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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Prosa, als ein Gemisch von Erzählung und Abhandlung betrachten pwa_247.002
dürfen. Werke, die ganz oder stellenweise so beschaffen sind, pwa_247.003
werden deshalb auch ganz oder stellenweise ausserhalb der eigentlichen pwa_247.004
Geschichtsschreibung liegen. Leider so die Werke der meisten pwa_247.005
neueren Historiker; Muster reiner, ungetrübter Darstellung finden sich pwa_247.006
fast nur bei den Alten, bei den Griechen und Römern; unter den pwa_247.007
Neueren etwa noch bei den Engländern und Franzosen.

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Ziemlich auf Einer Stufe mit dieser unkünstlerischen Einmischung pwa_247.009
der Forschungen steht, und es begleitet dieselbe gewöhnlich die Einflechtung pwa_247.010
von Auszügen aus den Quellenschriften. Damit hört der Historiker pwa_247.011
eigentlich auf zu erzählen, wenigstens er als solcher erzählt nicht pwa_247.012
mehr, und seine Darstellung verliert jene Gleichmässigkeit des Einen pwa_247.013
Gusses, bei der allein die ruhige Erfassbarkeit und Objectivität möglich pwa_247.014
ist; statt dessen giebt er nur eine bunt zerstreute und zerstreuende pwa_247.015
Mosaik. Damit soll nicht gesagt sein, dass dergleichen ganz und gar pwa_247.016
zu vermeiden und überall ein Fehler sei: mitunter kann sogar ein pwa_247.017
geschickt angebrachtes Zeugniss, kann die Aussage eines den erzählten pwa_247.018
Ereignissen gleichzeitigen Schriftstellers viel dazu beitragen, die pwa_247.019
Ereignisse selbst zu veranschaulichen, zu objectivieren, da sie unmittelbar pwa_247.020
aus dem Geiste jener Zeit selbst entsprungen ist. Aber immer pwa_247.021
und immer wiederkommen darf dergleichen nicht; der Text der Erzählung pwa_247.022
ist keinesfalls das rechte Bett für den ganzen, vollen Strom von pwa_247.023
Beweisstellen, den etwa ein Historiker vorführen kann: dazu giebt es pwa_247.024
Anmerkungen; an denselben Ort verweist er auch am besten die pwa_247.025
Untersuchungen.

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Der Historiker soll erzählen, soll Thatsachen in ihrem ununterbrochenen pwa_247.027
Verlaufe darstellen. Da darf er denn auch zweitens nichts pwa_247.028
einmischen von seinen subjectiven Empfindungen, nichts von seinen pwa_247.029
subjectiven Urtheilen. Es stört schon die epische Anschaulichkeit, pwa_247.030
wenn der Epiker seine Erzählung mit sentimentalen Abschweifungen pwa_247.031
begleitet, und doch liegt der Einbildung, auf welcher das Epos zumeist pwa_247.032
beruht, das Gefühl nicht so fern als dem Verstande: wie viel mehr pwa_247.033
stört es daher die Objectivität eines historischen Werkes, das zunächst pwa_247.034
Verstandessache ist, wenn der Autor den Ausdruck seiner Empfindung pwa_247.035
nicht zurückhalten kann. Ebenso wenig darf sich aber auch der Verstand pwa_247.036
selbst in didactischer Weise geltend machen: er soll hier nur pwa_247.037
das Wahre erforschen und soll es zu einer objectiven, verständlichen pwa_247.038
Darstellung bringen; dazu können aber Reflexionen wenig helfen, pwa_247.039
welcher Art sie nun sein mögen, philosophisch oder politisch oder pwa_247.040
moralisch. Erzählt der Historiker nur Alles in rechter Treue und pwa_247.041
Deutlichkeit, und wo möglich von der Idee her, so kann ein verständiger

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Prosa, als ein Gemisch von Erzählung und Abhandlung betrachten pwa_247.002
dürfen. Werke, die ganz oder stellenweise so beschaffen sind, pwa_247.003
werden deshalb auch ganz oder stellenweise ausserhalb der eigentlichen pwa_247.004
Geschichtsschreibung liegen. Leider so die Werke der meisten pwa_247.005
neueren Historiker; Muster reiner, ungetrübter Darstellung finden sich pwa_247.006
fast nur bei den Alten, bei den Griechen und Römern; unter den pwa_247.007
Neueren etwa noch bei den Engländern und Franzosen.

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Ziemlich auf Einer Stufe mit dieser unkünstlerischen Einmischung pwa_247.009
der Forschungen steht, und es begleitet dieselbe gewöhnlich die Einflechtung pwa_247.010
von Auszügen aus den Quellenschriften. Damit hört der Historiker pwa_247.011
eigentlich auf zu erzählen, wenigstens er als solcher erzählt nicht pwa_247.012
mehr, und seine Darstellung verliert jene Gleichmässigkeit des Einen pwa_247.013
Gusses, bei der allein die ruhige Erfassbarkeit und Objectivität möglich pwa_247.014
ist; statt dessen giebt er nur eine bunt zerstreute und zerstreuende pwa_247.015
Mosaik. Damit soll nicht gesagt sein, dass dergleichen ganz und gar pwa_247.016
zu vermeiden und überall ein Fehler sei: mitunter kann sogar ein pwa_247.017
geschickt angebrachtes Zeugniss, kann die Aussage eines den erzählten pwa_247.018
Ereignissen gleichzeitigen Schriftstellers viel dazu beitragen, die pwa_247.019
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aus dem Geiste jener Zeit selbst entsprungen ist. Aber immer pwa_247.021
und immer wiederkommen darf dergleichen nicht; der Text der Erzählung pwa_247.022
ist keinesfalls das rechte Bett für den ganzen, vollen Strom von pwa_247.023
Beweisstellen, den etwa ein Historiker vorführen kann: dazu giebt es pwa_247.024
Anmerkungen; an denselben Ort verweist er auch am besten die pwa_247.025
Untersuchungen.

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Der Historiker soll erzählen, soll Thatsachen in ihrem ununterbrochenen pwa_247.027
Verlaufe darstellen. Da darf er denn auch zweitens nichts pwa_247.028
einmischen von seinen subjectiven Empfindungen, nichts von seinen pwa_247.029
subjectiven Urtheilen. Es stört schon die epische Anschaulichkeit, pwa_247.030
wenn der Epiker seine Erzählung mit sentimentalen Abschweifungen pwa_247.031
begleitet, und doch liegt der Einbildung, auf welcher das Epos zumeist pwa_247.032
beruht, das Gefühl nicht so fern als dem Verstande: wie viel mehr pwa_247.033
stört es daher die Objectivität eines historischen Werkes, das zunächst pwa_247.034
Verstandessache ist, wenn der Autor den Ausdruck seiner Empfindung pwa_247.035
nicht zurückhalten kann. Ebenso wenig darf sich aber auch der Verstand pwa_247.036
selbst in didactischer Weise geltend machen: er soll hier nur pwa_247.037
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/265>, abgerufen am 25.11.2024.