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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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ohne welche die Dichter nicht glaubten bestehn zu können, pwa_340.002
wurden damals in allem Ernste verdeutscht und hässlich verunstaltet: pwa_340.003
aus Pallas machte man Kluginne, aus Diana Weidinne, aus Juno pwa_340.004
Himmelinne, aus Venus Lustinne, aus Pomona Obstinne u. s. f. Der pwa_340.005
leitende Anführer bei solchen Verkehrtheiten war Filip von Zesen pwa_340.006
(1619-1689). Ganz so weit sind nun freilich die Puristen der pwa_340.007
neueren Zeit, als deren Vorfechter Joh. Heinrich Campe (1746-1818), pwa_340.008
der Bearbeiter des Robinsons und eines eigenen Wörterbuches, nicht pwa_340.009
gegangen. Aber sie haben es doch auch verkehrt genug getrieben. pwa_340.010
Es giebt, abgesehen von den philosophischen und grammatischen und pwa_340.011
naturwissenschaftlichen Kunstausdrücken, noch sonst fremde Worte die pwa_340.012
Menge, die man ganz wohl belassen kann, weil sie eigentlich ausserhalb pwa_340.013
der lebendigen Sprache liegen und nur in eng eingeschränkten pwa_340.014
Kreisen gebraucht werden: indessen auch solche wurden verdeutscht, pwa_340.015
z. B. statt Alumnus hiess es jetzt Pflegling. Andere mochten und pwa_340.016
mögen wohl der Verdeutschung werth und fähig sein, aber wenigstens pwa_340.017
die man versuchte, brachten gleich die Lächerlichkeit mit auf die Welt, pwa_340.018
wie wenn man Lectüre mit Leserei verdeutschte, Lieutenant bei der pwa_340.019
Gardecavallerie mit Stellhalter bei der Leibwachgaulerei, Dilettant auf pwa_340.020
dem Fortepiano mit Vergnügling auf dem Starkschwachtastenrührbrett, pwa_340.021
und wie die eintönigen Worte auf -ling und -ei (selbst eine fremde pwa_340.022
Endung) sonst noch heissen mögen. Hätten diese Stürmer noch zugewartet, pwa_340.023
so wäre vielleicht dieses und jenes fremde Wort nach und pwa_340.024
nach von selbst verschwunden, das uns nun verbleibt, weil man jeder pwa_340.025
Verdeutschung mit spöttischem Argwohn entgegenkommt.

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So viel vom Archaismus, Provincialismus, Barbarismus und Neologismus, pwa_340.027
als den viererlei Verstössen gegen die erste Regel des prosaischen pwa_340.028
Stils, welche zum Behufe der Deutlichkeit, als seines characteristischen pwa_340.029
Erfordernisses, Reinheit und Richtigkeit der Sprache verlangt. pwa_340.030
Jetzt wenden wir uns zu einer zweiten Regel.

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Bei der Regel der Reinheit und Richtigkeit werden die Worte pwa_340.032
lediglich an und für sich selbst betrachtet, ohne dass man dabei auf pwa_340.033
die Bedeutung Rücksicht nimmt, welche dieselben für das Ganze des pwa_340.034
Gedankens haben, und auf das Verhältniss, in welchem diese Worte, pwa_340.035
diese Begriffe zu den übrigen Begriffen und Worten des Satzes stehn, pwa_340.036
dem sie angehören. Ein falsch gebildetes Wort, ein provinzieller Ausdruck, pwa_340.037
sind fehlerhaft und unverständlich auch ausserhalb aller weiter pwa_340.038
gehenden Beziehung auf Satz und Gedanken. Nun sind aber die Worte pwa_340.039
eben noch in dieser Beziehung aufzufassen. Und da gilt denn, damit pwa_340.040
auch von der Seite her Deutlichkeit erreicht werde, die Regel der pwa_340.041
Angemessenheit, die Regel, welche verlangt, dass erstens jedes Wort

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ohne welche die Dichter nicht glaubten bestehn zu können, pwa_340.002
wurden damals in allem Ernste verdeutscht und hässlich verunstaltet: pwa_340.003
aus Pallas machte man Kluginne, aus Diana Weidinne, aus Juno pwa_340.004
Himmelinne, aus Venus Lustinne, aus Pomona Obstinne u. s. f. Der pwa_340.005
leitende Anführer bei solchen Verkehrtheiten war Filip von Zesen pwa_340.006
(1619–1689). Ganz so weit sind nun freilich die Puristen der pwa_340.007
neueren Zeit, als deren Vorfechter Joh. Heinrich Campe (1746–1818), pwa_340.008
der Bearbeiter des Robinsons und eines eigenen Wörterbuches, nicht pwa_340.009
gegangen. Aber sie haben es doch auch verkehrt genug getrieben. pwa_340.010
Es giebt, abgesehen von den philosophischen und grammatischen und pwa_340.011
naturwissenschaftlichen Kunstausdrücken, noch sonst fremde Worte die pwa_340.012
Menge, die man ganz wohl belassen kann, weil sie eigentlich ausserhalb pwa_340.013
der lebendigen Sprache liegen und nur in eng eingeschränkten pwa_340.014
Kreisen gebraucht werden: indessen auch solche wurden verdeutscht, pwa_340.015
z. B. statt Alumnus hiess es jetzt Pflegling. Andere mochten und pwa_340.016
mögen wohl der Verdeutschung werth und fähig sein, aber wenigstens pwa_340.017
die man versuchte, brachten gleich die Lächerlichkeit mit auf die Welt, pwa_340.018
wie wenn man Lectüre mit Leserei verdeutschte, Lieutenant bei der pwa_340.019
Gardecavallerie mit Stellhalter bei der Leibwachgaulerei, Dilettant auf pwa_340.020
dem Fortepiano mit Vergnügling auf dem Starkschwachtastenrührbrett, pwa_340.021
und wie die eintönigen Worte auf -ling und -ei (selbst eine fremde pwa_340.022
Endung) sonst noch heissen mögen. Hätten diese Stürmer noch zugewartet, pwa_340.023
so wäre vielleicht dieses und jenes fremde Wort nach und pwa_340.024
nach von selbst verschwunden, das uns nun verbleibt, weil man jeder pwa_340.025
Verdeutschung mit spöttischem Argwohn entgegenkommt.

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So viel vom Archaismus, Provincialismus, Barbarismus und Neologismus, pwa_340.027
als den viererlei Verstössen gegen die erste Regel des prosaischen pwa_340.028
Stils, welche zum Behufe der Deutlichkeit, als seines characteristischen pwa_340.029
Erfordernisses, Reinheit und Richtigkeit der Sprache verlangt. pwa_340.030
Jetzt wenden wir uns zu einer zweiten Regel.

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Bei der Regel der Reinheit und Richtigkeit werden die Worte pwa_340.032
lediglich an und für sich selbst betrachtet, ohne dass man dabei auf pwa_340.033
die Bedeutung Rücksicht nimmt, welche dieselben für das Ganze des pwa_340.034
Gedankens haben, und auf das Verhältniss, in welchem diese Worte, pwa_340.035
diese Begriffe zu den übrigen Begriffen und Worten des Satzes stehn, pwa_340.036
dem sie angehören. Ein falsch gebildetes Wort, ein provinzieller Ausdruck, pwa_340.037
sind fehlerhaft und unverständlich auch ausserhalb aller weiter pwa_340.038
gehenden Beziehung auf Satz und Gedanken. Nun sind aber die Worte pwa_340.039
eben noch in dieser Beziehung aufzufassen. Und da gilt denn, damit pwa_340.040
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/358>, abgerufen am 25.11.2024.