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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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hat. Das wäre kein Schade, wenn der Tausch nur ein minder ungünstiger pwa_089.002
wäre. Aber abgesehen von dem einzigen historischen Stoffe, pwa_089.003
der schon an sich selbst und ohne Zuthun des Dichters mit der höchsten pwa_089.004
göttlichen Idee auch die grösste Fülle der Poesie in sich trägt, pwa_089.005
dem Stoffe von Klopstocks Messias, liegt einmal alle Geschichte ausserhalb pwa_089.006
des Bereichs der Dichtung: sie ist Sache der Prosa und wird pwa_089.007
erst dann für die Poesie tauglich, wenn der Kern der göttlichen Idee pwa_089.008
in ihr erkannt und sie zur Sage ist umgestaltet worden. Zugegeben pwa_089.009
nun, aber nicht zugestanden, dass auch ein einzelner Dichter unserer pwa_089.010
Zeit diess vermöge, dass es in der Kraft und in der Macht eines pwa_089.011
Individuums unsrer Tage liege, die Geschichte sagenhaft-idealisch pwa_089.012
umzubilden: so giebt es auch dann wieder einen doppelten Anstoss pwa_089.013
und Widerstand. Gehört die Geschichte in entlegnere Zeit und Nationalität, pwa_089.014
so wiederholt sich, was vorher gegen die Erneuung alter Sagen pwa_089.015
ist eingewendet worden: die Anschauungen werden uns fremd sein, pwa_089.016
und es wird der Gelehrsamkeit bedürfen, um die Reproduction vorzubereiten: pwa_089.017
um eine so vorbereitete Reproduction ist es aber übel pwa_089.018
bestellt. Oder die Geschichte liegt uns nah, und wir sind wohl pwa_089.019
befreundet und fühlen uns verwandt mit solchen Characteren und Sitten pwa_089.020
und Ereignissen. Dann aber wird mehr als Einer, wie wir einmal pwa_089.021
für die Sage nicht mehr eingerichtet sind, sich an dieser unhistorischen pwa_089.022
Auffassung stossen und sich wieder deshalb nicht zur Reproduction pwa_089.023
verstehen wollen. Indessen ist dieser Uebelstand allerdings pwa_089.024
der kleinere, und ein Dichter braucht kaum darauf zu achten. Von pwa_089.025
diesem Felde her dürfen wir noch am ersten wieder Epopöien erwarten. pwa_089.026
Fände sich nur erst ein Dichter, wie Napoleon ein Held war, pwa_089.027
so hätte er an diesem auch ein Object so grossartig, wie das der pwa_089.028
Ilias und das der Nibelungen.

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Ausser den historischen Stoffen sind dann unsern Epikern noch pwa_089.030
erfundene vergönnt. Es mangelt an dergleichen Epopöien nicht: aber pwa_089.031
diese sind am öftesten verfehlt: es ist auch kein Verfahren so bedenklich pwa_089.032
als dieses. Denn es erfordert die grösste poetische Kraft, um pwa_089.033
dem Leser ein Interesse abzugewinnen für Ereignisse, die ihm und pwa_089.034
Jedem neu, für Personen, die ihm bis dahin unbekannt gewesen sind: pwa_089.035
eine Kraft, welche berufen wäre, sich auf die höchsten Ideen zu pwa_089.036
richten. Aber es haben sich bisher auch meist nur mittelmässige pwa_089.037
Dichter auf solche Epen eingelassen: so Ernst Schulze in der Caecilie pwa_089.038
und in der bezauberten Rose. Göthens Hermann und Dorothea kann pwa_089.039
hier nicht wohl eingewendet werden. Einmal schon das im Vordergrunde pwa_089.040
sich bewegende Hauptereigniss dieses Epos ist keine Erfindung pwa_089.041
des Dichters, die Motive dazu sind aus einem ältern Buche entnommen,

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dem Stoffe von Klopstocks Messias, liegt einmal alle Geschichte ausserhalb pwa_089.006
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Individuums unsrer Tage liege, die Geschichte sagenhaft-idealisch pwa_089.012
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Ilias und das der Nibelungen.

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Ausser den historischen Stoffen sind dann unsern Epikern noch pwa_089.030
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/107>, abgerufen am 25.11.2024.