sich selbst gegründete Ganze mit einem Blicke zu umspielen.
Und eben so betrachten sie ihr Gefühl als das Centrum alles Schönen in der Kunst, und sprechen, wie vom Richterstuhle, über Al¬ les das entscheidende Urtheil ab, ohne zu bedenken, daß sie niemand zu Richtern ge¬ setzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen verurtheilt sind, sich eben sowohl dazu auf¬ werfen könnten.
Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch, und nicht unsre Sprache redet? --
Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬ dammen, daß es nicht solche Tempel baute, wie Griechenland? --
O so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, daß ihr mit eu¬ ren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus derselben Hand empfangen habt! Be¬
ſich ſelbſt gegründete Ganze mit einem Blicke zu umſpielen.
Und eben ſo betrachten ſie ihr Gefühl als das Centrum alles Schönen in der Kunſt, und ſprechen, wie vom Richterſtuhle, über Al¬ les das entſcheidende Urtheil ab, ohne zu bedenken, daß ſie niemand zu Richtern ge¬ ſetzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen verurtheilt ſind, ſich eben ſowohl dazu auf¬ werfen könnten.
Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianiſch, und nicht unſre Sprache redet? —
Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬ dammen, daß es nicht ſolche Tempel baute, wie Griechenland? —
O ſo ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, daß ihr mit eu¬ ren verkannten Brüdern die Geiſtesgaben aus derſelben Hand empfangen habt! Be¬
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[102/0110]
ſich ſelbſt gegründete Ganze mit einem
Blicke zu umſpielen.
Und eben ſo betrachten ſie ihr Gefühl
als das Centrum alles Schönen in der Kunſt,
und ſprechen, wie vom Richterſtuhle, über Al¬
les das entſcheidende Urtheil ab, ohne zu
bedenken, daß ſie niemand zu Richtern ge¬
ſetzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen
verurtheilt ſind, ſich eben ſowohl dazu auf¬
werfen könnten.
Warum verdammt ihr den Indianer nicht,
daß er indianiſch, und nicht unſre Sprache
redet? —
Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬
dammen, daß es nicht ſolche Tempel baute,
wie Griechenland? —
O ſo ahndet euch doch in die fremden
Seelen hinein, und merket, daß ihr mit eu¬
ren verkannten Brüdern die Geiſtesgaben
aus derſelben Hand empfangen habt! Be¬
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/110>, abgerufen am 16.02.2025.
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