Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_145.001 1 pwa_145.038
E R', o philoi, kat' ameusiporous triodous edinathen, orthan keleuthon ion pwa_145.039 toprin? e me tis anemos exo ploou ebalen, os ot' akaton einalian. pwa_145.001 1 pwa_145.038
Ἤ ῥ', ὦ φίλοι, κατ' ἀμευσιπόρους τριόδους ἐδινάθην, ὀρθὰν κέλευθον ἰὼν pwa_145.039 τοπρίν; ἤ μέ τις ἄνεμος ἔξω πλόου ἔβαλεν, ὡς ὅτ' ἄκατον εἰναλίαν. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0163" n="145"/><lb n="pwa_145.001"/> das rechte Mass gefunden, das sowohl den allgemeinen Anforderungen <lb n="pwa_145.002"/> der Kunst als der besonderen Eigenthümlichkeit eines Dichters Rechnung <lb n="pwa_145.003"/> zu tragen weiss. Schon das Alterthum, schon die Zeitgenossen <lb n="pwa_145.004"/> Pindars haben sich zuweilen daran gestossen. So wird erzählt, als <lb n="pwa_145.005"/> er einmal einen Hymnus auf die Thebaner gedichtet und gleich zu <lb n="pwa_145.006"/> Anfange in sechs Versen fast ein Dutzend verschiedenartiger sagenhafter <lb n="pwa_145.007"/> Beziehungen angehäuft habe, habe die thebanische Dichterin Korinna <lb n="pwa_145.008"/> lächelnd gesagt: „Mit der Hand muss man säen, nicht mit dem Sack“ <lb n="pwa_145.009"/> (Plut. de glor. Athen. 347 E). Ja er selbst wird sich mitunter dessen <lb n="pwa_145.010"/> bewusst, wie er in dem weiten Erguss des Gesanges den rechten <lb n="pwa_145.011"/> Weg verliere: so ruft er in der elften pythischen Ode (V. 38 fgg.): <lb n="pwa_145.012"/> „Wie weit, Freunde, bin ich in meiner Bahn auf Dreizackwege verirrt! <lb n="pwa_145.013"/> und gieng erst richtig einher. Oder hat meinen Gesang auf seinem <lb n="pwa_145.014"/> Wege der Sturm verschlagen wie ein Fahrzeug des Meeres?“<note xml:id="pwa_145_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_145.038"/><foreign xml:lang="grc">Ἤ ῥ', ὦ φίλοι, κατ' ἀμευσιπόρους τριόδους ἐδινάθην, ὀρθὰν κέλευθον ἰὼν</foreign><lb n="pwa_145.039"/><foreign xml:lang="grc">τοπρίν; ἤ μέ τις ἄνεμος ἔξω πλόου ἔβαλεν, ὡς ὅτ' ἄκατον εἰναλίαν</foreign>.</note> Im <lb n="pwa_145.015"/> Grunde fallen beide Eigenthümlichkeiten, die Fülle des Inhalts und <lb n="pwa_145.016"/> die schnellen Sprünge, durchaus zusammen: die eine besteht nur durch <lb n="pwa_145.017"/> die andre: nur indem er unvermuthet von Diesem zu Jenem übergeht, <lb n="pwa_145.018"/> kann er so nach allen Seiten hin in den Schatz von Sagen und Mythen <lb n="pwa_145.019"/> greifen, und wiederum führt ihn diess Letztere so oft seitwärts und <lb n="pwa_145.020"/> über das Ziel hinaus, dass er nur durch einen kühnen Sprung sich <lb n="pwa_145.021"/> noch zurückschwingen kann auf die rechte Bahn und den alten Weg. <lb n="pwa_145.022"/> Es wäre angenehm und lehrreich, diese Bemerkungen weiter auszuführen, <lb n="pwa_145.023"/> indem wir einige seiner Dichtungen zergliederten und daran <lb n="pwa_145.024"/> nachzuweisen suchten, wie da überall der epische Stoff nur der Lyrik <lb n="pwa_145.025"/> diene, nicht aber umgekehrt, und wie der leiseste Anlass genug sei, <lb n="pwa_145.026"/> um sein Gemüth zu solch einem stürmenden Gange über das Gebiet <lb n="pwa_145.027"/> der Sage und des Mythos hin anzufeuern. Indessen würde uns das <lb n="pwa_145.028"/> für unsre Zwecke zu weit führen und zu lange aufhalten. Ueberhaupt <lb n="pwa_145.029"/> können wir uns jetzt von Pindar abwenden und nur noch diess Eine <lb n="pwa_145.030"/> bemerken, dass, indem er die Mythen eben als Lyriker, nicht als <lb n="pwa_145.031"/> Epiker in sich aufnimmt, indem sein Geist sie ergreift, nicht aber <lb n="pwa_145.032"/> sie seinen Geist, dass er da nicht selten auf das Gebiet der Didactik, <lb n="pwa_145.033"/> der lehrhaften Betrachtung überspringt. Denn, wie bereits vorher <lb n="pwa_145.034"/> erwähnt, er hält sich, wo er Mythen und Sagen erzählt, nicht mit <lb n="pwa_145.035"/> der Treue eines Epikers an das, was überliefert ist, sondern er verfährt <lb n="pwa_145.036"/> mit der Sage und dem Mythus ungefähr so, wie die Sage selbst <lb n="pwa_145.037"/> mit der Geschichte verfährt; er ändert, lässt weg, setzt hinzu, wenn </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [145/0163]
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das rechte Mass gefunden, das sowohl den allgemeinen Anforderungen pwa_145.002
der Kunst als der besonderen Eigenthümlichkeit eines Dichters Rechnung pwa_145.003
zu tragen weiss. Schon das Alterthum, schon die Zeitgenossen pwa_145.004
Pindars haben sich zuweilen daran gestossen. So wird erzählt, als pwa_145.005
er einmal einen Hymnus auf die Thebaner gedichtet und gleich zu pwa_145.006
Anfange in sechs Versen fast ein Dutzend verschiedenartiger sagenhafter pwa_145.007
Beziehungen angehäuft habe, habe die thebanische Dichterin Korinna pwa_145.008
lächelnd gesagt: „Mit der Hand muss man säen, nicht mit dem Sack“ pwa_145.009
(Plut. de glor. Athen. 347 E). Ja er selbst wird sich mitunter dessen pwa_145.010
bewusst, wie er in dem weiten Erguss des Gesanges den rechten pwa_145.011
Weg verliere: so ruft er in der elften pythischen Ode (V. 38 fgg.): pwa_145.012
„Wie weit, Freunde, bin ich in meiner Bahn auf Dreizackwege verirrt! pwa_145.013
und gieng erst richtig einher. Oder hat meinen Gesang auf seinem pwa_145.014
Wege der Sturm verschlagen wie ein Fahrzeug des Meeres?“ 1 Im pwa_145.015
Grunde fallen beide Eigenthümlichkeiten, die Fülle des Inhalts und pwa_145.016
die schnellen Sprünge, durchaus zusammen: die eine besteht nur durch pwa_145.017
die andre: nur indem er unvermuthet von Diesem zu Jenem übergeht, pwa_145.018
kann er so nach allen Seiten hin in den Schatz von Sagen und Mythen pwa_145.019
greifen, und wiederum führt ihn diess Letztere so oft seitwärts und pwa_145.020
über das Ziel hinaus, dass er nur durch einen kühnen Sprung sich pwa_145.021
noch zurückschwingen kann auf die rechte Bahn und den alten Weg. pwa_145.022
Es wäre angenehm und lehrreich, diese Bemerkungen weiter auszuführen, pwa_145.023
indem wir einige seiner Dichtungen zergliederten und daran pwa_145.024
nachzuweisen suchten, wie da überall der epische Stoff nur der Lyrik pwa_145.025
diene, nicht aber umgekehrt, und wie der leiseste Anlass genug sei, pwa_145.026
um sein Gemüth zu solch einem stürmenden Gange über das Gebiet pwa_145.027
der Sage und des Mythos hin anzufeuern. Indessen würde uns das pwa_145.028
für unsre Zwecke zu weit führen und zu lange aufhalten. Ueberhaupt pwa_145.029
können wir uns jetzt von Pindar abwenden und nur noch diess Eine pwa_145.030
bemerken, dass, indem er die Mythen eben als Lyriker, nicht als pwa_145.031
Epiker in sich aufnimmt, indem sein Geist sie ergreift, nicht aber pwa_145.032
sie seinen Geist, dass er da nicht selten auf das Gebiet der Didactik, pwa_145.033
der lehrhaften Betrachtung überspringt. Denn, wie bereits vorher pwa_145.034
erwähnt, er hält sich, wo er Mythen und Sagen erzählt, nicht mit pwa_145.035
der Treue eines Epikers an das, was überliefert ist, sondern er verfährt pwa_145.036
mit der Sage und dem Mythus ungefähr so, wie die Sage selbst pwa_145.037
mit der Geschichte verfährt; er ändert, lässt weg, setzt hinzu, wenn
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Ἤ ῥ', ὦ φίλοι, κατ' ἀμευσιπόρους τριόδους ἐδινάθην, ὀρθὰν κέλευθον ἰὼν pwa_145.039
τοπρίν; ἤ μέ τις ἄνεμος ἔξω πλόου ἔβαλεν, ὡς ὅτ' ἄκατον εἰναλίαν.
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