Mastors Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm; Dieser erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und sagte:
Höret mich an, ihr Männer von Ithaka, was ich euch sage! Eurer Trägheit halben, ihr Freund', ist dieses geschehen! Denn ihr gehorchtet mir nicht, noch Mentor dem Hirten der Völker,455 Daß ihr eurer Söhn' unbändige Herzen bezähmtet, Welche mit Unverstand die entsezlichen Gräuel verübten, Da sie die Güter verschwelgten, und selbst die Gemahlin entehrten Jenes treflichen Manns, und wähnten, er kehre nicht wieder. Nun ist dieses mein Rath; gehorcht mir, wie ich euch sage:460 Eilt ihm nicht nach, daß keiner sich selbst das Verderben bereite!
Also sprach er. Da standen die Griechen mit lautem Geschrei auf, Mehr als die Hälfte der Schaar; allein die übrigen blieben, Welche den Rath Halithersäs nicht achteten, sondern Eupeithäs Folgten. Sie eilten darauf zu ihrer ehernen Rüstung.465 Und nachdem sie sich alle mit blinkendem Erze gepanzert, Kamen sie vor der Stadt im weiten Gefilde zusammen. Und sie führte Eupeithäs, der Thörichte! denn er gedachte, Seines Antinoos Tod zu rächen; aber ihm war nicht Heimzukehren bestimmt, sein harrte des Todes Verhängniß.470 Aber Athänä sprach zum Donnerer Zeus Kronion:
Unser Vater Kronion, der herschenden Könige Herscher, Sage mir, welchen Rath du jezo im Herzen verbirgest. Wirst du hinfort verderbenden Krieg und schreckliche Zwietracht Senden? oder beschließest du Freundschaft unter dem Volke?475
Ihr antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion: Warum fragst du mich, Tochter, und forschest meine Gedanken? Hast du nicht selber den Rath in deinem Herzen ersonnen.
Oduͤßee.
Maſtors Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm; Dieſer erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und ſagte:
Hoͤret mich an, ihr Maͤnner von Ithaka, was ich euch ſage! Eurer Traͤgheit halben, ihr Freund', iſt dieſes geſchehen! Denn ihr gehorchtet mir nicht, noch Mentor dem Hirten der Voͤlker,455 Daß ihr eurer Soͤhn' unbaͤndige Herzen bezaͤhmtet, Welche mit Unverſtand die entſezlichen Graͤuel veruͤbten, Da ſie die Guͤter verſchwelgten, und ſelbſt die Gemahlin entehrten Jenes treflichen Manns, und waͤhnten, er kehre nicht wieder. Nun iſt dieſes mein Rath; gehorcht mir, wie ich euch ſage:460 Eilt ihm nicht nach, daß keiner ſich ſelbſt das Verderben bereite!
Alſo ſprach er. Da ſtanden die Griechen mit lautem Geſchrei auf, Mehr als die Haͤlfte der Schaar; allein die uͤbrigen blieben, Welche den Rath Halitherſaͤs nicht achteten, ſondern Eupeithaͤs Folgten. Sie eilten darauf zu ihrer ehernen Ruͤſtung.465 Und nachdem ſie ſich alle mit blinkendem Erze gepanzert, Kamen ſie vor der Stadt im weiten Gefilde zuſammen. Und ſie fuͤhrte Eupeithaͤs, der Thoͤrichte! denn er gedachte, Seines Antinoos Tod zu raͤchen; aber ihm war nicht Heimzukehren beſtimmt, ſein harrte des Todes Verhaͤngniß.470 Aber Athaͤnaͤ ſprach zum Donnerer Zeus Kronion:
Unſer Vater Kronion, der herſchenden Koͤnige Herſcher, Sage mir, welchen Rath du jezo im Herzen verbirgeſt. Wirſt du hinfort verderbenden Krieg und ſchreckliche Zwietracht Senden? oder beſchließeſt du Freundſchaft unter dem Volke?475
Ihr antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion: Warum fragſt du mich, Tochter, und forſcheſt meine Gedanken? Haſt du nicht ſelber den Rath in deinem Herzen erſonnen.
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Oduͤßee.
Maſtors Sohn, der allein Zukunft und Vergangenes wahrnahm;
Dieſer erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und ſagte:
Hoͤret mich an, ihr Maͤnner von Ithaka, was ich euch ſage!
Eurer Traͤgheit halben, ihr Freund', iſt dieſes geſchehen!
Denn ihr gehorchtet mir nicht, noch Mentor dem Hirten der Voͤlker,
Daß ihr eurer Soͤhn' unbaͤndige Herzen bezaͤhmtet,
Welche mit Unverſtand die entſezlichen Graͤuel veruͤbten,
Da ſie die Guͤter verſchwelgten, und ſelbſt die Gemahlin entehrten
Jenes treflichen Manns, und waͤhnten, er kehre nicht wieder.
Nun iſt dieſes mein Rath; gehorcht mir, wie ich euch ſage:
Eilt ihm nicht nach, daß keiner ſich ſelbſt das Verderben bereite!
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Alſo ſprach er. Da ſtanden die Griechen mit lautem Geſchrei auf,
Mehr als die Haͤlfte der Schaar; allein die uͤbrigen blieben,
Welche den Rath Halitherſaͤs nicht achteten, ſondern Eupeithaͤs
Folgten. Sie eilten darauf zu ihrer ehernen Ruͤſtung.
Und nachdem ſie ſich alle mit blinkendem Erze gepanzert,
Kamen ſie vor der Stadt im weiten Gefilde zuſammen.
Und ſie fuͤhrte Eupeithaͤs, der Thoͤrichte! denn er gedachte,
Seines Antinoos Tod zu raͤchen; aber ihm war nicht
Heimzukehren beſtimmt, ſein harrte des Todes Verhaͤngniß.
Aber Athaͤnaͤ ſprach zum Donnerer Zeus Kronion:
465
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Unſer Vater Kronion, der herſchenden Koͤnige Herſcher,
Sage mir, welchen Rath du jezo im Herzen verbirgeſt.
Wirſt du hinfort verderbenden Krieg und ſchreckliche Zwietracht
Senden? oder beſchließeſt du Freundſchaft unter dem Volke?
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Ihr antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion:
Warum fragſt du mich, Tochter, und forſcheſt meine Gedanken?
Haſt du nicht ſelber den Rath in deinem Herzen erſonnen.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/472>, abgerufen am 24.11.2024.
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