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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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zeigt sich, wo es eingreift, wiederum nicht sowohl darin, dass der pwa_098.002
Dichter seine innern Zustände darlegt und die erzählten Thatsachen pwa_098.003
in Beziehung bringt auf seine Subjectivität, als vielmehr in kurzer pwa_098.004
Andeutung der innern Zustände jener Personen selbst, welche Object pwa_098.005
der Anschauung sind, in fliegender Bezeichnung der Gemüthsbewegungen, pwa_098.006
die mit den äusseren Thatsachen als Motiv oder Erfolg in pwa_098.007
unmittelbarer Verbindung stehn. Damit grenzt das schottische Volkslied pwa_098.008
aufs nächste an die Weise des altepischen Gesanges, nur dass pwa_098.009
in dem letztern solche innere Motive als Rede und Gespräch erscheinen, pwa_098.010
sich also gewissermassen auch zu äusseren Thatsachen objectivieren, pwa_098.011
während dort die innern Motive auch nur als solche aufzutreten pwa_098.012
pflegen. Vollendet aber und zugleich zum Gipfel und bis zur pwa_098.013
Grenze geführt ist die lyrische Auffassung, wenn eine episch objectivierte pwa_098.014
Person aus ihrem innern Zustande heraus selber die Thatsachen pwa_098.015
als vergangene und geschehene erzählt, welche zu dieser ihrer Gemüthsstimmung pwa_098.016
die causale Grundlage bilden. Das schönste Beispiel pwa_098.017
dieser Art ist das durch Herders Verdeutschung bekannt gewordene pwa_098.018
Lied von Edward dem Vatermörder (LB. 2, 935): die Rede schreitet, pwa_098.019
dialogisch belebt, vorwärts als Ausdruck eines innern Zustandes, und pwa_098.020
die That liegt dahinter zugleich als Motiv dieses Zustandes und als pwa_098.021
Gegenstand dieser Rede. Ganz ähnlich ein deutsches Lied bei Uhland pwa_098.022
"Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder" S. 272. Die englische pwa_098.023
Benennung solcher lyrisch-epischen Gedichte ist ballad, eigentlich wie pwa_098.024
das provenzalische balada und das italiänische ballata s. v. a. Tanzlied; pwa_098.025
was dann auf die alte Vereinigung von Poesie, Musik und Tanz pwa_098.026
zurückweist.

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Wir stellen den Balladen der Engländer und Schotten die Romanzen pwa_098.028
der Spanier gegenüber. Romance (eigentlich die romanische Volkssprache, pwa_098.029
und was darin abgefasst ist), so nennen die Spanier jedwedes pwa_098.030
erzählende Gedicht von einfachem Inhalt und geringerem Umfange; pwa_098.031
und nach diesem Vorgange bezeichnet auch Frankreich seine Lieder mit pwa_098.032
demselben Namen. Wir haben aber zwei Arten von Romanzen zu unterscheiden. pwa_098.033
Entweder sind es rein epische Lieder, ganz in der ältesten pwa_098.034
Weise, etwa auch mit einem die Thatsachen begleitenden oder sie pwa_098.035
vertretenden Dialog. Oder lyrisch-epische. Diese bald so, wie die pwa_098.036
Gedichte der Serben und die der Deutschen des zwölften Jahrhunderts: pwa_098.037
zuerst eine abgerissene epische Situation, darauf innere Zustände pwa_098.038
lyrisch entfaltet; aber Zustände nicht des dichtenden Subjectes, pwa_098.039
sondern des Objectes der Dichtung; so dass also auch hier die Individualität pwa_098.040
des Dichters noch nicht bis zur Schilderung eigener Gemüthsregungen pwa_098.041
um sich greift, sondern sich derselbe -- und das liegt der

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zeigt sich, wo es eingreift, wiederum nicht sowohl darin, dass der pwa_098.002
Dichter seine innern Zustände darlegt und die erzählten Thatsachen pwa_098.003
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Wir stellen den Balladen der Engländer und Schotten die Romanzen pwa_098.028
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Entweder sind es rein epische Lieder, ganz in der ältesten pwa_098.034
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/116>, abgerufen am 22.11.2024.