Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.
Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithäs, und fragte:

Ist es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen,
Ob Tälemachos bald aus der sandigen Pülos zurückkehrt?
Mir gehöret das Schiff; und jezo brauch' ich es selber,
Nach den Anen von Aelis hinüber zu fahren. Es weiden 635
Dort zwölf Stuten für mich, mit jungen lastbaren Mäulern:
Davon möcht' ich mir eins abholen, und zähmen zur Arbeit.

Sprachs; da erstaunten die Freier, daß er die Reise vollendet
Zur näläischen Pülos: sie glaubten, er wär' auf dem Lande,
Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. 640
Und Eupeithäs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:

Sage mir ohne Falsch: Wann reist' er? Welche Genoßen
Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne,
Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieses vollenden!
Dann erzähle mir auch aufrichtig, damit ich es wisse: 645
Brauchte der Jüngling Gewalt, dir das schwarze Schiff zu entreißen;
Oder gabst du es ihm gutwillig, als er dich ansprach?

Aber Fronios Sohn Noämon sagte dagegen:
Selber gab ich es ihm! Wie würd' ein Anderer handeln,
Wenn ihn ein solcher Mann, mit so bekümmertem Herzen, 650
Bäte? Es wäre ja schwer, ihm seine Bitte zu weigern!
Aber die Jünglinge waren die Tapfersten unseres Volkes,
Die ihm folgten; es ging mit diesen, als Führer des Schiffes,
Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Gestalt war.
Aber das wundert mich: ich sah den treflichen Mentor 655
Gestern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Pülos!

Also sprach Noämon, und ging zum Hause des Vaters.
Aber den beiden wühlte der Schmerz in der stolzen Seele.

Vierter Geſang.
Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithaͤs, und fragte:

Iſt es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen,
Ob Taͤlemachos bald aus der ſandigen Puͤlos zuruͤckkehrt?
Mir gehoͤret das Schiff; und jezo brauch' ich es ſelber,
Nach den Anen von Aelis hinuͤber zu fahren. Es weiden 635
Dort zwoͤlf Stuten fuͤr mich, mit jungen laſtbaren Maͤulern:
Davon moͤcht' ich mir eins abholen, und zaͤhmen zur Arbeit.

Sprachs; da erſtaunten die Freier, daß er die Reiſe vollendet
Zur naͤlaͤiſchen Puͤlos: ſie glaubten, er waͤr' auf dem Lande,
Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. 640
Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:

Sage mir ohne Falſch: Wann reiſt' er? Welche Genoßen
Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne,
Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieſes vollenden!
Dann erzaͤhle mir auch aufrichtig, damit ich es wiſſe: 645
Brauchte der Juͤngling Gewalt, dir das ſchwarze Schiff zu entreißen;
Oder gabſt du es ihm gutwillig, als er dich anſprach?

Aber Fronios Sohn Noaͤmon ſagte dagegen:
Selber gab ich es ihm! Wie wuͤrd' ein Anderer handeln,
Wenn ihn ein ſolcher Mann, mit ſo bekuͤmmertem Herzen, 650
Baͤte? Es waͤre ja ſchwer, ihm ſeine Bitte zu weigern!
Aber die Juͤnglinge waren die Tapferſten unſeres Volkes,
Die ihm folgten; es ging mit dieſen, als Fuͤhrer des Schiffes,
Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Geſtalt war.
Aber das wundert mich: ich ſah den treflichen Mentor 655
Geſtern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Puͤlos!

Alſo ſprach Noaͤmon, und ging zum Hauſe des Vaters.
Aber den beiden wuͤhlte der Schmerz in der ſtolzen Seele.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="87"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeitha&#x0364;s, und fragte:</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen,<lb/>
Ob Ta&#x0364;lemachos bald aus der &#x017F;andigen Pu&#x0364;los zuru&#x0364;ckkehrt?<lb/>
Mir geho&#x0364;ret das Schiff; und jezo brauch' ich es &#x017F;elber,<lb/>
Nach den Anen von Aelis hinu&#x0364;ber zu fahren. Es weiden <note place="right">635</note><lb/>
Dort zwo&#x0364;lf Stuten fu&#x0364;r mich, mit jungen la&#x017F;tbaren Ma&#x0364;ulern:<lb/>
Davon mo&#x0364;cht' ich mir eins abholen, und za&#x0364;hmen zur Arbeit.</p><lb/>
        <p>Sprachs; da er&#x017F;taunten die Freier, daß er die Rei&#x017F;e vollendet<lb/>
Zur na&#x0364;la&#x0364;i&#x017F;chen Pu&#x0364;los: &#x017F;ie glaubten, er wa&#x0364;r' auf dem Lande,<lb/>
Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. <note place="right">640</note><lb/>
Und Eupeitha&#x0364;s Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:</p><lb/>
        <p>Sage mir ohne Fal&#x017F;ch: Wann rei&#x017F;t' er? Welche Genoßen<lb/>
Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne,<lb/>
Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch die&#x017F;es vollenden!<lb/>
Dann erza&#x0364;hle mir auch aufrichtig, damit ich es wi&#x017F;&#x017F;e: <note place="right">645</note><lb/>
Brauchte der Ju&#x0364;ngling Gewalt, dir das &#x017F;chwarze Schiff zu entreißen;<lb/>
Oder gab&#x017F;t du es ihm gutwillig, als er dich an&#x017F;prach?</p><lb/>
        <p>Aber Fronios Sohn Noa&#x0364;mon &#x017F;agte dagegen:<lb/>
Selber gab ich es ihm! Wie wu&#x0364;rd' ein Anderer handeln,<lb/>
Wenn ihn ein &#x017F;olcher Mann, mit &#x017F;o beku&#x0364;mmertem Herzen, <note place="right">650</note><lb/>
Ba&#x0364;te? Es wa&#x0364;re ja &#x017F;chwer, ihm &#x017F;eine Bitte zu weigern!<lb/>
Aber die Ju&#x0364;nglinge waren die Tapfer&#x017F;ten un&#x017F;eres Volkes,<lb/>
Die ihm folgten; es ging mit die&#x017F;en, als Fu&#x0364;hrer des Schiffes,<lb/>
Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Ge&#x017F;talt war.<lb/>
Aber das wundert mich: ich &#x017F;ah den treflichen Mentor <note place="right">655</note><lb/>
Ge&#x017F;tern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Pu&#x0364;los!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach Noa&#x0364;mon, und ging zum Hau&#x017F;e des Vaters.<lb/>
Aber den beiden wu&#x0364;hlte der Schmerz in der &#x017F;tolzen Seele.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0093] Vierter Geſang. Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithaͤs, und fragte: Iſt es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen, Ob Taͤlemachos bald aus der ſandigen Puͤlos zuruͤckkehrt? Mir gehoͤret das Schiff; und jezo brauch' ich es ſelber, Nach den Anen von Aelis hinuͤber zu fahren. Es weiden Dort zwoͤlf Stuten fuͤr mich, mit jungen laſtbaren Maͤulern: Davon moͤcht' ich mir eins abholen, und zaͤhmen zur Arbeit. 635 Sprachs; da erſtaunten die Freier, daß er die Reiſe vollendet Zur naͤlaͤiſchen Puͤlos: ſie glaubten, er waͤr' auf dem Lande, Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort: 640 Sage mir ohne Falſch: Wann reiſt' er? Welche Genoßen Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne, Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieſes vollenden! Dann erzaͤhle mir auch aufrichtig, damit ich es wiſſe: Brauchte der Juͤngling Gewalt, dir das ſchwarze Schiff zu entreißen; Oder gabſt du es ihm gutwillig, als er dich anſprach? 645 Aber Fronios Sohn Noaͤmon ſagte dagegen: Selber gab ich es ihm! Wie wuͤrd' ein Anderer handeln, Wenn ihn ein ſolcher Mann, mit ſo bekuͤmmertem Herzen, Baͤte? Es waͤre ja ſchwer, ihm ſeine Bitte zu weigern! Aber die Juͤnglinge waren die Tapferſten unſeres Volkes, Die ihm folgten; es ging mit dieſen, als Fuͤhrer des Schiffes, Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Geſtalt war. Aber das wundert mich: ich ſah den treflichen Mentor Geſtern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Puͤlos! 650 655 Alſo ſprach Noaͤmon, und ging zum Hauſe des Vaters. Aber den beiden wuͤhlte der Schmerz in der ſtolzen Seele.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/93
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/93>, abgerufen am 28.11.2024.