Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_259.001 pwa_259.031 pwa_259.001 pwa_259.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0277" n="259"/><lb n="pwa_259.001"/> Engländern und Franzosen nachgeahmt worden; bei uns namentlich <lb n="pwa_259.002"/> von Wieland in dessen Gesprächen im Elysium und in den Neuen <lb n="pwa_259.003"/> Göttergesprächen. Damit zusammenzustellen sind die meisten Idyllen <lb n="pwa_259.004"/> Salomon Gessners und Maler Müllers, insofern die meisten eben solche <lb n="pwa_259.005"/> Gespräche sind, solche dialogische Entwickelungen episch motivierter <lb n="pwa_259.006"/> innerer Zustände, nur Gespräche von Schäfern und Schäferinnen und <lb n="pwa_259.007"/> Satyrn u. dgl. Es ist nicht zufällig, dass diese ganze Art und Form <lb n="pwa_259.008"/> bei den Griechen erst so spät aufgekommen und zu uns nur durch <lb n="pwa_259.009"/> Nachahmung gelangt und jetzt seit Langem wieder ungebräuchlich <lb n="pwa_259.010"/> geworden ist: sie hat etwas Unkünstlerisches, das man nicht wohl <lb n="pwa_259.011"/> läugnen kann: hier, wo der Dialog nicht innerhalb eines Romans, <lb n="pwa_259.012"/> nicht organisches Glied solch eines grösseren Ganzen ist, sondern für <lb n="pwa_259.013"/> sich allein dasteht, macht er auch für sich selbst Ansprüche und sollte <lb n="pwa_259.014"/> nun diese Ansprüche durch grössere Kunstmässigkeit der Darstellungsform <lb n="pwa_259.015"/> zu bekräftigen und zu sichern suchen: grade hier erscheint das <lb n="pwa_259.016"/> prosaische Gewand einer in sich poetischen Production in seiner vollsten <lb n="pwa_259.017"/> Ungehörigkeit. Auch die griechischen Idyllendichter und nach <lb n="pwa_259.018"/> ihnen Virgil bedienten sich wiederholendlich der Gesprächsform; aber <lb n="pwa_259.019"/> diese dialogischen Idyllen sind wie die anderen ganz dichterisch gestaltet, <lb n="pwa_259.020"/> auch in Versen abgefasst. Und schon in einer viel früheren Zeit hatte <lb n="pwa_259.021"/> die griechische Litteratur solche abgerissene Gespräche: die <foreign xml:lang="grc">μῖμοι</foreign> des <lb n="pwa_259.022"/> Syracusaners Sophron, eines Zeitgenossen des Euripides, so genannt, <lb n="pwa_259.023"/> weil darin das gewöhnliche Leben in seinen Sitten und Characteren <lb n="pwa_259.024"/> mit treuer Nachahmung aufgefasst und dargestellt wurde: aber auch <lb n="pwa_259.025"/> diese Mimen waren nicht prosaisch, wenn schon man es hin und <lb n="pwa_259.026"/> wieder so angegeben findet: es ist dargethan, dass sich Sophron nur <lb n="pwa_259.027"/> eine grössere Freiheit im wechselnden Rhythmus und Längenmass der <lb n="pwa_259.028"/> Verse genommen, dass er sich in diesen seinen halbdramatischen <lb n="pwa_259.029"/> Dichtungen nur nicht der im eigentlichen Drama für den Dialog <lb n="pwa_259.030"/> gewohnten Versarten bedient habe.</p> <p><lb n="pwa_259.031"/> Sodann die <hi rendition="#b">Beschreibung,</hi> diese das prosaische Gegenbild der <lb n="pwa_259.032"/> didactischen Epik: sie hat es gleich dieser mit der ruhenden Wirklichkeit <lb n="pwa_259.033"/> zu thun. Aber sie handhabt diesen Stoff doch in anderer <lb n="pwa_259.034"/> Weise. Die didactische Epik hat stäts ein lyrisches Element, ihre <lb n="pwa_259.035"/> Lehren haben Bezug auf das Gefühl: hier dagegen, hier in einer prosaischen <lb n="pwa_259.036"/> Schrift wird hauptsächlich eine vom Verstand zum Verstande <lb n="pwa_259.037"/> gerichtete Belehrung bezweckt, hier kann Beziehung auf das Gefühl <lb n="pwa_259.038"/> nicht gefordert werden. Eins jedoch ist auch hier nothwendig, nämlich <lb n="pwa_259.039"/> dass der Verfasser durch eine gleichsam historische Entwickelung <lb n="pwa_259.040"/> es der Einbildungskraft möglich mache, dem reproducierenden Verstande <lb n="pwa_259.041"/> hilfreiche Dienste zu leisten. Und dadurch reiht sich dann die </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [259/0277]
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Engländern und Franzosen nachgeahmt worden; bei uns namentlich pwa_259.002
von Wieland in dessen Gesprächen im Elysium und in den Neuen pwa_259.003
Göttergesprächen. Damit zusammenzustellen sind die meisten Idyllen pwa_259.004
Salomon Gessners und Maler Müllers, insofern die meisten eben solche pwa_259.005
Gespräche sind, solche dialogische Entwickelungen episch motivierter pwa_259.006
innerer Zustände, nur Gespräche von Schäfern und Schäferinnen und pwa_259.007
Satyrn u. dgl. Es ist nicht zufällig, dass diese ganze Art und Form pwa_259.008
bei den Griechen erst so spät aufgekommen und zu uns nur durch pwa_259.009
Nachahmung gelangt und jetzt seit Langem wieder ungebräuchlich pwa_259.010
geworden ist: sie hat etwas Unkünstlerisches, das man nicht wohl pwa_259.011
läugnen kann: hier, wo der Dialog nicht innerhalb eines Romans, pwa_259.012
nicht organisches Glied solch eines grösseren Ganzen ist, sondern für pwa_259.013
sich allein dasteht, macht er auch für sich selbst Ansprüche und sollte pwa_259.014
nun diese Ansprüche durch grössere Kunstmässigkeit der Darstellungsform pwa_259.015
zu bekräftigen und zu sichern suchen: grade hier erscheint das pwa_259.016
prosaische Gewand einer in sich poetischen Production in seiner vollsten pwa_259.017
Ungehörigkeit. Auch die griechischen Idyllendichter und nach pwa_259.018
ihnen Virgil bedienten sich wiederholendlich der Gesprächsform; aber pwa_259.019
diese dialogischen Idyllen sind wie die anderen ganz dichterisch gestaltet, pwa_259.020
auch in Versen abgefasst. Und schon in einer viel früheren Zeit hatte pwa_259.021
die griechische Litteratur solche abgerissene Gespräche: die μῖμοι des pwa_259.022
Syracusaners Sophron, eines Zeitgenossen des Euripides, so genannt, pwa_259.023
weil darin das gewöhnliche Leben in seinen Sitten und Characteren pwa_259.024
mit treuer Nachahmung aufgefasst und dargestellt wurde: aber auch pwa_259.025
diese Mimen waren nicht prosaisch, wenn schon man es hin und pwa_259.026
wieder so angegeben findet: es ist dargethan, dass sich Sophron nur pwa_259.027
eine grössere Freiheit im wechselnden Rhythmus und Längenmass der pwa_259.028
Verse genommen, dass er sich in diesen seinen halbdramatischen pwa_259.029
Dichtungen nur nicht der im eigentlichen Drama für den Dialog pwa_259.030
gewohnten Versarten bedient habe.
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Sodann die Beschreibung, diese das prosaische Gegenbild der pwa_259.032
didactischen Epik: sie hat es gleich dieser mit der ruhenden Wirklichkeit pwa_259.033
zu thun. Aber sie handhabt diesen Stoff doch in anderer pwa_259.034
Weise. Die didactische Epik hat stäts ein lyrisches Element, ihre pwa_259.035
Lehren haben Bezug auf das Gefühl: hier dagegen, hier in einer prosaischen pwa_259.036
Schrift wird hauptsächlich eine vom Verstand zum Verstande pwa_259.037
gerichtete Belehrung bezweckt, hier kann Beziehung auf das Gefühl pwa_259.038
nicht gefordert werden. Eins jedoch ist auch hier nothwendig, nämlich pwa_259.039
dass der Verfasser durch eine gleichsam historische Entwickelung pwa_259.040
es der Einbildungskraft möglich mache, dem reproducierenden Verstande pwa_259.041
hilfreiche Dienste zu leisten. Und dadurch reiht sich dann die
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