Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_243.001 pwa_243.013 pwa_243.035 1 pwa_243.038
Polyb. 9, 2, 15 o pragmatikos tropos tes istorias; 1, 2, 8 o tes pragmatikes pwa_243.039 istorias tropos. pwa_243.001 pwa_243.013 pwa_243.035 1 pwa_243.038
Polyb. 9, 2, 15 ὁ πραγματικὸς τρόπος τῆς ἱστορίας; 1, 2, 8 ὁ τῆς πραγματικῆς pwa_243.039 ἱστορίας τρόπος. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0261" n="243"/><lb n="pwa_243.001"/> keine, damit sie die Idee in ein helleres Licht setze: da braucht er endlich <lb n="pwa_243.002"/> auch nichts umzugestalten, sondern gestaltet nur, bildet nur nach, was <lb n="pwa_243.003"/> er vorfindet, und bevor er es nachbildet, prüft er, ob er auch das Wahre <lb n="pwa_243.004"/> vorgefunden habe. Aber, wie gesagt, bei all dieser resignierenden Treue, <lb n="pwa_243.005"/> all diesem rein verständigen Forschen wird ein rechter Historiker immerfort <lb n="pwa_243.006"/> auch auf die Idee sein Auge richten: er wird sich fort und fort <lb n="pwa_243.007"/> bemühen, sie zu erkennen und mit der unverkürzten Wahrheit zu <lb n="pwa_243.008"/> vereinbaren, sie als den Keim jeder Thatsache, jede Thatsache als <lb n="pwa_243.009"/> ihre Frucht zu fassen und darzustellen und so die Reihe der Ereignisse, <lb n="pwa_243.010"/> die er uns vorführt, zu einem Organismus zu verketten, der durch die <lb n="pwa_243.011"/> Einheit einer inneren Nothwendigkeit zusammengehalten und beseelt <lb n="pwa_243.012"/> sei und erst mit Vollendung der Idee selber ende.</p> <p><lb n="pwa_243.013"/> Diess Verfahren ist es, das allein den vielfach missbrauchten <lb n="pwa_243.014"/> Namen <hi rendition="#i">pragmatische</hi> Geschichtsschreibung verdient. Es hat diese <lb n="pwa_243.015"/> Benennung, um das beiläufig zu erinnern, zuerst Polybius aufgebracht<note xml:id="pwa_243_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_243.038"/> Polyb. 9, 2, 15 <foreign xml:lang="grc">ὁ πραγματικὸς τρόπος τῆς ἱστορίας</foreign><hi rendition="#i">;</hi> 1, 2, 8 <foreign xml:lang="grc">ὁ τῆς πραγματικῆς</foreign> <lb n="pwa_243.039"/> <foreign xml:lang="grc">ἱστορίας τρόπος</foreign>.</note>: <lb n="pwa_243.016"/> bei ihm findet sie sich freilich nur im Gegensatze zum Mythus und <lb n="pwa_243.017"/> zur Sage: er versteht darunter die wahrhafte, die wirkliche Geschichte. <lb n="pwa_243.018"/> Der Historiker bemüht sich also, die Wirksamkeit und Vollendung <lb n="pwa_243.019"/> der Idee innerhalb einer unverkürzten Wahrhaftigkeit der berichteten <lb n="pwa_243.020"/> Thatsachen darzuthun: aber nur zu oft ist diese Bemühung eine fruchtlose, <lb n="pwa_243.021"/> nur zu oft erweist sich ihm statt jenes organischen Zusammenhanges <lb n="pwa_243.022"/> der Idee ein bloss mechanischer, nur zu oft auch nicht einmal <lb n="pwa_243.023"/> dieser. Und dennoch darf er, sobald er gewissenhaft ist und kein <lb n="pwa_243.024"/> Epiker sein will, sondern ein Historiker, den Standpunct nicht verlassen, <lb n="pwa_243.025"/> von welchem aus betrachtet ihm die Dinge so abgerissen, so <lb n="pwa_243.026"/> ohne Leben und Bedeutung erscheinen, den der blossen Verständigkeit. <lb n="pwa_243.027"/> Da zeigt sich denn am herbsten und schärfsten der Contrast der <lb n="pwa_243.028"/> Geschichte zur Sage, der Historie zur Epik, das Unkünstlerische, <lb n="pwa_243.029"/> das verglichen mit den Anschauungen der episch erzählenden Poesie <lb n="pwa_243.030"/> denen der historisch erzählenden Prosa beiwohnt: denn die Sage würde <lb n="pwa_243.031"/> mit der Kühnheit der schöpferischen Phantasie jene der Idee widerstreitenden <lb n="pwa_243.032"/> Einzelheiten entweder ganz beseitigen oder sonst wie den <lb n="pwa_243.033"/> Zusammenhang herzustellen wissen, den der Verstand nicht zu erkennen <lb n="pwa_243.034"/> vermag.</p> <p><lb n="pwa_243.035"/> Es giebt nun freilich Arten von Geschichtsschreibung, wo der <lb n="pwa_243.036"/> Verfasser niemals in jene schmerzliche Verlegenheit geräth; es giebt <lb n="pwa_243.037"/> Historiker und historische Schriften, in denen gar nirgend ein Bemühen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [243/0261]
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keine, damit sie die Idee in ein helleres Licht setze: da braucht er endlich pwa_243.002
auch nichts umzugestalten, sondern gestaltet nur, bildet nur nach, was pwa_243.003
er vorfindet, und bevor er es nachbildet, prüft er, ob er auch das Wahre pwa_243.004
vorgefunden habe. Aber, wie gesagt, bei all dieser resignierenden Treue, pwa_243.005
all diesem rein verständigen Forschen wird ein rechter Historiker immerfort pwa_243.006
auch auf die Idee sein Auge richten: er wird sich fort und fort pwa_243.007
bemühen, sie zu erkennen und mit der unverkürzten Wahrheit zu pwa_243.008
vereinbaren, sie als den Keim jeder Thatsache, jede Thatsache als pwa_243.009
ihre Frucht zu fassen und darzustellen und so die Reihe der Ereignisse, pwa_243.010
die er uns vorführt, zu einem Organismus zu verketten, der durch die pwa_243.011
Einheit einer inneren Nothwendigkeit zusammengehalten und beseelt pwa_243.012
sei und erst mit Vollendung der Idee selber ende.
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Diess Verfahren ist es, das allein den vielfach missbrauchten pwa_243.014
Namen pragmatische Geschichtsschreibung verdient. Es hat diese pwa_243.015
Benennung, um das beiläufig zu erinnern, zuerst Polybius aufgebracht 1: pwa_243.016
bei ihm findet sie sich freilich nur im Gegensatze zum Mythus und pwa_243.017
zur Sage: er versteht darunter die wahrhafte, die wirkliche Geschichte. pwa_243.018
Der Historiker bemüht sich also, die Wirksamkeit und Vollendung pwa_243.019
der Idee innerhalb einer unverkürzten Wahrhaftigkeit der berichteten pwa_243.020
Thatsachen darzuthun: aber nur zu oft ist diese Bemühung eine fruchtlose, pwa_243.021
nur zu oft erweist sich ihm statt jenes organischen Zusammenhanges pwa_243.022
der Idee ein bloss mechanischer, nur zu oft auch nicht einmal pwa_243.023
dieser. Und dennoch darf er, sobald er gewissenhaft ist und kein pwa_243.024
Epiker sein will, sondern ein Historiker, den Standpunct nicht verlassen, pwa_243.025
von welchem aus betrachtet ihm die Dinge so abgerissen, so pwa_243.026
ohne Leben und Bedeutung erscheinen, den der blossen Verständigkeit. pwa_243.027
Da zeigt sich denn am herbsten und schärfsten der Contrast der pwa_243.028
Geschichte zur Sage, der Historie zur Epik, das Unkünstlerische, pwa_243.029
das verglichen mit den Anschauungen der episch erzählenden Poesie pwa_243.030
denen der historisch erzählenden Prosa beiwohnt: denn die Sage würde pwa_243.031
mit der Kühnheit der schöpferischen Phantasie jene der Idee widerstreitenden pwa_243.032
Einzelheiten entweder ganz beseitigen oder sonst wie den pwa_243.033
Zusammenhang herzustellen wissen, den der Verstand nicht zu erkennen pwa_243.034
vermag.
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Es giebt nun freilich Arten von Geschichtsschreibung, wo der pwa_243.036
Verfasser niemals in jene schmerzliche Verlegenheit geräth; es giebt pwa_243.037
Historiker und historische Schriften, in denen gar nirgend ein Bemühen
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ἱστορίας τρόπος.
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