dichterische pwa_450.009
auf grösster Lebensfülle, auf Kraft und Wahrheit des Gemüthes; pwa_450.010
sein Stil ist darum auch weit verschieden von den schönthuenden pwa_450.011
Redensarten und dem sogenannten blühenden Stil mancher Modeprediger. pwa_450.012
Indessen der rednerische Stil nimmt doch nicht den ganzen pwa_450.013
Schmuck der poetischen Darstellung in sich auf: nicht gebräuchlich pwa_450.014
sind z. B. die epischen Wiederholungen: diese sind eben nur in der pwa_450.015
Epik an der Stelle, haben nur da ihre gute Begründung durch die pwa_450.016
alterthümliche Art und Weise des musikalischen Vortrages, und auch pwa_450.017
da sind sie beschränkt, da man jetzt nicht überall mehr den alterthümlichen pwa_450.018
Vorbildern folgen darf; nicht gebräuchlich sind ferner die pwa_450.019
epischen Gleichnisse: denn auch diese sind nur eine Ueberlieferung pwa_450.020
und würden zudem den Hörer zerstreuen und ablenken von dem Ziel pwa_450.021
der Ueberzeugung und der Ueberredung.
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Nun zweitens die lyrische Poesie.
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Der Stil der Lyrik unterscheidet sich von dem Stile der Rede pwa_450.024
nur in zwei Stücken, die dann freilich Hauptstücke sind: einmal darin, pwa_450.025
dass er sich alles dessen zu enthalten hat, was allein und ausschliesslich pwa_450.026
der verständigen Deutlichkeit dient: denn in der Poesie ist dem pwa_450.027
Verstande überall nur eine negative Rolle zugewiesen; und zweitens pwa_450.028
darin, dass er von der zweiten Hauptstufe des Stils die metrische pwa_450.029
Anordnung der Worte mit auf diese dritte Stufe hinübernimmt. Abgesehen pwa_450.030
von diesen zwei Puncten hat die Lyrik fast Alles mit der rednerischen pwa_450.031
Prosa gemein: denn auch ihr Ziel ist Ausdruck und Erregung pwa_450.032
des Gefühls, und auch sie nimmt als Mittel zu diesem Zwecke die pwa_450.033
Einbildungskraft in Anspruch durch Anschaulichkeit der Darstellung; pwa_450.034
auch sie geht bald auf Ethos aus, bald auf Pathos, bald auf ein pwa_450.035
schwebendes Gemisch beider, auf Ethos in elegischen Dichtungen, auf pwa_450.036
Pathos in Oden, Hymnen und Dithyramben, auf eine Mitte beider im pwa_450.037
Liede. Auch sie sucht gleich der Rede Ethos zu erregen durch eine pwa_450.038
gemächlich zögernde, Pathos durch eine unruhig vorwärts eilende pwa_450.039
Darstellung: sanfte Ruhe, Anmuth, Wehmuth characterisieren ja die pwa_450.040
Elegie, Erhabenheit und stürmischer Schwung die Ode, den Hymnus, pwa_450.041
den Dithyrambus. Auch sie braucht in der niederen Art eher nur
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