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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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zen der Zuhörer etwas gewirkt hatte. Ein
allgemeines Erstaunen, ein stiller Beyfall,
welcher weit schöner, als ein lauter ist, er¬
freute ihn mit der Idee, daß er vielleicht
diesmal seine Kunst würdig ausgeübt hätte;
er faßte wieder Muth zu neuer Arbeit. Als
er hinaus auf die Straße kam, schlich ein
sehr armselig gekleidetes Mädchen an ihn
heran, und wollte ihn sprechen. Er wußte
nicht, was er sagen sollte; er sah sie an, --
Gott! rief er: -- es war seine jüngste
Schwester im elendesten Aufzuge. Sie war
von Hause zu Fuß hergelaufen, um ihm die
Nachricht zu bringen, daß sein Vater todt¬
krank niederliege, und ihn vor seinem Ende
sehr dringend noch einmal zu sprechen ver¬
lange. Da war wieder aller Gesang in sei¬
nem Busen zerrissen; in dumpfer Betäubung
machte er sich fertig, und reiste eilig nach
seiner Vaterstadt.

zen der Zuhörer etwas gewirkt hatte. Ein
allgemeines Erſtaunen, ein ſtiller Beyfall,
welcher weit ſchöner, als ein lauter iſt, er¬
freute ihn mit der Idee, daß er vielleicht
diesmal ſeine Kunſt würdig ausgeübt hätte;
er faßte wieder Muth zu neuer Arbeit. Als
er hinaus auf die Straße kam, ſchlich ein
ſehr armſelig gekleidetes Mädchen an ihn
heran, und wollte ihn ſprechen. Er wußte
nicht, was er ſagen ſollte; er ſah ſie an, —
Gott! rief er: — es war ſeine jüngſte
Schweſter im elendeſten Aufzuge. Sie war
von Hauſe zu Fuß hergelaufen, um ihm die
Nachricht zu bringen, daß ſein Vater todt¬
krank niederliege, und ihn vor ſeinem Ende
ſehr dringend noch einmal zu ſprechen ver¬
lange. Da war wieder aller Geſang in ſei¬
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machte er ſich fertig, und reiſte eilig nach
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[269/0277] zen der Zuhörer etwas gewirkt hatte. Ein allgemeines Erſtaunen, ein ſtiller Beyfall, welcher weit ſchöner, als ein lauter iſt, er¬ freute ihn mit der Idee, daß er vielleicht diesmal ſeine Kunſt würdig ausgeübt hätte; er faßte wieder Muth zu neuer Arbeit. Als er hinaus auf die Straße kam, ſchlich ein ſehr armſelig gekleidetes Mädchen an ihn heran, und wollte ihn ſprechen. Er wußte nicht, was er ſagen ſollte; er ſah ſie an, — Gott! rief er: — es war ſeine jüngſte Schweſter im elendeſten Aufzuge. Sie war von Hauſe zu Fuß hergelaufen, um ihm die Nachricht zu bringen, daß ſein Vater todt¬ krank niederliege, und ihn vor ſeinem Ende ſehr dringend noch einmal zu ſprechen ver¬ lange. Da war wieder aller Geſang in ſei¬ nem Buſen zerriſſen; in dumpfer Betäubung machte er ſich fertig, und reiſte eilig nach ſeiner Vaterſtadt.

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/277>, abgerufen am 24.11.2024.