Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_382.001 pwa_382.012 pwa_382.017 pwa_382.001 pwa_382.012 pwa_382.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0400" n="382"/><lb n="pwa_382.001"/> Grunde Alles Tropus, nicht blosse Figur, Alles ein innerer organischer <lb n="pwa_382.002"/> Wandel der Vorstellung, nicht bloss ein äusserer mechanischer des <lb n="pwa_382.003"/> Ausdruckes. Deshalb haben sich auch mehrere Rhetoriker um diesen <lb n="pwa_382.004"/> Unterschied gar nicht bekümmert, an ihrer Spitze Cicero, der beides, <lb n="pwa_382.005"/> Figur und Tropus, nur <hi rendition="#i">translatio</hi> nennt, <hi rendition="#i">Uebertragung.</hi> Wir aber wollen <lb n="pwa_382.006"/> den Unterschied festhalten und zuerst diejenigen sinnlichen Ausdrucksweisen <lb n="pwa_382.007"/> abhandeln, die man Figuren, dann diejenigen, die man Tropen <lb n="pwa_382.008"/> nennt, jedoch nicht festhalten, weil die Unterscheidung brauchbar und <lb n="pwa_382.009"/> richtig sei, sondern eigentlich nur im Sinne einer geschichtlichen <lb n="pwa_382.010"/> Notiz, um uns zu merken, was sonst Tropus und was Figur ist <lb n="pwa_382.011"/> genannt worden und gewöhnlich noch so genannt wird.</p> <p><lb n="pwa_382.012"/> Ehe wir jedoch die Reihe der <hi rendition="#b">Figuren</hi> und der <hi rendition="#b">Tropen</hi> im Einzelnen <lb n="pwa_382.013"/> betrachten, sind zwei allgemeine Regeln und Bemerkungen <lb n="pwa_382.014"/> vorauf zu schicken, deren Zweck ist, auf Fehler aufmerksam zu <lb n="pwa_382.015"/> machen und davor zu warnen, in welche man hiebei nur zu häufig <lb n="pwa_382.016"/> verfällt.</p> <p><lb n="pwa_382.017"/> Der erste Fehler ist die <hi rendition="#b">Ueberhäufung</hi> des Stils mit bildlichen <lb n="pwa_382.018"/> und uneigentlichen Wendungen, mit Figuren und Tropen. Sowie sich <lb n="pwa_382.019"/> Figur auf Figur, Tropus auf Tropus drängt, wird damit der Geist <lb n="pwa_382.020"/> des Zuhörers oder Lesers unverhältnissmässig in Anspruch genommen <lb n="pwa_382.021"/> bloss für die Darstellung, bloss für die Gestalt der poetischen Schöpfung, <lb n="pwa_382.022"/> er behält kaum noch Zeit und Kraft übrig, sich auch auf das Innere, auf <lb n="pwa_382.023"/> den eigentlichen Gehalt hinzuwenden. Und selbst an der blossen Aeusserlichkeit <lb n="pwa_382.024"/> kann die Einbildungskraft so keine rechte Freude gewinnen, und <lb n="pwa_382.025"/> gar dem Verstande wird die ihm stäts noch gebührende Mitwirkung <lb n="pwa_382.026"/> erschwert und verkürzt. Denn führt man durch eine Reihe von Gedanken <lb n="pwa_382.027"/> eine ebenso lange Reihe von zusammenhangenden und gleichmässigen <lb n="pwa_382.028"/> Bildlichkeiten durch, so ermattet die Einbildungskraft zuletzt in der Anschauung, <lb n="pwa_382.029"/> und dem Verstande wird es leicht je mehr und mehr unklar, <lb n="pwa_382.030"/> was denn eigentlich gemeint sei; wechselt man aber mit den Bildlichkeiten, <lb n="pwa_382.031"/> und bringt jeder neue Gedanke auch eine neue, von den früheren <lb n="pwa_382.032"/> ganz verschiedene, so wird die Einbildung zerstreut und in sich selbst zersplittert, <lb n="pwa_382.033"/> und für den Verstand erwächst nun erst die rechte Undeutlichkeit. <lb n="pwa_382.034"/> In dem unablässigen Hin- und Herwerfen erreicht die eine wie <lb n="pwa_382.035"/> die andere Kraft keine ruhige, feste, sichere Auffassung weder des <lb n="pwa_382.036"/> Einzelnen noch des Ganzen. So einleuchtend dieser Fehler des Uebermasses <lb n="pwa_382.037"/> der Bildlichkeiten ist, so sehr er die einheitliche Production <lb n="pwa_382.038"/> und Reproduction des Dargestellten beeinträchtigt, so häufig ist er <lb n="pwa_382.039"/> dennoch, häufig gewesen und noch heut zu Tage. Es können ihn <lb n="pwa_382.040"/> allerlei Umstände veranlassen. <anchor xml:id="wa001"/>Bei den Einen ist er genau betrachtet <lb n="pwa_382.041"/> nur die Folge des stilistischen Bewusstseins, womit sie ihre Darstellung </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [382/0400]
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Grunde Alles Tropus, nicht blosse Figur, Alles ein innerer organischer pwa_382.002
Wandel der Vorstellung, nicht bloss ein äusserer mechanischer des pwa_382.003
Ausdruckes. Deshalb haben sich auch mehrere Rhetoriker um diesen pwa_382.004
Unterschied gar nicht bekümmert, an ihrer Spitze Cicero, der beides, pwa_382.005
Figur und Tropus, nur translatio nennt, Uebertragung. Wir aber wollen pwa_382.006
den Unterschied festhalten und zuerst diejenigen sinnlichen Ausdrucksweisen pwa_382.007
abhandeln, die man Figuren, dann diejenigen, die man Tropen pwa_382.008
nennt, jedoch nicht festhalten, weil die Unterscheidung brauchbar und pwa_382.009
richtig sei, sondern eigentlich nur im Sinne einer geschichtlichen pwa_382.010
Notiz, um uns zu merken, was sonst Tropus und was Figur ist pwa_382.011
genannt worden und gewöhnlich noch so genannt wird.
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Ehe wir jedoch die Reihe der Figuren und der Tropen im Einzelnen pwa_382.013
betrachten, sind zwei allgemeine Regeln und Bemerkungen pwa_382.014
vorauf zu schicken, deren Zweck ist, auf Fehler aufmerksam zu pwa_382.015
machen und davor zu warnen, in welche man hiebei nur zu häufig pwa_382.016
verfällt.
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Der erste Fehler ist die Ueberhäufung des Stils mit bildlichen pwa_382.018
und uneigentlichen Wendungen, mit Figuren und Tropen. Sowie sich pwa_382.019
Figur auf Figur, Tropus auf Tropus drängt, wird damit der Geist pwa_382.020
des Zuhörers oder Lesers unverhältnissmässig in Anspruch genommen pwa_382.021
bloss für die Darstellung, bloss für die Gestalt der poetischen Schöpfung, pwa_382.022
er behält kaum noch Zeit und Kraft übrig, sich auch auf das Innere, auf pwa_382.023
den eigentlichen Gehalt hinzuwenden. Und selbst an der blossen Aeusserlichkeit pwa_382.024
kann die Einbildungskraft so keine rechte Freude gewinnen, und pwa_382.025
gar dem Verstande wird die ihm stäts noch gebührende Mitwirkung pwa_382.026
erschwert und verkürzt. Denn führt man durch eine Reihe von Gedanken pwa_382.027
eine ebenso lange Reihe von zusammenhangenden und gleichmässigen pwa_382.028
Bildlichkeiten durch, so ermattet die Einbildungskraft zuletzt in der Anschauung, pwa_382.029
und dem Verstande wird es leicht je mehr und mehr unklar, pwa_382.030
was denn eigentlich gemeint sei; wechselt man aber mit den Bildlichkeiten, pwa_382.031
und bringt jeder neue Gedanke auch eine neue, von den früheren pwa_382.032
ganz verschiedene, so wird die Einbildung zerstreut und in sich selbst zersplittert, pwa_382.033
und für den Verstand erwächst nun erst die rechte Undeutlichkeit. pwa_382.034
In dem unablässigen Hin- und Herwerfen erreicht die eine wie pwa_382.035
die andere Kraft keine ruhige, feste, sichere Auffassung weder des pwa_382.036
Einzelnen noch des Ganzen. So einleuchtend dieser Fehler des Uebermasses pwa_382.037
der Bildlichkeiten ist, so sehr er die einheitliche Production pwa_382.038
und Reproduction des Dargestellten beeinträchtigt, so häufig ist er pwa_382.039
dennoch, häufig gewesen und noch heut zu Tage. Es können ihn pwa_382.040
allerlei Umstände veranlassen. Bei den Einen ist er genau betrachtet pwa_382.041
nur die Folge des stilistischen Bewusstseins, womit sie ihre Darstellung
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