pwa_124.001 Bei den Griechen liegen die lyrischen Metra noch um vieles weiter pwa_124.002 ab von den epischen. Die griechische Epik kannte wahrscheinlich die pwa_124.003 Strophen überhaupt gar nicht; wenn sie dieselbe aber kannte, wie pwa_124.004 die neuesten Aufstellungen behaupten, so waren sie jedesfalls höchst pwa_124.005 einfach und bestanden aus lauter ganz gleichen Versen, nämlich Hexametern; pwa_124.006 und auf der andern Seite geht die künstliche Mannigfaltigkeit pwa_124.007 der lyrischen Metra bei den Griechen noch um vieles weiter als bei pwa_124.008 uns, da nicht bloss die Strophen aus verschiedenen Versen, sondern pwa_124.009 auch wieder die Verse aus verschiedenen Füssen zusammengesetzt pwa_124.010 wurden. Weiter können wir hier in Einzelheiten nicht eingehn: es pwa_124.011 ist genug, aufmerksam geworden zu sein, wie sich in diesem pwa_124.012 metrischen Gegensatze zwischen Epik und Lyrik das characteristische pwa_124.013 Verhältniss der äussern metrischen Form zum innern Gehalte scharf pwa_124.014 genug bei uns und noch schärfer bei den Griechen ausgeprägt pwa_124.015 zeige: denn bei den Griechen ist sowohl die Einfachheit der epischen, pwa_124.016 als die Mannigfaltigkeit der lyrischen Form auf das Aeusserste pwa_124.017 getrieben.
pwa_124.018 Diese neuen Vergleichungen, bei denen sich wiederum zu gleicher pwa_124.019 Zeit Uebereinstimmung und Verschiedenheit der beiden Dichtungsarten pwa_124.020 erwiesen haben, leiten uns jetzt von neuem darauf hin, das historische pwa_124.021 Verhältniss derselben zu betrachten. Es wird mit wenigen Blicken pwa_124.022 und kurzen Worten abgethan sein, da diess kein Gegenstand ist, den pwa_124.023 wir jetzt zum ersten Mal berühren.
pwa_124.024 Die Lyrik ist nicht bloss jünger als die Epik: sie ist aus derselben pwa_124.025 entsprungen. Die lyrisch gefärbte Epik, wie wir sie in den pwa_124.026 Hymnen der Griechen, in den Liedern der Deutschen des zwölften pwa_124.027 Jahrhunderts gefunden haben, begann den Uebergang; er ward weiter pwa_124.028 und der Vollendung entgegen geführt durch solche Dichtungen, in pwa_124.029 denen das lyrische Element bereits das überwiegende ist, die wir pwa_124.030 deshalb im Gegensatz zu jener lyrischen Epik epische Lyrik nennen pwa_124.031 wollen. In der lyrischen Epik wird die geschichtliche Wirklichkeit pwa_124.032 noch durchaus episch, d. h. als eine Vergangenheit aufgefasst: in der pwa_124.033 epischen Lyrik kann sie eine noch unvergangene, vorliegende sein, pwa_124.034 ja es verhält sich gewöhnlich so, da hier das dichterische Individuum pwa_124.035 schon mehr hervortritt und dem Individuum die Geschichte der Gegenwart pwa_124.036 näher liegt und es mit ihr vertrauter und befreundeter ist. Das pwa_124.037 Individuum tritt aber nur mehr hervor als in der lyrischen Epik, pwa_124.038 noch nicht in der ganzen Fülle der Subjectivität und Individualität; pwa_124.039 am deutlichsten zeigt sich das in den beiden Hauptarten der epischen pwa_124.040 Lyrik, die bei den Griechen auf dieser überleitenden Stufe liegen, in pwa_124.041 der Elegie der Ionier und der chorischen Lyrik der Dorier. Wie diese
pwa_124.001 Bei den Griechen liegen die lyrischen Metra noch um vieles weiter pwa_124.002 ab von den epischen. Die griechische Epik kannte wahrscheinlich die pwa_124.003 Strophen überhaupt gar nicht; wenn sie dieselbe aber kannte, wie pwa_124.004 die neuesten Aufstellungen behaupten, so waren sie jedesfalls höchst pwa_124.005 einfach und bestanden aus lauter ganz gleichen Versen, nämlich Hexametern; pwa_124.006 und auf der andern Seite geht die künstliche Mannigfaltigkeit pwa_124.007 der lyrischen Metra bei den Griechen noch um vieles weiter als bei pwa_124.008 uns, da nicht bloss die Strophen aus verschiedenen Versen, sondern pwa_124.009 auch wieder die Verse aus verschiedenen Füssen zusammengesetzt pwa_124.010 wurden. Weiter können wir hier in Einzelheiten nicht eingehn: es pwa_124.011 ist genug, aufmerksam geworden zu sein, wie sich in diesem pwa_124.012 metrischen Gegensatze zwischen Epik und Lyrik das characteristische pwa_124.013 Verhältniss der äussern metrischen Form zum innern Gehalte scharf pwa_124.014 genug bei uns und noch schärfer bei den Griechen ausgeprägt pwa_124.015 zeige: denn bei den Griechen ist sowohl die Einfachheit der epischen, pwa_124.016 als die Mannigfaltigkeit der lyrischen Form auf das Aeusserste pwa_124.017 getrieben.
pwa_124.018 Diese neuen Vergleichungen, bei denen sich wiederum zu gleicher pwa_124.019 Zeit Uebereinstimmung und Verschiedenheit der beiden Dichtungsarten pwa_124.020 erwiesen haben, leiten uns jetzt von neuem darauf hin, das historische pwa_124.021 Verhältniss derselben zu betrachten. Es wird mit wenigen Blicken pwa_124.022 und kurzen Worten abgethan sein, da diess kein Gegenstand ist, den pwa_124.023 wir jetzt zum ersten Mal berühren.
pwa_124.024 Die Lyrik ist nicht bloss jünger als die Epik: sie ist aus derselben pwa_124.025 entsprungen. Die lyrisch gefärbte Epik, wie wir sie in den pwa_124.026 Hymnen der Griechen, in den Liedern der Deutschen des zwölften pwa_124.027 Jahrhunderts gefunden haben, begann den Uebergang; er ward weiter pwa_124.028 und der Vollendung entgegen geführt durch solche Dichtungen, in pwa_124.029 denen das lyrische Element bereits das überwiegende ist, die wir pwa_124.030 deshalb im Gegensatz zu jener lyrischen Epik epische Lyrik nennen pwa_124.031 wollen. In der lyrischen Epik wird die geschichtliche Wirklichkeit pwa_124.032 noch durchaus episch, d. h. als eine Vergangenheit aufgefasst: in der pwa_124.033 epischen Lyrik kann sie eine noch unvergangene, vorliegende sein, pwa_124.034 ja es verhält sich gewöhnlich so, da hier das dichterische Individuum pwa_124.035 schon mehr hervortritt und dem Individuum die Geschichte der Gegenwart pwa_124.036 näher liegt und es mit ihr vertrauter und befreundeter ist. Das pwa_124.037 Individuum tritt aber nur mehr hervor als in der lyrischen Epik, pwa_124.038 noch nicht in der ganzen Fülle der Subjectivität und Individualität; pwa_124.039 am deutlichsten zeigt sich das in den beiden Hauptarten der epischen pwa_124.040 Lyrik, die bei den Griechen auf dieser überleitenden Stufe liegen, in pwa_124.041 der Elegie der Ionier und der chorischen Lyrik der Dorier. Wie diese
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Bei den Griechen liegen die lyrischen Metra noch um vieles weiter pwa_124.002
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/142>, abgerufen am 22.11.2024.
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