Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬
endlichen, durch die unermeßlichen Räume
des Himmels, wieder zur Erde gelange, und
mich unter meinen Mitbrüdern umsehe, --
ach! so muß ich laute Klagen erheben, daß
sie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬
mel so wenig ähnlich zu werden sich bestre¬
ben. Sie zanken mit einander, und verste¬
hen sich nicht, und sehen nicht, daß sie alle
nach demselben Ziele eilen, weil jeder mit
festem Fuße auf seinem Standort stehen
bleibt, und seine Augen nicht über das
Ganze zu erheben weiß.

Blöden Menschen ist es nicht begreiflich,
daß es auf unserer Erdkugel Antipoden gebe,
und daß sie selber Antipoden sind. Sie den¬
ken sich den Ort, wo sie stehen, immer als
den Schwerpunkt des Ganzen, -- und ih¬
rem Geiste mangeln die Schwingen, das
ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in

Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬
endlichen, durch die unermeßlichen Räume
des Himmels, wieder zur Erde gelange, und
mich unter meinen Mitbrüdern umſehe, —
ach! ſo muß ich laute Klagen erheben, daß
ſie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬
mel ſo wenig ähnlich zu werden ſich beſtre¬
ben. Sie zanken mit einander, und verſte¬
hen ſich nicht, und ſehen nicht, daß ſie alle
nach demſelben Ziele eilen, weil jeder mit
feſtem Fuße auf ſeinem Standort ſtehen
bleibt, und ſeine Augen nicht über das
Ganze zu erheben weiß.

Blöden Menſchen iſt es nicht begreiflich,
daß es auf unſerer Erdkugel Antipoden gebe,
und daß ſie ſelber Antipoden ſind. Sie den¬
ken ſich den Ort, wo ſie ſtehen, immer als
den Schwerpunkt des Ganzen, — und ih¬
rem Geiſte mangeln die Schwingen, das
ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0109" n="101"/>
        <p>Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬<lb/>
endlichen, durch die unermeßlichen Räume<lb/>
des Himmels, wieder zur Erde gelange, und<lb/>
mich unter meinen Mitbrüdern um&#x017F;ehe, &#x2014;<lb/>
ach! &#x017F;o muß ich laute Klagen erheben, daß<lb/>
&#x017F;ie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬<lb/>
mel &#x017F;o wenig ähnlich zu werden &#x017F;ich be&#x017F;tre¬<lb/>
ben. Sie zanken mit einander, und ver&#x017F;te¬<lb/>
hen &#x017F;ich nicht, und &#x017F;ehen nicht, daß &#x017F;ie alle<lb/>
nach dem&#x017F;elben Ziele eilen, weil jeder mit<lb/>
fe&#x017F;tem Fuße auf &#x017F;einem Standort &#x017F;tehen<lb/>
bleibt, und &#x017F;eine Augen nicht über das<lb/>
Ganze zu erheben weiß.</p><lb/>
        <p>Blöden Men&#x017F;chen i&#x017F;t es nicht begreiflich,<lb/>
daß es auf un&#x017F;erer Erdkugel Antipoden gebe,<lb/>
und daß &#x017F;ie &#x017F;elber Antipoden &#x017F;ind. Sie den¬<lb/>
ken &#x017F;ich den Ort, wo &#x017F;ie &#x017F;tehen, immer als<lb/>
den Schwerpunkt des Ganzen, &#x2014; und ih¬<lb/>
rem Gei&#x017F;te mangeln die Schwingen, das<lb/>
ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0109] Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬ endlichen, durch die unermeßlichen Räume des Himmels, wieder zur Erde gelange, und mich unter meinen Mitbrüdern umſehe, — ach! ſo muß ich laute Klagen erheben, daß ſie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬ mel ſo wenig ähnlich zu werden ſich beſtre¬ ben. Sie zanken mit einander, und verſte¬ hen ſich nicht, und ſehen nicht, daß ſie alle nach demſelben Ziele eilen, weil jeder mit feſtem Fuße auf ſeinem Standort ſtehen bleibt, und ſeine Augen nicht über das Ganze zu erheben weiß. Blöden Menſchen iſt es nicht begreiflich, daß es auf unſerer Erdkugel Antipoden gebe, und daß ſie ſelber Antipoden ſind. Sie den¬ ken ſich den Ort, wo ſie ſtehen, immer als den Schwerpunkt des Ganzen, — und ih¬ rem Geiſte mangeln die Schwingen, das ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/109
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/109>, abgerufen am 28.11.2024.