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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.

Dieser Schicksal weiß ich nunmehr. Doch nenne den dritten,
Welchen man noch lebendig im weiten Meere zurückhält,
Oder auch todt. Verschweige mir nicht die traurige Botschaft!

Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte:
Das ist der Sohn Laertäs, der Ithaka's Fluren bewohnet. 55[5]
Ihn sah ich auf der Insel die bittersten Thränen vergießen,
In dem Hause der Nümfe Kalüpso, die mit Gewalt ihn
Hält; und er sehnt sich umsonst nach seiner heimischen Insel:
Denn es gebricht ihm dort an Ruderschiffen und Männern,
Ueber den weiten Rücken des Meeres ihn zu geleiten. 56[0]
Aber dir bestimmt, o Geliebter von Zeus, Menelaos,
Nicht das Schicksal den Tod in der roßenährenden Argos;
Sondern die Götter führen dich einst an die Enden der Erde,
In die elisische Flur, wo der bräunliche Held Radamanthus V. 564.
Wohnt, und ruhiges Leben die Menschen immer beseligt: 56[5]
(Dort ist kein Schnee, kein Winterorkan, kein gießender Regen;
Ewig wehn die Gesäusel des leiseathmenden Westes,
Welche der Ozean sendet, die Menschen sanft zu kühlen:)
Weil du Helena hast, und Zeus als Eidam dich ehret.

Also sprach er, und sprang in des Meeres hochwallende Woge. 5[70]
Aber ich ging zu den Schiffen mit meinen tapfern Genossen,
Schweigend, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als wir jezo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambrosische Nacht kam;
Und wir lagerten uns am rauschenden Ufer des Meeres. 5[75]
Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

V. 564. Elisium dachte man sich damals in der Gegend der kanarischen Inseln
Oduͤßee.

Dieſer Schickſal weiß ich nunmehr. Doch nenne den dritten,
Welchen man noch lebendig im weiten Meere zuruͤckhaͤlt,
Oder auch todt. Verſchweige mir nicht die traurige Botſchaft!

Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte:
Das iſt der Sohn Laertaͤs, der Ithaka's Fluren bewohnet. 55[5]
Ihn ſah ich auf der Inſel die bitterſten Thraͤnen vergießen,
In dem Hauſe der Nuͤmfe Kaluͤpſo, die mit Gewalt ihn
Haͤlt; und er ſehnt ſich umſonſt nach ſeiner heimiſchen Inſel:
Denn es gebricht ihm dort an Ruderſchiffen und Maͤnnern,
Ueber den weiten Ruͤcken des Meeres ihn zu geleiten. 56[0]
Aber dir beſtimmt, o Geliebter von Zeus, Menelaos,
Nicht das Schickſal den Tod in der roßenaͤhrenden Argos;
Sondern die Goͤtter fuͤhren dich einſt an die Enden der Erde,
In die eliſiſche Flur, wo der braͤunliche Held Radamanthus V. 564.
Wohnt, und ruhiges Leben die Menſchen immer beſeligt: 56[5]
(Dort iſt kein Schnee, kein Winterorkan, kein gießender Regen;
Ewig wehn die Geſaͤuſel des leiſeathmenden Weſtes,
Welche der Ozean ſendet, die Menſchen ſanft zu kuͤhlen:)
Weil du Helena haſt, und Zeus als Eidam dich ehret.

Alſo ſprach er, und ſprang in des Meeres hochwallende Woge. 5[70]
Aber ich ging zu den Schiffen mit meinen tapfern Genoſſen,
Schweigend, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Als wir jezo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
Da bereiteten wir das Mahl. Die ambroſiſche Nacht kam;
Und wir lagerten uns am rauſchenden Ufer des Meeres. 5[75]
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,

V. 564. Eliſium dachte man ſich damals in der Gegend der kanariſchen Inſeln
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[84/0090] Oduͤßee. Dieſer Schickſal weiß ich nunmehr. Doch nenne den dritten, Welchen man noch lebendig im weiten Meere zuruͤckhaͤlt, Oder auch todt. Verſchweige mir nicht die traurige Botſchaft! Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: Das iſt der Sohn Laertaͤs, der Ithaka's Fluren bewohnet. Ihn ſah ich auf der Inſel die bitterſten Thraͤnen vergießen, In dem Hauſe der Nuͤmfe Kaluͤpſo, die mit Gewalt ihn Haͤlt; und er ſehnt ſich umſonſt nach ſeiner heimiſchen Inſel: Denn es gebricht ihm dort an Ruderſchiffen und Maͤnnern, Ueber den weiten Ruͤcken des Meeres ihn zu geleiten. Aber dir beſtimmt, o Geliebter von Zeus, Menelaos, Nicht das Schickſal den Tod in der roßenaͤhrenden Argos; Sondern die Goͤtter fuͤhren dich einſt an die Enden der Erde, In die eliſiſche Flur, wo der braͤunliche Held Radamanthus V. 564. Wohnt, und ruhiges Leben die Menſchen immer beſeligt: (Dort iſt kein Schnee, kein Winterorkan, kein gießender Regen; Ewig wehn die Geſaͤuſel des leiſeathmenden Weſtes, Welche der Ozean ſendet, die Menſchen ſanft zu kuͤhlen:) Weil du Helena haſt, und Zeus als Eidam dich ehret. 555 560 565 Alſo ſprach er, und ſprang in des Meeres hochwallende Woge. Aber ich ging zu den Schiffen mit meinen tapfern Genoſſen, Schweigend, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele. Als wir jezo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten, Da bereiteten wir das Mahl. Die ambroſiſche Nacht kam; Und wir lagerten uns am rauſchenden Ufer des Meeres. Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, 570 575 V. 564. Eliſium dachte man ſich damals in der Gegend der kanariſchen Inſeln

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/90>, abgerufen am 28.11.2024.