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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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habene Antlitz Jesu, recht vollkommen aus¬
drücken solle; worauf der Prior des Klosters
einen einleuchtenden Beweis seines Unver¬
standes gegeben, indem er ihn, wie einen
Tagelöhner, über sein Zögern zur Rede ge¬
stellt habe.

Noch eines Gemähldes des Leonardo muß
ich, eines merkwürdigen Umstandes halber,
gedenken. Ich meyne das Bildniß der Lisa
del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬
cesco,) an welchem er vier Jahre arbeitete,
ohne durch die sorgfältigste und feinste Aus¬
arbeitung jedes Härchens, den Geist und
das Leben des Ganzen zu ersticken. So oft
nun die edle Frau ihm zum Mahlen saß,
rief er allemal einige Personen herzu, die sie
durch eine angenehme und muntre Musik
auf Instrumenten, mit der menschlichen Stim¬
me begleitet, aufheitern mußten. Ein sehr
sinnreicher Einfall, wegen dessen ich den

habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬
drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters
einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬
ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen
Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬
ſtellt habe.

Noch eines Gemähldes des Leonardo muß
ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber,
gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa
del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬
ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete,
ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬
arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und
das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft
nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß,
rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie
durch eine angenehme und muntre Muſik
auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬
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[82/0090] habene Antlitz Jeſu, recht vollkommen aus¬ drücken ſolle; worauf der Prior des Kloſters einen einleuchtenden Beweis ſeines Unver¬ ſtandes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über ſein Zögern zur Rede ge¬ ſtellt habe. Noch eines Gemähldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umſtandes halber, gedenken. Ich meyne das Bildniß der Liſa del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬ ceſco,) an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die ſorgfältigſte und feinſte Aus¬ arbeitung jedes Härchens, den Geiſt und das Leben des Ganzen zu erſticken. So oft nun die edle Frau ihm zum Mahlen ſaß, rief er allemal einige Perſonen herzu, die ſie durch eine angenehme und muntre Muſik auf Inſtrumenten, mit der menſchlichen Stim¬ me begleitet, aufheitern mußten. Ein ſehr ſinnreicher Einfall, wegen deſſen ich den

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/90>, abgerufen am 27.11.2024.