Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und
daß viele Länder und viele Zeiten unsern
Augen offenbar, um uns herum und zu un¬
sern Füßen ausgebreitet liegen. So lasset
uns denn dieses Glück benutzen, und mit hei¬
tern Blicken über alle Zeiten und Völker
umherschweifen, und uns bestreben, an al¬
len ihren mannigfaltigen Empfindungen und
Werken der Empfindung immer das Mensch¬
liche
herauszufühlen. -- --

Jegliches Wesen strebt nach dem Schön¬
sten: aber es kann nicht aus sich heraus¬
gehen, und sieht das Schönste nur in sich.
So wie in jedes sterbliche Auge ein anderes
Bild des Regenbogens kommt, so wirft sich
jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬
deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬
gemeine, ursprüngliche Schönheit aber, die
wir nur in Momenten der verklärten An¬
schauung nennen, nicht in Worte auflösen

dem Gipfel eines hohen Berges ſtehen, und
daß viele Länder und viele Zeiten unſern
Augen offenbar, um uns herum und zu un¬
ſern Füßen ausgebreitet liegen. So laſſet
uns denn dieſes Glück benutzen, und mit hei¬
tern Blicken über alle Zeiten und Völker
umherſchweifen, und uns beſtreben, an al¬
len ihren mannigfaltigen Empfindungen und
Werken der Empfindung immer das Menſch¬
liche
herauszufühlen. — —

Jegliches Weſen ſtrebt nach dem Schön¬
ſten: aber es kann nicht aus ſich heraus¬
gehen, und ſieht das Schönſte nur in ſich.
So wie in jedes ſterbliche Auge ein anderes
Bild des Regenbogens kommt, ſo wirft ſich
jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬
deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬
gemeine, urſprüngliche Schönheit aber, die
wir nur in Momenten der verklärten An¬
ſchauung nennen, nicht in Worte auflöſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="107"/>
dem Gipfel eines hohen Berges &#x017F;tehen, und<lb/>
daß viele Länder und viele Zeiten un&#x017F;ern<lb/>
Augen offenbar, um uns herum und zu un¬<lb/>
&#x017F;ern Füßen ausgebreitet liegen. So la&#x017F;&#x017F;et<lb/>
uns denn die&#x017F;es Glück benutzen, und mit hei¬<lb/>
tern Blicken über alle Zeiten und Völker<lb/>
umher&#x017F;chweifen, und uns be&#x017F;treben, an al¬<lb/>
len ihren mannigfaltigen Empfindungen und<lb/>
Werken der Empfindung immer <hi rendition="#g">das Men&#x017F;ch¬<lb/>
liche</hi> herauszufühlen. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Jegliches We&#x017F;en &#x017F;trebt nach dem Schön¬<lb/>
&#x017F;ten: aber es kann nicht aus &#x017F;ich heraus¬<lb/>
gehen, und &#x017F;ieht das Schön&#x017F;te nur in &#x017F;ich.<lb/>
So wie in jedes &#x017F;terbliche Auge ein anderes<lb/>
Bild des Regenbogens kommt, &#x017F;o wirft &#x017F;ich<lb/>
jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬<lb/>
deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬<lb/>
gemeine, ur&#x017F;prüngliche Schönheit aber, die<lb/>
wir nur in Momenten der verklärten An¬<lb/>
&#x017F;chauung <hi rendition="#g">nennen</hi>, nicht in Worte auflö&#x017F;en<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0115] dem Gipfel eines hohen Berges ſtehen, und daß viele Länder und viele Zeiten unſern Augen offenbar, um uns herum und zu un¬ ſern Füßen ausgebreitet liegen. So laſſet uns denn dieſes Glück benutzen, und mit hei¬ tern Blicken über alle Zeiten und Völker umherſchweifen, und uns beſtreben, an al¬ len ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung immer das Menſch¬ liche herauszufühlen. — — Jegliches Weſen ſtrebt nach dem Schön¬ ſten: aber es kann nicht aus ſich heraus¬ gehen, und ſieht das Schönſte nur in ſich. So wie in jedes ſterbliche Auge ein anderes Bild des Regenbogens kommt, ſo wirft ſich jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬ deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬ gemeine, urſprüngliche Schönheit aber, die wir nur in Momenten der verklärten An¬ ſchauung nennen, nicht in Worte auflöſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/115
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/115>, abgerufen am 22.11.2024.