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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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welchem der Dichter den Fortschritt der Schilderung leiten kann; in pwa_133.002
der Elegie ist meistens keine Hilfe der Art vorhanden. Und doch pwa_133.003
verlangt einmal alle Poesie einen gewissen historischen Fortschritt, pwa_133.004
und hier soll sogar die fortschreitende Entwickelung der Wirklichkeit pwa_133.005
noch einen andern Fortschritt begründen und tragen, den der inneren pwa_133.006
Zustände. Diese Schwierigkeit bestimmt den eigenthümlichen Character pwa_133.007
der Elegie: man hat nämlich auch hier nach dem Sprichwort aus der pwa_133.008
Noth eine Tugend gemacht, und weil die Elegie in den meisten Fällen pwa_133.009
nicht geradeaus gehn kann, nicht auf dem kürzesten Wege ihr Ziel pwa_133.010
sofort erreichen kann, so pflegt man von ihr eine zögernde, zaudernde pwa_133.011
Entwickelung zu fordern, und es ist Gebrauch, dass sie immer und pwa_133.012
immer wieder inne hält, dass sie seitwärts ablenkt bald links, bald pwa_133.013
rechts, dass sie die grosse Ebene der ruhenden Wirklichkeit wie ein pwa_133.014
sanfter Bach in Schlangenlinien durchwandert, dass sie wie in halbem pwa_133.015
Träumen hin und her schweift. Sie kann, wie gesagt, in den meisten pwa_133.016
Fällen gar nicht anders: aber eben dadurch ist dieser unruhige, immer pwa_133.017
wieder gehemmte, immer wieder stockende Gang so sehr zur Eigenthümlichkeit pwa_133.018
der Elegie geworden, dass man ihn auch da zu beobachten pwa_133.019
pflegt, wo er wohl zu vermeiden wäre, dass man es liebt, alle pwa_133.020
entlegenen Oerter zu beiden Seiten zu betrachten, auch wo uns der pwa_133.021
Dichter ganz wohl mitten hindurch auf der geraden Strasse führen pwa_133.022
könnte. Zu diesem Zögern und Umherschweifen der epischen und der pwa_133.023
damit verbundenen lyrischen Anschauungen passt auch sehr wohl die pwa_133.024
metrische Form, diese kurze Strophe, die dennoch bei den Römern pwa_133.025
wenigstens einen vollen Satz enthalten soll, die also den Dichter, eh pwa_133.026
er sichs versieht, wieder abzubrechen nöthigt und ihn zwingt, die pwa_133.027
Rede in lauter kleine Glieder zu zerlegen; die ausserdem zusammengesetzt pwa_133.028
ist aus zwei in ihrem Character eigentlich widerstrebenden pwa_133.029
Bestandtheilen, dem in gemächlicher Ruhe sich senkenden Hexameter pwa_133.030
und dem in Ungeduld zweimal aufspringenden Pentameter. Kaum pwa_133.031
hat der Hexameter auf ebenem Boden einen Schritt vorwärts gethan, pwa_133.032
so erhebt sich die Rede im Pentameter über den Boden; und kaum pwa_133.033
hat sie sich hier erhoben, so muss sie schon wieder in gemessenem pwa_133.034
Gange weiter schreiten. Als Meister und Muster dieser Gattung ist pwa_133.035
besonders Tibull zu betrachten. Aber nothwendig und wesentlich pwa_133.036
gehört jene zögernde Entwicklung nicht zur Natur der Elegie, und pwa_133.037
so sind denn auch die besten Elegien, welche die deutsche Litteratur pwa_133.038
besitzt, keineswegs so beschaffen. Die einzige namhafte, die in jene pwa_133.039
Art einschlägt, ist Die Kunst der Griechen von A. W. Schlegel vom pwa_133.040
Jahre 1799 (Athenaeum 2, 181): hier wird mit allen Abschweifungen, pwa_133.041
welche das weitläuftige Thema nöthig und möglich machte und mit

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welchem der Dichter den Fortschritt der Schilderung leiten kann; in pwa_133.002
der Elegie ist meistens keine Hilfe der Art vorhanden. Und doch pwa_133.003
verlangt einmal alle Poesie einen gewissen historischen Fortschritt, pwa_133.004
und hier soll sogar die fortschreitende Entwickelung der Wirklichkeit pwa_133.005
noch einen andern Fortschritt begründen und tragen, den der inneren pwa_133.006
Zustände. Diese Schwierigkeit bestimmt den eigenthümlichen Character pwa_133.007
der Elegie: man hat nämlich auch hier nach dem Sprichwort aus der pwa_133.008
Noth eine Tugend gemacht, und weil die Elegie in den meisten Fällen pwa_133.009
nicht geradeaus gehn kann, nicht auf dem kürzesten Wege ihr Ziel pwa_133.010
sofort erreichen kann, so pflegt man von ihr eine zögernde, zaudernde pwa_133.011
Entwickelung zu fordern, und es ist Gebrauch, dass sie immer und pwa_133.012
immer wieder inne hält, dass sie seitwärts ablenkt bald links, bald pwa_133.013
rechts, dass sie die grosse Ebene der ruhenden Wirklichkeit wie ein pwa_133.014
sanfter Bach in Schlangenlinien durchwandert, dass sie wie in halbem pwa_133.015
Träumen hin und her schweift. Sie kann, wie gesagt, in den meisten pwa_133.016
Fällen gar nicht anders: aber eben dadurch ist dieser unruhige, immer pwa_133.017
wieder gehemmte, immer wieder stockende Gang so sehr zur Eigenthümlichkeit pwa_133.018
der Elegie geworden, dass man ihn auch da zu beobachten pwa_133.019
pflegt, wo er wohl zu vermeiden wäre, dass man es liebt, alle pwa_133.020
entlegenen Oerter zu beiden Seiten zu betrachten, auch wo uns der pwa_133.021
Dichter ganz wohl mitten hindurch auf der geraden Strasse führen pwa_133.022
könnte. Zu diesem Zögern und Umherschweifen der epischen und der pwa_133.023
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metrische Form, diese kurze Strophe, die dennoch bei den Römern pwa_133.025
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er sichs versieht, wieder abzubrechen nöthigt und ihn zwingt, die pwa_133.027
Rede in lauter kleine Glieder zu zerlegen; die ausserdem zusammengesetzt pwa_133.028
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und dem in Ungeduld zweimal aufspringenden Pentameter. Kaum pwa_133.031
hat der Hexameter auf ebenem Boden einen Schritt vorwärts gethan, pwa_133.032
so erhebt sich die Rede im Pentameter über den Boden; und kaum pwa_133.033
hat sie sich hier erhoben, so muss sie schon wieder in gemessenem pwa_133.034
Gange weiter schreiten. Als Meister und Muster dieser Gattung ist pwa_133.035
besonders Tibull zu betrachten. Aber nothwendig und wesentlich pwa_133.036
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/151>, abgerufen am 22.11.2024.