Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_376.001 pwa_376.018 pwa_376.021 pwa_376.001 pwa_376.018 pwa_376.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0394" n="376"/><lb n="pwa_376.001"/> Jungfras etc. behuppere, et spitzibns suis schnaflis steckere et bitere <lb n="pwa_376.002"/> solent; autore Gripholdo Knickknackio ex Floilandia.“ Dieses Gedicht, <lb n="pwa_376.003"/> das einen unbekannten Hamburger zum Verfasser hat, beginnt mit <lb n="pwa_376.004"/> folgenden Versen: „Angla floosque canam qui wassunt pulvere swarto <lb n="pwa_376.005"/> Ex watroque simul flectenti et blaside dicko, Multipedes deiri, qui <lb n="pwa_376.006"/> possunt huppere longe Non aliter quam si flöglos natura dedisset. <lb n="pwa_376.007"/> Illis sunt equidem, sunt, inquam, corpora kleina, Sed mille erregunt <lb n="pwa_376.008"/> menschis martrasque plagasque.“ Aus dem achtzehnten Jahrhundert <lb n="pwa_376.009"/> verdient hier noch ein macaronisches Hochzeitsgedicht hervorgehoben <lb n="pwa_376.010"/> zu werden: der Titel heisst: „Rhapsodia Versu Heroico-Macaronico ad <lb n="pwa_376.011"/> Brautsuppam in Nuptiis Butschkio-Denickianis praesentata a Scholae <lb n="pwa_376.012"/> Dresdensis Petri Alumno.“ Der Anfang lautet: „Lobibus Ehstandum <lb n="pwa_376.013"/> quis non erheberet hochis Himmlorum Sternis glänzentium ad usque <lb n="pwa_376.014"/> Gewölbos? und der Schluss: Quod superest, Glasum magnum Weinoque <lb n="pwa_376.015"/> gefülltum Rhenano laeti in sponsique suaeque salutem Brautae ausstechamus! <lb n="pwa_376.016"/> De Tischo surgite, Pfeifri! Blasite Trompetas et Kessli <lb n="pwa_376.017"/> schlagite Paukas!“ Vgl. Litt. Gesch. S. 431. Kl. Schrift. 2, S. 44 fg.</p> <p><lb n="pwa_376.018"/> So viel von diesen komischen Ausschweifungen des Barbarismus. <lb n="pwa_376.019"/> Jetzt wollen wir wieder in den graden Weg unserer Erörterungen <lb n="pwa_376.020"/> einlenken.</p> <p><lb n="pwa_376.021"/> Die Sinnlichkeit, um deren Willen, wie wir gesehen, die Poesie <lb n="pwa_376.022"/> das Concrete dem Abstracten, das Bildliche dem Eigentlichen, das <lb n="pwa_376.023"/> Ungewöhnliche dem Gewöhnlichen vorzieht, muss jedoch eine durch <lb n="pwa_376.024"/> die Einbildung producierbare und reproducierbare sein und darf niemals <lb n="pwa_376.025"/> dem ersten und obersten Gesetze, dem ersten und letzten Ziele <lb n="pwa_376.026"/> aller Poesie, darf der Schönheit nicht widerstreiten; mag ein Wort, <lb n="pwa_376.027"/> mag eine Wendung noch so sinnlich sein, wenn die Sinnlichkeit nicht <lb n="pwa_376.028"/> innerhalb des Schönen bleibt, und sie nicht für die producierende <lb n="pwa_376.029"/> und reproducierende Einbildung taugt, so ists gefehlt. Nun ist die <lb n="pwa_376.030"/> Frage, welche Sinnlichkeit des Ausdruckes der producierenden und <lb n="pwa_376.031"/> reproducierenden Einbildung zustehe und welche nicht; welche über <lb n="pwa_376.032"/> die Schönheit hinausgehe, welche bei ihr bleibe. Die Antwort ergiebt <lb n="pwa_376.033"/> sich aus dem bekannten Unterschiede, den man macht zwischen <lb n="pwa_376.034"/> höheren und niederen, oder feineren und gröberen Sinnen. Höhere <lb n="pwa_376.035"/> Sinne sind das Gesicht und das Gehör, niedere Gefühl, Geruch, <lb n="pwa_376.036"/> Geschmack; Gesicht und Gehör darum höhere, weil sie die objectivere, <lb n="pwa_376.037"/> die bewusstere Wahrnehmung gewähren, wogegen die Wahrnehmungen <lb n="pwa_376.038"/> des Gefühls, des Geruchs, des Geschmackes minder rein und immer <lb n="pwa_376.039"/> mit unfreiwilligen subjectiven Empfindungen verknüpft sind. Gesicht <lb n="pwa_376.040"/> und Gehör, mit Unterschieden, die wieder zwischen ihnen beiden selbst <lb n="pwa_376.041"/> bestehn, nehmen Dinge, Thätigkeiten und Eigenschaften wahr; Gefühl, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [376/0394]
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Jungfras etc. behuppere, et spitzibns suis schnaflis steckere et bitere pwa_376.002
solent; autore Gripholdo Knickknackio ex Floilandia.“ Dieses Gedicht, pwa_376.003
das einen unbekannten Hamburger zum Verfasser hat, beginnt mit pwa_376.004
folgenden Versen: „Angla floosque canam qui wassunt pulvere swarto pwa_376.005
Ex watroque simul flectenti et blaside dicko, Multipedes deiri, qui pwa_376.006
possunt huppere longe Non aliter quam si flöglos natura dedisset. pwa_376.007
Illis sunt equidem, sunt, inquam, corpora kleina, Sed mille erregunt pwa_376.008
menschis martrasque plagasque.“ Aus dem achtzehnten Jahrhundert pwa_376.009
verdient hier noch ein macaronisches Hochzeitsgedicht hervorgehoben pwa_376.010
zu werden: der Titel heisst: „Rhapsodia Versu Heroico-Macaronico ad pwa_376.011
Brautsuppam in Nuptiis Butschkio-Denickianis praesentata a Scholae pwa_376.012
Dresdensis Petri Alumno.“ Der Anfang lautet: „Lobibus Ehstandum pwa_376.013
quis non erheberet hochis Himmlorum Sternis glänzentium ad usque pwa_376.014
Gewölbos? und der Schluss: Quod superest, Glasum magnum Weinoque pwa_376.015
gefülltum Rhenano laeti in sponsique suaeque salutem Brautae ausstechamus! pwa_376.016
De Tischo surgite, Pfeifri! Blasite Trompetas et Kessli pwa_376.017
schlagite Paukas!“ Vgl. Litt. Gesch. S. 431. Kl. Schrift. 2, S. 44 fg.
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So viel von diesen komischen Ausschweifungen des Barbarismus. pwa_376.019
Jetzt wollen wir wieder in den graden Weg unserer Erörterungen pwa_376.020
einlenken.
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Die Sinnlichkeit, um deren Willen, wie wir gesehen, die Poesie pwa_376.022
das Concrete dem Abstracten, das Bildliche dem Eigentlichen, das pwa_376.023
Ungewöhnliche dem Gewöhnlichen vorzieht, muss jedoch eine durch pwa_376.024
die Einbildung producierbare und reproducierbare sein und darf niemals pwa_376.025
dem ersten und obersten Gesetze, dem ersten und letzten Ziele pwa_376.026
aller Poesie, darf der Schönheit nicht widerstreiten; mag ein Wort, pwa_376.027
mag eine Wendung noch so sinnlich sein, wenn die Sinnlichkeit nicht pwa_376.028
innerhalb des Schönen bleibt, und sie nicht für die producierende pwa_376.029
und reproducierende Einbildung taugt, so ists gefehlt. Nun ist die pwa_376.030
Frage, welche Sinnlichkeit des Ausdruckes der producierenden und pwa_376.031
reproducierenden Einbildung zustehe und welche nicht; welche über pwa_376.032
die Schönheit hinausgehe, welche bei ihr bleibe. Die Antwort ergiebt pwa_376.033
sich aus dem bekannten Unterschiede, den man macht zwischen pwa_376.034
höheren und niederen, oder feineren und gröberen Sinnen. Höhere pwa_376.035
Sinne sind das Gesicht und das Gehör, niedere Gefühl, Geruch, pwa_376.036
Geschmack; Gesicht und Gehör darum höhere, weil sie die objectivere, pwa_376.037
die bewusstere Wahrnehmung gewähren, wogegen die Wahrnehmungen pwa_376.038
des Gefühls, des Geruchs, des Geschmackes minder rein und immer pwa_376.039
mit unfreiwilligen subjectiven Empfindungen verknüpft sind. Gesicht pwa_376.040
und Gehör, mit Unterschieden, die wieder zwischen ihnen beiden selbst pwa_376.041
bestehn, nehmen Dinge, Thätigkeiten und Eigenschaften wahr; Gefühl,
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