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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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weiten Gebiete aller Kunst, auch der bildlichen, auch der Musik, pwa_313.002
nennen wir es Stil, wo sich in der äusseren Darstellung eine innere pwa_313.003
Eigenthümlichkeit durch characteristische Merkmale deutlich ausspricht: pwa_313.004
wir sprechen also z. B. auch von einem romanischen Stil in der Baukunst, pwa_313.005
von einem Stile Rafaels und Sebastian Bachs; ja die Künstler pwa_313.006
sagen ganz im Allgemeinen, ohne irgend eine nähere Bestimmung pwa_313.007
z. B. von einem Gefässe, es habe Stil, wenn dasselbe zweckmässig pwa_313.008
und schön und zugleich in irgendwie eigenthümlicher Weise gestaltet pwa_313.009
ist. Insbesondre aber gebrauchen auch wir das Wort Stil in Bezug pwa_313.010
auf sprachliche Darstellung, sei das nun prosaische oder poetische; pwa_313.011
synonym damit ist der Ausdruck Schreibart; synonym, aber nicht pwa_313.012
gleichbedeutend: man kann in allen Fällen Stil sagen, aber nicht in pwa_313.013
allen Schreibart. Von einer Abhandlung kann man sowohl Stil als pwa_313.014
Schreibart gebrauchen: von einem Lied, einer Predigt nur Stil, nicht pwa_313.015
Schreibart, selbst wenn Lied und Predigt auch geschrieben vor einem pwa_313.016
liegen und bloss gelesen, nicht gesungen, nicht gesprochen werden; pwa_313.017
für die Reproduction und die Beurtheilung nimmt man sie doch immer pwa_313.018
als gesungen und gesprochen. Sollen wir nun den Begriff des Wortes pwa_313.019
Stil in dieser seiner besonderen Beziehung auf die sprachliche Darstellung pwa_313.020
noch näher definieren, so wird das ungefähr in folgender pwa_313.021
Weise geschehen können: Stil ist die Art und Weise der Darstellung pwa_313.022
durch die Sprache, wie sie bedingt ist theils durch die geistige pwa_313.023
Eigenthümlichkeit der Darstellenden, theils durch Inhalt und Zweck pwa_313.024
des Dargestellten. Diese Definition ist weder zu weit noch zu eng. pwa_313.025
Sie ist weit genug, dass all die verschiedenen Anwendungen, die man pwa_313.026
innerhalb der Litteratur von dem Worte Stil macht und durchaus pwa_313.027
billiger Weise macht, sich damit wohl vereinigen lassen, dass es also pwa_313.028
ganz wohl zu ihr stimmt, wenn man von einem dramatischen Stil pwa_313.029
und von dem dramatischen Stil der Griechen und dann wieder von pwa_313.030
dem Stil des Aeschylus spricht. Sie ist aber auch nicht so weit wie pwa_313.031
eine ziemlich verbreitete, die zwischen Stil und Schreibart einen ganz pwa_313.032
willkürlichen Unterschied festsetzt und zu diesem Endzweck in den pwa_313.033
Begriff des Stils Dinge aufnimmt, die eigentlich der Poetik und Rhetorik, pwa_313.034
ja der Logik zugehören: Stil ist nach dieser unterscheidenden pwa_313.035
Definition die Art und Weise, wie man zur Erreichung eines bestimmten pwa_313.036
Zweckes seine Gedanken bildet, ordnet und darstellt; Schreibart pwa_313.037
dagegen die Art und Weise, wie man die Worte, als blosse hörbare pwa_313.038
Ausdrücke genommen, wählt und zusammenstellt, geht also nur auf pwa_313.039
das Verhältniss, in welchem der Vortrag zu den Anforderungen des Wohlklangs pwa_313.040
und allenfalls noch des Periodenbaus steht. Damit aber ist dem pwa_313.041
Stil mehr und der Schreibart weniger gegeben, als ihnen gebührt.

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weiten Gebiete aller Kunst, auch der bildlichen, auch der Musik, pwa_313.002
nennen wir es Stil, wo sich in der äusseren Darstellung eine innere pwa_313.003
Eigenthümlichkeit durch characteristische Merkmale deutlich ausspricht: pwa_313.004
wir sprechen also z. B. auch von einem romanischen Stil in der Baukunst, pwa_313.005
von einem Stile Rafaels und Sebastian Bachs; ja die Künstler pwa_313.006
sagen ganz im Allgemeinen, ohne irgend eine nähere Bestimmung pwa_313.007
z. B. von einem Gefässe, es habe Stil, wenn dasselbe zweckmässig pwa_313.008
und schön und zugleich in irgendwie eigenthümlicher Weise gestaltet pwa_313.009
ist. Insbesondre aber gebrauchen auch wir das Wort Stil in Bezug pwa_313.010
auf sprachliche Darstellung, sei das nun prosaische oder poetische; pwa_313.011
synonym damit ist der Ausdruck Schreibart; synonym, aber nicht pwa_313.012
gleichbedeutend: man kann in allen Fällen Stil sagen, aber nicht in pwa_313.013
allen Schreibart. Von einer Abhandlung kann man sowohl Stil als pwa_313.014
Schreibart gebrauchen: von einem Lied, einer Predigt nur Stil, nicht pwa_313.015
Schreibart, selbst wenn Lied und Predigt auch geschrieben vor einem pwa_313.016
liegen und bloss gelesen, nicht gesungen, nicht gesprochen werden; pwa_313.017
für die Reproduction und die Beurtheilung nimmt man sie doch immer pwa_313.018
als gesungen und gesprochen. Sollen wir nun den Begriff des Wortes pwa_313.019
Stil in dieser seiner besonderen Beziehung auf die sprachliche Darstellung pwa_313.020
noch näher definieren, so wird das ungefähr in folgender pwa_313.021
Weise geschehen können: Stil ist die Art und Weise der Darstellung pwa_313.022
durch die Sprache, wie sie bedingt ist theils durch die geistige pwa_313.023
Eigenthümlichkeit der Darstellenden, theils durch Inhalt und Zweck pwa_313.024
des Dargestellten. Diese Definition ist weder zu weit noch zu eng. pwa_313.025
Sie ist weit genug, dass all die verschiedenen Anwendungen, die man pwa_313.026
innerhalb der Litteratur von dem Worte Stil macht und durchaus pwa_313.027
billiger Weise macht, sich damit wohl vereinigen lassen, dass es also pwa_313.028
ganz wohl zu ihr stimmt, wenn man von einem dramatischen Stil pwa_313.029
und von dem dramatischen Stil der Griechen und dann wieder von pwa_313.030
dem Stil des Aeschylus spricht. Sie ist aber auch nicht so weit wie pwa_313.031
eine ziemlich verbreitete, die zwischen Stil und Schreibart einen ganz pwa_313.032
willkürlichen Unterschied festsetzt und zu diesem Endzweck in den pwa_313.033
Begriff des Stils Dinge aufnimmt, die eigentlich der Poetik und Rhetorik, pwa_313.034
ja der Logik zugehören: Stil ist nach dieser unterscheidenden pwa_313.035
Definition die Art und Weise, wie man zur Erreichung eines bestimmten pwa_313.036
Zweckes seine Gedanken bildet, ordnet und darstellt; Schreibart pwa_313.037
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Ausdrücke genommen, wählt und zusammenstellt, geht also nur auf pwa_313.039
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und allenfalls noch des Periodenbaus steht. Damit aber ist dem pwa_313.041
Stil mehr und der Schreibart weniger gegeben, als ihnen gebührt.

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/331>, abgerufen am 24.11.2024.