Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_173.001 pwa_173.007 pwa_173.016 1 pwa_173.039
Die lateinische, fabula, ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich pwa_173.040 so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element. pwa_173.001 pwa_173.007 pwa_173.016 1 pwa_173.039
Die lateinische, fabula, ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich pwa_173.040 so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0191" n="173"/><lb n="pwa_173.001"/> Beschränkung wie die Plastik. Denn durch die Perspective, durch <lb n="pwa_173.002"/> die Breite der Ausdehnung und die Weite des Hintergrundes, die sie <lb n="pwa_173.003"/> ihren Bildern geben kann, ist ihr die Möglichkeit eröffnet, einen historischen <lb n="pwa_173.004"/> Verlauf anzudeuten und wenigstens errathen zu lassen, welcherlei <lb n="pwa_173.005"/> Begebenheiten dieser momentan fixierten vorangegangen seien, <lb n="pwa_173.006"/> und welche ihr nachfolgen werden.</p> <p><lb n="pwa_173.007"/> Durch diese Verschmelzung des Lyrischen mit dem Epischen, der <lb n="pwa_173.008"/> innern Zustände mit der äusseren Wirklichkeit, der Empfindung mit <lb n="pwa_173.009"/> den Begebenheiten werden diese letzteren erst zu dem, was man eine <lb n="pwa_173.010"/> <hi rendition="#i">Handlung</hi> nennt: denn nun erst, wo sich die inneren Motive in ihrer <lb n="pwa_173.011"/> vollsten Geltung und Einwirkung zeigen, erscheint das, was geschieht, <lb n="pwa_173.012"/> auch als ein wirklich Gethanes; es begiebt sich nicht bloss, wie im <lb n="pwa_173.013"/> Epos, diess und jenes mit und an den Personen, welche auftreten, <lb n="pwa_173.014"/> sondern sie sind selber thätig, sie handeln. Daher auch die griechische <lb n="pwa_173.015"/> Benennung <foreign xml:lang="grc">δρᾶμα</foreign><note xml:id="pwa_173_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_173.039"/> Die lateinische, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">fabula</foreign>,</hi> ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich <lb n="pwa_173.040"/> so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element.</note>.</p> <p><lb n="pwa_173.016"/> Daraus nun, dass es im Drama nicht auf Begebenheiten, sondern <lb n="pwa_173.017"/> auf Handlung abgesehen ist, folgt zugleich, dass es eben Personen <lb n="pwa_173.018"/> sind, mehr als Eine, die in ihm auftreten: bei einer Begebenheit kann <lb n="pwa_173.019"/> sehr wohl nur eine einzige Person betheiligt sein; zu einer Handlung <lb n="pwa_173.020"/> gehören zum mindesten zwei, grade wie zu einem vollthätigen, transitiven <lb n="pwa_173.021"/> Zeitwort wenigstens zwei Substantiva gehören, ein Subject und <lb n="pwa_173.022"/> ein Object. Auf die Zweizahl beschränkt sich jedoch die dramatische <lb n="pwa_173.023"/> Kunst nur in den Zeiten ihres Beginns und etwa auch in denen der <lb n="pwa_173.024"/> Ausartung: sonst aber pflegt sie den Kreis der Handlung über eine <lb n="pwa_173.025"/> grössere Menge von Personen auszudehnen, und ungefähr wie die <lb n="pwa_173.026"/> Sprache neben dem Nominativ und dem Accusativ noch einen Genitiv, <lb n="pwa_173.027"/> einen Dativ u. s. f. besitzt, so auch ausser dem Handelnden und dem <lb n="pwa_173.028"/> Leidenden, damit die Begebenheiten immer mehr zu wahrer Handlung <lb n="pwa_173.029"/> belebt werden, noch ursächlich wirkende und bloss betheiligte Personen <lb n="pwa_173.030"/> u. s. f. auftreten zu lassen. Die Uebereinstimmung zwischen der <lb n="pwa_173.031"/> Malerei und dem Drama bewährt sich auch auf diesem Puncte. Die <lb n="pwa_173.032"/> Plastik kann, da sie immer nur einen einzelnen Moment fixiert, auch <lb n="pwa_173.033"/> immer nur höchstens Begebenheiten und nie eine rechte Handlung <lb n="pwa_173.034"/> darstellen; zudem ist sie schon durch die Beschaffenheit ihres Materials <lb n="pwa_173.035"/> auf wenige oder gar Eine Gestalt eingeschränkt. Anders die Malerei. <lb n="pwa_173.036"/> Sie kann, wie vorher bemerkt worden, die Vergangenheit und die <lb n="pwa_173.037"/> Zukunft, die vor und hinter der augenblicklichen Gegenwart liegen, <lb n="pwa_173.038"/> wenigstens andeuten: schon das hilft ihr die Begebenheit zur Handlung </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [173/0191]
pwa_173.001
Beschränkung wie die Plastik. Denn durch die Perspective, durch pwa_173.002
die Breite der Ausdehnung und die Weite des Hintergrundes, die sie pwa_173.003
ihren Bildern geben kann, ist ihr die Möglichkeit eröffnet, einen historischen pwa_173.004
Verlauf anzudeuten und wenigstens errathen zu lassen, welcherlei pwa_173.005
Begebenheiten dieser momentan fixierten vorangegangen seien, pwa_173.006
und welche ihr nachfolgen werden.
pwa_173.007
Durch diese Verschmelzung des Lyrischen mit dem Epischen, der pwa_173.008
innern Zustände mit der äusseren Wirklichkeit, der Empfindung mit pwa_173.009
den Begebenheiten werden diese letzteren erst zu dem, was man eine pwa_173.010
Handlung nennt: denn nun erst, wo sich die inneren Motive in ihrer pwa_173.011
vollsten Geltung und Einwirkung zeigen, erscheint das, was geschieht, pwa_173.012
auch als ein wirklich Gethanes; es begiebt sich nicht bloss, wie im pwa_173.013
Epos, diess und jenes mit und an den Personen, welche auftreten, pwa_173.014
sondern sie sind selber thätig, sie handeln. Daher auch die griechische pwa_173.015
Benennung δρᾶμα 1.
pwa_173.016
Daraus nun, dass es im Drama nicht auf Begebenheiten, sondern pwa_173.017
auf Handlung abgesehen ist, folgt zugleich, dass es eben Personen pwa_173.018
sind, mehr als Eine, die in ihm auftreten: bei einer Begebenheit kann pwa_173.019
sehr wohl nur eine einzige Person betheiligt sein; zu einer Handlung pwa_173.020
gehören zum mindesten zwei, grade wie zu einem vollthätigen, transitiven pwa_173.021
Zeitwort wenigstens zwei Substantiva gehören, ein Subject und pwa_173.022
ein Object. Auf die Zweizahl beschränkt sich jedoch die dramatische pwa_173.023
Kunst nur in den Zeiten ihres Beginns und etwa auch in denen der pwa_173.024
Ausartung: sonst aber pflegt sie den Kreis der Handlung über eine pwa_173.025
grössere Menge von Personen auszudehnen, und ungefähr wie die pwa_173.026
Sprache neben dem Nominativ und dem Accusativ noch einen Genitiv, pwa_173.027
einen Dativ u. s. f. besitzt, so auch ausser dem Handelnden und dem pwa_173.028
Leidenden, damit die Begebenheiten immer mehr zu wahrer Handlung pwa_173.029
belebt werden, noch ursächlich wirkende und bloss betheiligte Personen pwa_173.030
u. s. f. auftreten zu lassen. Die Uebereinstimmung zwischen der pwa_173.031
Malerei und dem Drama bewährt sich auch auf diesem Puncte. Die pwa_173.032
Plastik kann, da sie immer nur einen einzelnen Moment fixiert, auch pwa_173.033
immer nur höchstens Begebenheiten und nie eine rechte Handlung pwa_173.034
darstellen; zudem ist sie schon durch die Beschaffenheit ihres Materials pwa_173.035
auf wenige oder gar Eine Gestalt eingeschränkt. Anders die Malerei. pwa_173.036
Sie kann, wie vorher bemerkt worden, die Vergangenheit und die pwa_173.037
Zukunft, die vor und hinter der augenblicklichen Gegenwart liegen, pwa_173.038
wenigstens andeuten: schon das hilft ihr die Begebenheit zur Handlung
1 pwa_173.039
Die lateinische, fabula, ist minder passlich: sie berührt, da sie eigentlich pwa_173.040
so viel als Erzählung heisst, nur das epische Element.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |