nach euren Vorschriften und Regeln zu füh¬ len, -- und fühlet selber nicht.
Wer ein System glaubt, hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen ver¬ drängt! Erträglicher noch ist Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verstandes; -- Aberglaube besser als Systemglaube. --
Könnt ihr den Melancholischen zwingen, daß er scherzhafte Lieder und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguinischen, daß er sein Herz den tragischen Schrecknis¬ sen mit Freude darbiete?
O lasset doch jedes sterbliche Wesen und jedes Volk unter der Sonne bey seinem Glauben und seiner Glückseligkeit! und freuet euch, wenn andere sich freuen, -- wenn ihr euch auch über das, was ihnen das liebste und wertheste ist, nicht mit zu freuen versteht.
Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zu Theil geworden, daß wir auf
nach euren Vorſchriften und Regeln zu füh¬ len, — und fühlet ſelber nicht.
Wer ein Syſtem glaubt, hat die allgemeine Liebe aus ſeinem Herzen ver¬ drängt! Erträglicher noch iſt Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verſtandes; — Aberglaube beſſer als Syſtemglaube. —
Könnt ihr den Melancholiſchen zwingen, daß er ſcherzhafte Lieder und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguiniſchen, daß er ſein Herz den tragiſchen Schreckniſ¬ ſen mit Freude darbiete?
O laſſet doch jedes ſterbliche Weſen und jedes Volk unter der Sonne bey ſeinem Glauben und ſeiner Glückſeligkeit! und freuet euch, wenn andere ſich freuen, — wenn ihr euch auch über das, was ihnen das liebſte und wertheſte iſt, nicht mit zu freuen verſteht.
Uns, Söhnen dieſes Jahrhunderts, iſt der Vorzug zu Theil geworden, daß wir auf
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nach euren Vorſchriften und Regeln zu füh¬
len, — und fühlet ſelber nicht.
Wer ein Syſtem glaubt, hat die
allgemeine Liebe aus ſeinem Herzen ver¬
drängt! Erträglicher noch iſt Intoleranz des
Gefühls, als Intoleranz des Verſtandes; —
Aberglaube beſſer als Syſtemglaube. —
Könnt ihr den Melancholiſchen zwingen,
daß er ſcherzhafte Lieder und muntern Tanz
angenehm finde? Oder den Sanguiniſchen,
daß er ſein Herz den tragiſchen Schreckniſ¬
ſen mit Freude darbiete?
O laſſet doch jedes ſterbliche Weſen und
jedes Volk unter der Sonne bey ſeinem
Glauben und ſeiner Glückſeligkeit! und freuet
euch, wenn andere ſich freuen, — wenn ihr
euch auch über das, was ihnen das liebſte
und wertheſte iſt, nicht mit zu freuen verſteht.
Uns, Söhnen dieſes Jahrhunderts, iſt der
Vorzug zu Theil geworden, daß wir auf
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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