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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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Einzelnen, sondern vom Standpuncte Aller, die das gemeinsame Staats- pwa_131.002
oder Parteiinteresse zusammenhielt. Ein Beispiel hiefür bieten die pwa_131.003
kriegerischen Elegien des Tyrtäus, eines Dichters von ionischem pwa_131.004
Blute. Nach und nach jedoch machte sich wie im Leben und sonst pwa_131.005
in der Kunst auch in dieser Dichtungsart das Individuum immer geltender, pwa_131.006
sie ward immer weniger national, immer mehr subjectiv, sie pwa_131.007
wandte sich immer mehr von den allgemeinen Interessen ab und zu pwa_131.008
den persönlich besonderen des Dichters hin und ward somit immer pwa_131.009
lyrischer. Ereignisse aus dem beschränkten Leben des Dichters selbst pwa_131.010
und diese allein wurden es nun, die ihn zu lyrischen Anschauungen erregten, pwa_131.011
seiner Freude und seiner Trauer gab er Worte. Jetzt erst entstanden pwa_131.012
auch Elegien in dem engern Sinne, welchen man diesem pwa_131.013
Worte beizulegen pflegt, Ergüsse wehmüthiger Empfindungen über pwa_131.014
irgend ein dem Dichter schmerzhaftes Ereigniss. Von dieser Art sind pwa_131.015
die Elegien des Mimnermus. Aber keineswegs blieb die Elegie auf pwa_131.016
solche Empfindungen eingeschränkt. Zwar nahm sie von jetzt an eine pwa_131.017
beinahe ausschliessliche Wendung auf die Liebe: aber innerhalb dieses pwa_131.018
Gebietes gab es keine weitere Begrenzung mehr: die Lust und das pwa_131.019
Glück der Liebe wurden in gleichem Masse der factische Grund elegischer pwa_131.020
Dichtungen als das Unglück und der Schmerz. In dieser Raum pwa_131.021
gebenden Einschränkung haben dann auch die Römer die Elegie von pwa_131.022
den Griechen übernommen. Wir endlich, die wir die ganze Dichtungsart pwa_131.023
überhaupt erst durch Nachahmung der Alten uns angeeignet pwa_131.024
haben, können auch die factische Grundlage nehmen, woher wir wollen: pwa_131.025
es steht uns frei, in der politischen Weise des Kallinus zu dichten, in pwa_131.026
der schwermüthigen des Mimnermus und in der leichteren des Ovid.

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Nachdem wir die antike Elegie nach mehreren Seiten hin in pwa_131.028
verschiedenen Beziehungen und zuletzt auch in Betreff ihrer geschichtlichen pwa_131.029
Entwickelung betrachtet haben, sind jetzt noch einige Erörterungen pwa_131.030
über das Wesen derselben im Ganzen und Allgemeinen hinzuzufügen.

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Jede Elegie bedarf also einer Anschauung aus der äusseren Wirklichkeit pwa_131.033
als des epischen Objectes, das der Dichter aus seinem Gemüthe pwa_131.034
heraus subjectiv betrachtet, und das so dessen Empfindungen in Bewegung pwa_131.035
und Erregung bringt: indem nun diese Empfindungen mit der pwa_131.036
vorwärts schreitenden Betrachtung des epischen Elementes selber pwa_131.037
vorwärts schreiten, entsteht die Elegie. Jene sein Gemüth anregende pwa_131.038
Wirklichkeit darf aber niemals ein ganzer längerer Verlauf von vergangenen pwa_131.039
geschichtlichen Thatsachen sein; solchen gegenüber ist nicht pwa_131.040
wohl eine anhaltende gemüthliche Beziehung möglich, bei welcher der pwa_131.041
Dichter seine individuelle Selbständigkeit bewahren könnte: das haben

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Einzelnen, sondern vom Standpuncte Aller, die das gemeinsame Staats- pwa_131.002
oder Parteiinteresse zusammenhielt. Ein Beispiel hiefür bieten die pwa_131.003
kriegerischen Elegien des Tyrtäus, eines Dichters von ionischem pwa_131.004
Blute. Nach und nach jedoch machte sich wie im Leben und sonst pwa_131.005
in der Kunst auch in dieser Dichtungsart das Individuum immer geltender, pwa_131.006
sie ward immer weniger national, immer mehr subjectiv, sie pwa_131.007
wandte sich immer mehr von den allgemeinen Interessen ab und zu pwa_131.008
den persönlich besonderen des Dichters hin und ward somit immer pwa_131.009
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und diese allein wurden es nun, die ihn zu lyrischen Anschauungen erregten, pwa_131.011
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auch Elegien in dem engern Sinne, welchen man diesem pwa_131.013
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irgend ein dem Dichter schmerzhaftes Ereigniss. Von dieser Art sind pwa_131.015
die Elegien des Mimnermus. Aber keineswegs blieb die Elegie auf pwa_131.016
solche Empfindungen eingeschränkt. Zwar nahm sie von jetzt an eine pwa_131.017
beinahe ausschliessliche Wendung auf die Liebe: aber innerhalb dieses pwa_131.018
Gebietes gab es keine weitere Begrenzung mehr: die Lust und das pwa_131.019
Glück der Liebe wurden in gleichem Masse der factische Grund elegischer pwa_131.020
Dichtungen als das Unglück und der Schmerz. In dieser Raum pwa_131.021
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den Griechen übernommen. Wir endlich, die wir die ganze Dichtungsart pwa_131.023
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haben, können auch die factische Grundlage nehmen, woher wir wollen: pwa_131.025
es steht uns frei, in der politischen Weise des Kallinus zu dichten, in pwa_131.026
der schwermüthigen des Mimnermus und in der leichteren des Ovid.

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Nachdem wir die antike Elegie nach mehreren Seiten hin in pwa_131.028
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über das Wesen derselben im Ganzen und Allgemeinen hinzuzufügen.

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Jede Elegie bedarf also einer Anschauung aus der äusseren Wirklichkeit pwa_131.033
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/149>, abgerufen am 25.11.2024.