Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_099.001 pwa_099.010 1 pwa_099.039
Vgl. Grimm, Silva de romances 242. 261. 312. Geibel und Schack, Romanzero pwa_099.040 der Spanier und Portugiesen 106. 154. 156. pwa_099.001 pwa_099.010 1 pwa_099.039
Vgl. Grimm, Silva de romances 242. 261. 312. Geibel und Schack, Romanzero pwa_099.040 der Spanier und Portugiesen 106. 154. 156. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0117" n="99"/><lb n="pwa_099.001"/> altepischen Weise näher — noch in die Seele der angeschauten Individualität <lb n="pwa_099.002"/> versetzt. Bald auch so, wie jenes schottische Lied: die ganze <lb n="pwa_099.003"/> Anschauung objectiviert in Form eines Gespräches oder Selbstgespräches, <lb n="pwa_099.004"/> das sich erzählend vor die causalen Thatsachen hinstellt<note xml:id="pwa_099_1" place="foot" n="1"><lb n="pwa_099.039"/> Vgl. Grimm, Silva de romances 242. 261. 312. Geibel und Schack, Romanzero <lb n="pwa_099.040"/> der Spanier und Portugiesen 106. 154. 156.</note>. Man sieht, <lb n="pwa_099.005"/> dass zwischen Romanzen und Balladen kaum ein weiterer Unterschied <lb n="pwa_099.006"/> besteht als der des Namens; ausserdem noch ein Unterschied der <lb n="pwa_099.007"/> metrischen Form. Bekanntlich pflegen Romanzen in trochäischen Tetrametern <lb n="pwa_099.008"/> abgefasst zu sein, die fortlaufend alle zusammen assonieren; die <lb n="pwa_099.009"/> Balladen in Strophen, meistens vierzeiligen.</p> <p><lb n="pwa_099.010"/> Seit mehreren Menschenaltern giebt es nun auch deutsche Romanzen <lb n="pwa_099.011"/> und Balladen: Romanzen, seitdem zuerst Gleim französische, <lb n="pwa_099.012"/> Balladen, seitdem Bürger englisch-schottische Dichtungen dieses <lb n="pwa_099.013"/> Namens theils durch Uebersetzung, theils durch freie Nachbildung auch <lb n="pwa_099.014"/> nach Deutschland verpflanzt hat; bald darauf ward durch die romantischen <lb n="pwa_099.015"/> Dichter, die sich unmittelbar an die Spanier wendeten, der <lb n="pwa_099.016"/> Name der Romanze noch einheimischer gemacht, und zugleich auch <lb n="pwa_099.017"/> die ursprüngliche Form derselben, die assonierenden trochäischen <lb n="pwa_099.018"/> Tetrameter, eingeführt. Dichter und Theoretiker befinden sich bei <lb n="pwa_099.019"/> dieser Doppelbenennung in fortwährender Verlegenheit. Göthe selbst <lb n="pwa_099.020"/> nennt seine lyrisch-epischen Dichtungen nur Balladen; manche jedoch, <lb n="pwa_099.021"/> die diesen Namen oder den der Romanze gleichfalls tragen könnte, <lb n="pwa_099.022"/> steht unter den Liedern. Auch Schiller bedient sich eben jenes Ausdruckes; <lb n="pwa_099.023"/> bei zwei Gedichten zieht er, ohne dass ein Grund der <lb n="pwa_099.024"/> Abweichung nur zu ahnen wäre, den Titel Romanze vor, beim Kampf <lb n="pwa_099.025"/> mit den Drachen und bei der Bürgschaft (LB. 2, 1178. 1186). Genau <lb n="pwa_099.026"/> besehen, passt freilich keiner von beiden Namen, da all diese Dichtungen <lb n="pwa_099.027"/> so weitläuftig sind und so ausführlich bis in die geringste thatsächliche <lb n="pwa_099.028"/> Einzelheit hinein, dass sie der Epopöie näher liegen als <lb n="pwa_099.029"/> der Ballade oder Romanze; und doch wieder so einfach im eigentlichen <lb n="pwa_099.030"/> Inhalt und so lyrisch in der Anschauungsweise, dass sie auch <lb n="pwa_099.031"/> den Epopöien nicht wohl könnten beigezählt werden. Sie bilden eben <lb n="pwa_099.032"/> eine neue Misch- und Mittelgattung, wie sich dergleichen immer in <lb n="pwa_099.033"/> Zeiten finden wird, wo die Poesie in keinem recht organischen Zusammenhange <lb n="pwa_099.034"/> mehr mit dem Volksleben steht. Uhland endlich, dessen <lb n="pwa_099.035"/> lyrisch-epische Dichtungen das ganze Wechselspiel aller hier nur <lb n="pwa_099.036"/> möglichen Farben durchlaufen, glaubt am sichersten zu gehn, wenn <lb n="pwa_099.037"/> er ihnen allen den gemeinschaftlichen Doppeltitel giebt „Balladen und <lb n="pwa_099.038"/> Romanzen“; vielleicht aber hat er bei dem letzteren Namen nur die </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0117]
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altepischen Weise näher — noch in die Seele der angeschauten Individualität pwa_099.002
versetzt. Bald auch so, wie jenes schottische Lied: die ganze pwa_099.003
Anschauung objectiviert in Form eines Gespräches oder Selbstgespräches, pwa_099.004
das sich erzählend vor die causalen Thatsachen hinstellt 1. Man sieht, pwa_099.005
dass zwischen Romanzen und Balladen kaum ein weiterer Unterschied pwa_099.006
besteht als der des Namens; ausserdem noch ein Unterschied der pwa_099.007
metrischen Form. Bekanntlich pflegen Romanzen in trochäischen Tetrametern pwa_099.008
abgefasst zu sein, die fortlaufend alle zusammen assonieren; die pwa_099.009
Balladen in Strophen, meistens vierzeiligen.
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Seit mehreren Menschenaltern giebt es nun auch deutsche Romanzen pwa_099.011
und Balladen: Romanzen, seitdem zuerst Gleim französische, pwa_099.012
Balladen, seitdem Bürger englisch-schottische Dichtungen dieses pwa_099.013
Namens theils durch Uebersetzung, theils durch freie Nachbildung auch pwa_099.014
nach Deutschland verpflanzt hat; bald darauf ward durch die romantischen pwa_099.015
Dichter, die sich unmittelbar an die Spanier wendeten, der pwa_099.016
Name der Romanze noch einheimischer gemacht, und zugleich auch pwa_099.017
die ursprüngliche Form derselben, die assonierenden trochäischen pwa_099.018
Tetrameter, eingeführt. Dichter und Theoretiker befinden sich bei pwa_099.019
dieser Doppelbenennung in fortwährender Verlegenheit. Göthe selbst pwa_099.020
nennt seine lyrisch-epischen Dichtungen nur Balladen; manche jedoch, pwa_099.021
die diesen Namen oder den der Romanze gleichfalls tragen könnte, pwa_099.022
steht unter den Liedern. Auch Schiller bedient sich eben jenes Ausdruckes; pwa_099.023
bei zwei Gedichten zieht er, ohne dass ein Grund der pwa_099.024
Abweichung nur zu ahnen wäre, den Titel Romanze vor, beim Kampf pwa_099.025
mit den Drachen und bei der Bürgschaft (LB. 2, 1178. 1186). Genau pwa_099.026
besehen, passt freilich keiner von beiden Namen, da all diese Dichtungen pwa_099.027
so weitläuftig sind und so ausführlich bis in die geringste thatsächliche pwa_099.028
Einzelheit hinein, dass sie der Epopöie näher liegen als pwa_099.029
der Ballade oder Romanze; und doch wieder so einfach im eigentlichen pwa_099.030
Inhalt und so lyrisch in der Anschauungsweise, dass sie auch pwa_099.031
den Epopöien nicht wohl könnten beigezählt werden. Sie bilden eben pwa_099.032
eine neue Misch- und Mittelgattung, wie sich dergleichen immer in pwa_099.033
Zeiten finden wird, wo die Poesie in keinem recht organischen Zusammenhange pwa_099.034
mehr mit dem Volksleben steht. Uhland endlich, dessen pwa_099.035
lyrisch-epische Dichtungen das ganze Wechselspiel aller hier nur pwa_099.036
möglichen Farben durchlaufen, glaubt am sichersten zu gehn, wenn pwa_099.037
er ihnen allen den gemeinschaftlichen Doppeltitel giebt „Balladen und pwa_099.038
Romanzen“; vielleicht aber hat er bei dem letzteren Namen nur die
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Vgl. Grimm, Silva de romances 242. 261. 312. Geibel und Schack, Romanzero pwa_099.040
der Spanier und Portugiesen 106. 154. 156.
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