Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_392.001 pwa_392.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0410" n="392"/><lb n="pwa_392.001"/> wie z. B. <hi rendition="#i">Veniit</hi> a te, antequam Romam <hi rendition="#i">venit</hi>; Quos homines <hi rendition="#i">vincit,</hi> <lb n="pwa_392.002"/> eos ferro statim <hi rendition="#i">vincit;</hi> Hunc <hi rendition="#i">avium</hi> dulcedo ducit ad <hi rendition="#i">avium;</hi> Si <hi rendition="#i">lenones</hi> <lb n="pwa_392.003"/> tanquam <hi rendition="#i">leones</hi> vitasset; Videte, judices, utrum homini <hi rendition="#i">navo</hi> an <lb n="pwa_392.004"/> <hi rendition="#i">vano</hi> credere malitis, u. s. f. In Fällen, wo bloss der Anfangsbuchstabe <lb n="pwa_392.005"/> verändert wird, ist das Wortspiel zugleich ein Reim; so Vell. Pat. <lb n="pwa_392.006"/> 2, 108: „Maroboduus <hi rendition="#i">natione</hi> magis quam <hi rendition="#i">ratione</hi> barbarus“; so ferner <lb n="pwa_392.007"/> der Ausspruch des Bias bei Gellius Noct. Att. 5, 11: „<foreign xml:lang="grc">ἤτοι καλὴν ἄξεις</foreign> <lb n="pwa_392.008"/> \̓<foreign xml:lang="grc">η αἰσχράν·</foreign> <foreign xml:lang="grc">καὶ εἰ καλήν, ἕξεις κοινήν, εἰ δὲ αἰσχράν, ἕξεις ποινήν</foreign>.“ <lb n="pwa_392.009"/> Aeschyl. Supplic. v. 826: „<foreign xml:lang="grc">ὅδε μάρπτις νάϊος γάϊος</foreign>.“ Und so ist in den <lb n="pwa_392.010"/> meisten Fällen, wo Griechen reimen, ein Wortspiel der Anlass dazu; <lb n="pwa_392.011"/> im Lateinischen und Deutschen dagegen hat der Reim noch anderweitigen <lb n="pwa_392.012"/> Grund und Sinn. Natürlich hat, da es beim Wortspiel <lb n="pwa_392.013"/> zugleich auf Aehnlichkeit und auf Verschiedenheit ankommt, auf Aehnlichkeit <lb n="pwa_392.014"/> des Ausdrucks und auf Verschiedenheit der Vorstellungen, der <lb n="pwa_392.015"/> Verstand an ihm einen vorwaltenden Antheil, einen grösseren Antheil <lb n="pwa_392.016"/> als die Einbildung, der Verstand in den beiden nah verwandten Thätigkeiten <lb n="pwa_392.017"/> des Witzes und des Scharfsinnes. Deshalb ist auch das Wortspiel <lb n="pwa_392.018"/> vornehmlich und beinahe ausschliesslich zu Hause in der komischen <lb n="pwa_392.019"/> Poesie, in der Comödie, in der Satire (LB. 2, 1292), im satirischen <lb n="pwa_392.020"/> Epigramm, im komischen Epos, im komischen Roman und in der <lb n="pwa_392.021"/> scherzhaften Lyrik, zu Hause da, wo ein Widerspruch des Verstandes <lb n="pwa_392.022"/> darzustellen ist gegen die von der Einbildung angeschaute Wirklichkeit: <lb n="pwa_392.023"/> so finden wir es denn in der griechischen Comödie des Aristophanes <lb n="pwa_392.024"/> wie in der lateinischen des Plautus und in der englischen <lb n="pwa_392.025"/> Shakspeares, bei Rabelais und Fischart (LB. 3, 1, 471) im komischen <lb n="pwa_392.026"/> Roman Gargantua, wie bei Abraham a Sancta Clara im satirischen <lb n="pwa_392.027"/> Roman Judas der Erzschelm und in satirischen Predigten, und bei <lb n="pwa_392.028"/> Jean Paul. Das ernsthafte Epos dagegen und die tragische Poesie <lb n="pwa_392.029"/> können das Wortspiel nur so und in so fern in sich aufnehmen, als <lb n="pwa_392.030"/> sie auch jenen Widerspruch des Verstandes gegen die Einbildung in <lb n="pwa_392.031"/> sich aufnehmen können, d. h. nur vorübergehend und den höheren <lb n="pwa_392.032"/> Zwecken des Epos und der Tragödie dienend untergeordnet, nur als <lb n="pwa_392.033"/> Ausdruck der tragischen Ironie, nicht aber der Laune und des Spottes. <lb n="pwa_392.034"/> Ein Beispiel der Art aus dem classischen Alterthum, noch eins nach <lb n="pwa_392.035"/> dem eben angeführten aus den Supplices, findet sich bei Aeschylus <lb n="pwa_392.036"/> in den Septem V. 830, wo mit Rücksicht auf Polynices diess Wort als <lb n="pwa_392.037"/> Adjectiv im Sinne von <hi rendition="#i">zanksüchtig</hi> gebraucht wird; ein Wortspiel, <lb n="pwa_392.038"/> das Sophocles und Euripides an passlichen Orten wieder aufgenommen <lb n="pwa_392.039"/> haben, und das als ein Beispiel der Art zu bemerken ist, wo das <lb n="pwa_392.040"/> Wort selbst gar nicht verändert wird. Beispiele aus der epischen <lb n="pwa_392.041"/> Poesie der Deutschen sind etwa, wenn in den Nibelungen (Str. 2256 </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0410]
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wie z. B. Veniit a te, antequam Romam venit; Quos homines vincit, pwa_392.002
eos ferro statim vincit; Hunc avium dulcedo ducit ad avium; Si lenones pwa_392.003
tanquam leones vitasset; Videte, judices, utrum homini navo an pwa_392.004
vano credere malitis, u. s. f. In Fällen, wo bloss der Anfangsbuchstabe pwa_392.005
verändert wird, ist das Wortspiel zugleich ein Reim; so Vell. Pat. pwa_392.006
2, 108: „Maroboduus natione magis quam ratione barbarus“; so ferner pwa_392.007
der Ausspruch des Bias bei Gellius Noct. Att. 5, 11: „ἤτοι καλὴν ἄξεις pwa_392.008
\̓η αἰσχράν· καὶ εἰ καλήν, ἕξεις κοινήν, εἰ δὲ αἰσχράν, ἕξεις ποινήν.“ pwa_392.009
Aeschyl. Supplic. v. 826: „ὅδε μάρπτις νάϊος γάϊος.“ Und so ist in den pwa_392.010
meisten Fällen, wo Griechen reimen, ein Wortspiel der Anlass dazu; pwa_392.011
im Lateinischen und Deutschen dagegen hat der Reim noch anderweitigen pwa_392.012
Grund und Sinn. Natürlich hat, da es beim Wortspiel pwa_392.013
zugleich auf Aehnlichkeit und auf Verschiedenheit ankommt, auf Aehnlichkeit pwa_392.014
des Ausdrucks und auf Verschiedenheit der Vorstellungen, der pwa_392.015
Verstand an ihm einen vorwaltenden Antheil, einen grösseren Antheil pwa_392.016
als die Einbildung, der Verstand in den beiden nah verwandten Thätigkeiten pwa_392.017
des Witzes und des Scharfsinnes. Deshalb ist auch das Wortspiel pwa_392.018
vornehmlich und beinahe ausschliesslich zu Hause in der komischen pwa_392.019
Poesie, in der Comödie, in der Satire (LB. 2, 1292), im satirischen pwa_392.020
Epigramm, im komischen Epos, im komischen Roman und in der pwa_392.021
scherzhaften Lyrik, zu Hause da, wo ein Widerspruch des Verstandes pwa_392.022
darzustellen ist gegen die von der Einbildung angeschaute Wirklichkeit: pwa_392.023
so finden wir es denn in der griechischen Comödie des Aristophanes pwa_392.024
wie in der lateinischen des Plautus und in der englischen pwa_392.025
Shakspeares, bei Rabelais und Fischart (LB. 3, 1, 471) im komischen pwa_392.026
Roman Gargantua, wie bei Abraham a Sancta Clara im satirischen pwa_392.027
Roman Judas der Erzschelm und in satirischen Predigten, und bei pwa_392.028
Jean Paul. Das ernsthafte Epos dagegen und die tragische Poesie pwa_392.029
können das Wortspiel nur so und in so fern in sich aufnehmen, als pwa_392.030
sie auch jenen Widerspruch des Verstandes gegen die Einbildung in pwa_392.031
sich aufnehmen können, d. h. nur vorübergehend und den höheren pwa_392.032
Zwecken des Epos und der Tragödie dienend untergeordnet, nur als pwa_392.033
Ausdruck der tragischen Ironie, nicht aber der Laune und des Spottes. pwa_392.034
Ein Beispiel der Art aus dem classischen Alterthum, noch eins nach pwa_392.035
dem eben angeführten aus den Supplices, findet sich bei Aeschylus pwa_392.036
in den Septem V. 830, wo mit Rücksicht auf Polynices diess Wort als pwa_392.037
Adjectiv im Sinne von zanksüchtig gebraucht wird; ein Wortspiel, pwa_392.038
das Sophocles und Euripides an passlichen Orten wieder aufgenommen pwa_392.039
haben, und das als ein Beispiel der Art zu bemerken ist, wo das pwa_392.040
Wort selbst gar nicht verändert wird. Beispiele aus der epischen pwa_392.041
Poesie der Deutschen sind etwa, wenn in den Nibelungen (Str. 2256
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