Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Siehe, du kannst es dir leicht vorstellen, wie es geschehn ist. 255
Hätt' er Aigisthos noch lebendig im Hause gefunden,
Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreidäs:
Niemand hätte den Todten mit lockerer Erde beschüttet;
Sondern ihn hätten die Hund' und die Vögel des Himmels gefressen,
Liegend fern von der Stadt auf wüstem Gefild', und es hätte 260
Keine Achaierin ihn, den Hochverräther! beweinet.
Während wir andern dort viel blutige Schlachten bestanden,
Saß er ruhig im Winkel der roßenährenden Argos,
Und liebkoste dem Weib' Agamemnons mit süßem Geschwäze.
Anfangs hörte sie zwar den argen Verführer mit Abscheu, 265
Klütaimnästra die edle; denn sie war gut und verständig.
Auch war ein Sänger bei ihr, dem Agamemnon besonders,
Als er gen Ilion fuhr, sein Weib zu bewahren vertraute.
Aber da sie die Götter in ihr Verderben bestrickten,
Führt' Aigisthos den Sänger auf eine verwilderte Insel, 270
Wo er ihn zur Beute dem Raubgevögel zurückließ;
Führte dann liebend das liebende Weib zu seinem Palaste;
Opferte Rinder und Schaf' auf der Götter geweihten Altären,
Und behängte die Tempel mit Gold' und feinem Gewebe,
Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet. 275
Jezo segelten wir zugleich von Ilions Küste,
Menelaos und ich, vereint durch innige Freundschaft.
Aber am attischen Ufer, bei Sunions heiliger Spize, V. 278.
Siehe da ward der Pilot des menelaischen Schiffes
Von den sanften Geschossen Apollons plözlich getödtet, 280

V. 278. Sunion, ein Vorgebirge von Attika.

Oduͤßee.
Siehe, du kannſt es dir leicht vorſtellen, wie es geſchehn iſt. 255
Haͤtt' er Aigiſthos noch lebendig im Hauſe gefunden,
Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreidaͤs:
Niemand haͤtte den Todten mit lockerer Erde beſchuͤttet;
Sondern ihn haͤtten die Hund' und die Voͤgel des Himmels gefreſſen,
Liegend fern von der Stadt auf wuͤſtem Gefild', und es haͤtte 260
Keine Achaierin ihn, den Hochverraͤther! beweinet.
Waͤhrend wir andern dort viel blutige Schlachten beſtanden,
Saß er ruhig im Winkel der roßenaͤhrenden Argos,
Und liebkoſte dem Weib' Agamemnons mit ſuͤßem Geſchwaͤze.
Anfangs hoͤrte ſie zwar den argen Verfuͤhrer mit Abſcheu, 265
Kluͤtaimnaͤſtra die edle; denn ſie war gut und verſtaͤndig.
Auch war ein Saͤnger bei ihr, dem Agamemnon beſonders,
Als er gen Ilion fuhr, ſein Weib zu bewahren vertraute.
Aber da ſie die Goͤtter in ihr Verderben beſtrickten,
Fuͤhrt' Aigiſthos den Saͤnger auf eine verwilderte Inſel, 270
Wo er ihn zur Beute dem Raubgevoͤgel zuruͤckließ;
Fuͤhrte dann liebend das liebende Weib zu ſeinem Palaſte;
Opferte Rinder und Schaf' auf der Goͤtter geweihten Altaͤren,
Und behaͤngte die Tempel mit Gold' und feinem Gewebe,
Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet. 275
Jezo ſegelten wir zugleich von Ilions Kuͤſte,
Menelaos und ich, vereint durch innige Freundſchaft.
Aber am attiſchen Ufer, bei Sunions heiliger Spize, V. 278.
Siehe da ward der Pilot des menelaïſchen Schiffes
Von den ſanften Geſchoſſen Apollons ploͤzlich getoͤdtet, 280

V. 278. Sunion, ein Vorgebirge von Attika.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Siehe, du kann&#x017F;t es dir leicht vor&#x017F;tellen, wie es ge&#x017F;chehn i&#x017F;t. <note place="right">255</note><lb/>
Ha&#x0364;tt' er Aigi&#x017F;thos noch lebendig im Hau&#x017F;e gefunden,<lb/>
Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreida&#x0364;s:<lb/>
Niemand ha&#x0364;tte den Todten mit lockerer Erde be&#x017F;chu&#x0364;ttet;<lb/>
Sondern ihn ha&#x0364;tten die Hund' und die Vo&#x0364;gel des Himmels gefre&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
Liegend fern von der Stadt auf wu&#x0364;&#x017F;tem Gefild', und es ha&#x0364;tte <note place="right">260</note><lb/>
Keine Achaierin ihn, den Hochverra&#x0364;ther! beweinet.<lb/>
Wa&#x0364;hrend wir andern dort viel blutige Schlachten be&#x017F;tanden,<lb/>
Saß er ruhig im Winkel der roßena&#x0364;hrenden Argos,<lb/>
Und liebko&#x017F;te dem Weib' Agamemnons mit &#x017F;u&#x0364;ßem Ge&#x017F;chwa&#x0364;ze.<lb/>
Anfangs ho&#x0364;rte &#x017F;ie zwar den argen Verfu&#x0364;hrer mit Ab&#x017F;cheu, <note place="right">265</note><lb/>
Klu&#x0364;taimna&#x0364;&#x017F;tra die edle; denn &#x017F;ie war gut und ver&#x017F;ta&#x0364;ndig.<lb/>
Auch war ein Sa&#x0364;nger bei ihr, dem Agamemnon be&#x017F;onders,<lb/>
Als er gen Ilion fuhr, &#x017F;ein Weib zu bewahren vertraute.<lb/>
Aber da &#x017F;ie die Go&#x0364;tter in ihr Verderben be&#x017F;trickten,<lb/>
Fu&#x0364;hrt' Aigi&#x017F;thos den Sa&#x0364;nger auf eine verwilderte In&#x017F;el, <note place="right">270</note><lb/>
Wo er ihn zur Beute dem Raubgevo&#x0364;gel zuru&#x0364;ckließ;<lb/>
Fu&#x0364;hrte dann liebend das liebende Weib zu &#x017F;einem Pala&#x017F;te;<lb/>
Opferte Rinder und Schaf' auf der Go&#x0364;tter geweihten Alta&#x0364;ren,<lb/>
Und beha&#x0364;ngte die Tempel mit Gold' und feinem Gewebe,<lb/>
Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet. <note place="right">275</note><lb/>
Jezo &#x017F;egelten wir zugleich von Ilions Ku&#x0364;&#x017F;te,<lb/>
Menelaos und ich, vereint durch innige Freund&#x017F;chaft.<lb/>
Aber am atti&#x017F;chen Ufer, bei Sunions heiliger Spize, <note place="foot" n="V. 278.">Sunion, ein Vorgebirge von Attika.</note><lb/>
Siehe da ward der Pilot des menelaï&#x017F;chen Schiffes<lb/>
Von den &#x017F;anften Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en Apollons plo&#x0364;zlich geto&#x0364;dtet, <note place="right">280</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0060] Oduͤßee. Siehe, du kannſt es dir leicht vorſtellen, wie es geſchehn iſt. Haͤtt' er Aigiſthos noch lebendig im Hauſe gefunden, Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreidaͤs: Niemand haͤtte den Todten mit lockerer Erde beſchuͤttet; Sondern ihn haͤtten die Hund' und die Voͤgel des Himmels gefreſſen, Liegend fern von der Stadt auf wuͤſtem Gefild', und es haͤtte Keine Achaierin ihn, den Hochverraͤther! beweinet. Waͤhrend wir andern dort viel blutige Schlachten beſtanden, Saß er ruhig im Winkel der roßenaͤhrenden Argos, Und liebkoſte dem Weib' Agamemnons mit ſuͤßem Geſchwaͤze. Anfangs hoͤrte ſie zwar den argen Verfuͤhrer mit Abſcheu, Kluͤtaimnaͤſtra die edle; denn ſie war gut und verſtaͤndig. Auch war ein Saͤnger bei ihr, dem Agamemnon beſonders, Als er gen Ilion fuhr, ſein Weib zu bewahren vertraute. Aber da ſie die Goͤtter in ihr Verderben beſtrickten, Fuͤhrt' Aigiſthos den Saͤnger auf eine verwilderte Inſel, Wo er ihn zur Beute dem Raubgevoͤgel zuruͤckließ; Fuͤhrte dann liebend das liebende Weib zu ſeinem Palaſte; Opferte Rinder und Schaf' auf der Goͤtter geweihten Altaͤren, Und behaͤngte die Tempel mit Gold' und feinem Gewebe, Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet. Jezo ſegelten wir zugleich von Ilions Kuͤſte, Menelaos und ich, vereint durch innige Freundſchaft. Aber am attiſchen Ufer, bei Sunions heiliger Spize, V. 278. Siehe da ward der Pilot des menelaïſchen Schiffes Von den ſanften Geſchoſſen Apollons ploͤzlich getoͤdtet, 255 260 265 270 275 280 V. 278. Sunion, ein Vorgebirge von Attika.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/60
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/60>, abgerufen am 25.11.2024.