pwa_378.001 nennt, sondern Knochen. Sie sind aber nur darum verwerflich, weil pwa_378.002 der Ausdruck verrecken die Vorstellung des Gestankes, der Ausdruck pwa_378.003 Knochen auch entweder diese oder doch die des Schmeckens mit pwa_378.004 sich führt.
pwa_378.005 Indessen keine Regel ohne Ausnahme. Mitunter können grade pwa_378.006 solche niedrige sinnliche Worte wohl an ihrem Platze sein, und besser pwa_378.007 am Platze, als andere es wären. Der herbe Spott, die bittere Ironie pwa_378.008 können mitunter dergleichen gradezu fordern, können um die Schärfe pwa_378.009 ihres Widerspruches recht herauszukehren, das eigentlichste, niedrigste, pwa_378.010 unschönste Wort verlangen. Als Beispiel mögen zwei Gedichte dienen, pwa_378.011 eins von Platen, eins von Chamisso, in denen beiden grade die angeführten pwa_378.012 Ausdrücke verrecken und Knochen als letztes stärkstes Wort pwa_378.013 vorkommen, und die beide viel von der Energie ihrer Bitterkeit verlieren pwa_378.014 würden, wenn man diese Ausdrücke gegen sogenannte edlere pwa_378.015 vertauschen wollte. Platen schliesst seinen Gesang der Polen mit den pwa_378.016 Worten: "Aber einst aus meinen Knochen wird ein Rächer auferstehn" pwa_378.017 (vgl. Virgil. Aen. 4, 625 exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor); pwa_378.018 und Chamisso endigt sein Gedicht "Der Bettler und sein Hund" mit pwa_378.019 folgender Strophe: "Er ward verscharret in stiller Stund; Es folgt' pwa_378.020 ihm winselnd nur der Hund. Der hat, wo der Leib die Erde deckt, pwa_378.021 Sich hingestreckt, und ist da verreckt" LB. 2, 1676.
pwa_378.022 Abgesehen von dergleichen Ausnahmen, die jezuweilen eintreten pwa_378.023 mögen, aus denen sich aber keine allgemein gültige Vorschrift ableiten pwa_378.024 lässt, abgesehen davon muss die Sinnlichkeit des poetischen Ausdruckes pwa_378.025 immer eine Sinnlichkeit für Auge oder Ohr sein. Auf dieselbe pwa_378.026 Weise aber, wie Gesicht und Gehör über dem Gefühl, dem Geruch pwa_378.027 und dem Geschmack stehn, auf dieselbe Weise steht das Gesicht pwa_378.028 wiederum über dem Gehör, aus Gründen, deren vollständige Erörterung pwa_378.029 hier zu weit und aus der Stilistik in die Physiologie und Psychologie pwa_378.030 führen würde. Das Gesicht nimmt Dinge, Thätigkeiten und pwa_378.031 Eigenschaften wahr, das Gehör nur Thätigkeiten und kaum Eigenschaften: pwa_378.032 kurz das Gesicht nimmt in der Rangordnung der Sinne den pwa_378.033 obersten Platz ein, und erst nach ihm kommt das Gehör. Diesen pwa_378.034 Vorrang des Gesichts vor dem Gehör und gar vor den übrigen Sinnen pwa_378.035 zeigt schon überall die Sprache darin, dass die meisten Ausdrücke pwa_378.036 für sinnliche Wahrnehmungen überhaupt sich zurückleiten auf den pwa_378.037 Sinn des Gesichts, von seinen Wahrnehmungen erst auf die der andern pwa_378.038 Sinne übertragen sind. So heisst z. B. riechen eigentlich s. v. a. rauchen, pwa_378.039 Duft s. v. a. Dunst, Nebel, beides also ursprünglich Wahrnehmungen pwa_378.040 des Gesichts. Besonders aber pflegen die Vorstellungen, die pwa_378.041 sich auf das Sehen und das Hören begründen, in das gleiche Wort
pwa_378.001 nennt, sondern Knochen. Sie sind aber nur darum verwerflich, weil pwa_378.002 der Ausdruck verrecken die Vorstellung des Gestankes, der Ausdruck pwa_378.003 Knochen auch entweder diese oder doch die des Schmeckens mit pwa_378.004 sich führt.
pwa_378.005 Indessen keine Regel ohne Ausnahme. Mitunter können grade pwa_378.006 solche niedrige sinnliche Worte wohl an ihrem Platze sein, und besser pwa_378.007 am Platze, als andere es wären. Der herbe Spott, die bittere Ironie pwa_378.008 können mitunter dergleichen gradezu fordern, können um die Schärfe pwa_378.009 ihres Widerspruches recht herauszukehren, das eigentlichste, niedrigste, pwa_378.010 unschönste Wort verlangen. Als Beispiel mögen zwei Gedichte dienen, pwa_378.011 eins von Platen, eins von Chamisso, in denen beiden grade die angeführten pwa_378.012 Ausdrücke verrecken und Knochen als letztes stärkstes Wort pwa_378.013 vorkommen, und die beide viel von der Energie ihrer Bitterkeit verlieren pwa_378.014 würden, wenn man diese Ausdrücke gegen sogenannte edlere pwa_378.015 vertauschen wollte. Platen schliesst seinen Gesang der Polen mit den pwa_378.016 Worten: „Aber einst aus meinen Knochen wird ein Rächer auferstehn“ pwa_378.017 (vgl. Virgil. Aen. 4, 625 exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor); pwa_378.018 und Chamisso endigt sein Gedicht „Der Bettler und sein Hund“ mit pwa_378.019 folgender Strophe: „Er ward verscharret in stiller Stund; Es folgt' pwa_378.020 ihm winselnd nur der Hund. Der hat, wo der Leib die Erde deckt, pwa_378.021 Sich hingestreckt, und ist da verreckt“ LB. 2, 1676.
pwa_378.022 Abgesehen von dergleichen Ausnahmen, die jezuweilen eintreten pwa_378.023 mögen, aus denen sich aber keine allgemein gültige Vorschrift ableiten pwa_378.024 lässt, abgesehen davon muss die Sinnlichkeit des poetischen Ausdruckes pwa_378.025 immer eine Sinnlichkeit für Auge oder Ohr sein. Auf dieselbe pwa_378.026 Weise aber, wie Gesicht und Gehör über dem Gefühl, dem Geruch pwa_378.027 und dem Geschmack stehn, auf dieselbe Weise steht das Gesicht pwa_378.028 wiederum über dem Gehör, aus Gründen, deren vollständige Erörterung pwa_378.029 hier zu weit und aus der Stilistik in die Physiologie und Psychologie pwa_378.030 führen würde. Das Gesicht nimmt Dinge, Thätigkeiten und pwa_378.031 Eigenschaften wahr, das Gehör nur Thätigkeiten und kaum Eigenschaften: pwa_378.032 kurz das Gesicht nimmt in der Rangordnung der Sinne den pwa_378.033 obersten Platz ein, und erst nach ihm kommt das Gehör. Diesen pwa_378.034 Vorrang des Gesichts vor dem Gehör und gar vor den übrigen Sinnen pwa_378.035 zeigt schon überall die Sprache darin, dass die meisten Ausdrücke pwa_378.036 für sinnliche Wahrnehmungen überhaupt sich zurückleiten auf den pwa_378.037 Sinn des Gesichts, von seinen Wahrnehmungen erst auf die der andern pwa_378.038 Sinne übertragen sind. So heisst z. B. riechen eigentlich s. v. a. rauchen, pwa_378.039 Duft s. v. a. Dunst, Nebel, beides also ursprünglich Wahrnehmungen pwa_378.040 des Gesichts. Besonders aber pflegen die Vorstellungen, die pwa_378.041 sich auf das Sehen und das Hören begründen, in das gleiche Wort
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(vgl. Virgil. Aen. 4, 625 exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor); pwa_378.018
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/396>, abgerufen am 27.07.2024.
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