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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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alle Schmerzen des Leidens in sich fassenden
Melodieen, ewig ein Meisterstück bleiben
wird. Seine Seele war wie ein Kran¬
ker, der in einem wunderbaren Paroxismus
größere Stärke als ein Gesunder zeigt.

Aber nachdem er das Oratorium am hei¬
ligen Tage im Dom mit der heftigsten An¬
spannung und Erhitzung aufgeführt hatte,
fühlte er sich ganz matt und erschlafft. Eine
Nervenschwäche befiel, gleich einem bösen
Thau, alle seine Fibern; -- er kränkelte eine
Zeitlang hin, und starb nicht lange darauf,
in der Blüthe seiner Jahre. -- --

Manche Thräne hab' ich ihm geschenkt,
und es ist mir seltsam zu Muth, wenn ich
sein Leben übersehe. Warum wollte der
Himmel, daß sein ganzes Leben hindurch der
Kampf zwischen seinem ätherischen Enthu¬
siasmus und dem niedrigen Elend dieser

Erde,

alle Schmerzen des Leidens in ſich faſſenden
Melodieen, ewig ein Meiſterſtück bleiben
wird. Seine Seele war wie ein Kran¬
ker, der in einem wunderbaren Paroxismus
größere Stärke als ein Geſunder zeigt.

Aber nachdem er das Oratorium am hei¬
ligen Tage im Dom mit der heftigſten An¬
ſpannung und Erhitzung aufgeführt hatte,
fühlte er ſich ganz matt und erſchlafft. Eine
Nervenſchwäche befiel, gleich einem böſen
Thau, alle ſeine Fibern; — er kränkelte eine
Zeitlang hin, und ſtarb nicht lange darauf,
in der Blüthe ſeiner Jahre. — —

Manche Thräne hab' ich ihm geſchenkt,
und es iſt mir ſeltſam zu Muth, wenn ich
ſein Leben überſehe. Warum wollte der
Himmel, daß ſein ganzes Leben hindurch der
Kampf zwiſchen ſeinem ätheriſchen Enthu¬
ſiasmus und dem niedrigen Elend dieſer

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[272/0280] alle Schmerzen des Leidens in ſich faſſenden Melodieen, ewig ein Meiſterſtück bleiben wird. Seine Seele war wie ein Kran¬ ker, der in einem wunderbaren Paroxismus größere Stärke als ein Geſunder zeigt. Aber nachdem er das Oratorium am hei¬ ligen Tage im Dom mit der heftigſten An¬ ſpannung und Erhitzung aufgeführt hatte, fühlte er ſich ganz matt und erſchlafft. Eine Nervenſchwäche befiel, gleich einem böſen Thau, alle ſeine Fibern; — er kränkelte eine Zeitlang hin, und ſtarb nicht lange darauf, in der Blüthe ſeiner Jahre. — — Manche Thräne hab' ich ihm geſchenkt, und es iſt mir ſeltſam zu Muth, wenn ich ſein Leben überſehe. Warum wollte der Himmel, daß ſein ganzes Leben hindurch der Kampf zwiſchen ſeinem ätheriſchen Enthu¬ ſiasmus und dem niedrigen Elend dieſer Erde,

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/280>, abgerufen am 27.11.2024.