Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierundzwanzigster Gesang.
Schuf ihn höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung.
Und er stieg aus dem Bade. Mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
Wie er gleich an Gestalt den unsterblichen Göttern einherging. 370
Und er redet' ihn an, und sprach die geflügelten Worte:

Wahrlich, o Vater, es hat ein unsterblicher Gott des Olümpos
Deine Gestalt erhöht, und deine Bildung verschönert!

Und der verständige Greis Laertäs sagte dagegen:
Wollte doch Vater Zeus, Athänä und Föbos Apollon, 375
Daß ich so, wie ich einst, am Vorgebirge der Veste,
Närikos Mauren erstieg, die Kefallänier führend;
Daß ich in jener Gestalt dir gestern in unserm Palaste,
Um die Schultern gepanzert, zur Seite hätte gestritten
Gegen der Freier Schaar! Dann hätt' ich ihrer wohl manchen 380
Hingestreckt in den Saal, und dein Herz im Busen erfreuet!

Also besprachen diese sich jezo unter einander.
Aber da jene das Mahl in Eile hatten bereitet,
Sezten sie sich nach der Reih auf prächtige Seßel und Throne,
Und erhoben die Hände zum Eßen. Siehe da nahte 385
Dolios sich, der Greis, und Dolios Söhne: sie kamen
Müde vom Felde zurück; denn die Mutter hatte sie selber
Heimgeholt, die alte Sikelerin, die sie erzogen,
Und sorgfältig des Greises in seinem Alter sich annahm.
Diese, sobald sie Odüßeus sahn und im Herzen erkannten, 390
Standen still an der Schwell', und stauneten. Aber Odüßeus
Wandte sich gegen den Greis mit diesen freundlichen Worten:

Seze dich, Alter, zu Tisch, und sehet mich nicht so erstaunt an;
Denn wir haben schon lange, begierig der Speise zu kosten,
Hier im Saale geharrt, und euch beständig erwartet. 395

Vierundzwanzigſter Geſang.
Schuf ihn hoͤher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung.
Und er ſtieg aus dem Bade. Mit Staunen erblickte der Sohn ihn,
Wie er gleich an Geſtalt den unſterblichen Goͤttern einherging. 370
Und er redet' ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:

Wahrlich, o Vater, es hat ein unſterblicher Gott des Oluͤmpos
Deine Geſtalt erhoͤht, und deine Bildung verſchoͤnert!

Und der verſtaͤndige Greis Laertaͤs ſagte dagegen:
Wollte doch Vater Zeus, Athaͤnaͤ und Foͤbos Apollon, 375
Daß ich ſo, wie ich einſt, am Vorgebirge der Veſte,
Naͤrikos Mauren erſtieg, die Kefallaͤnier fuͤhrend;
Daß ich in jener Geſtalt dir geſtern in unſerm Palaſte,
Um die Schultern gepanzert, zur Seite haͤtte geſtritten
Gegen der Freier Schaar! Dann haͤtt' ich ihrer wohl manchen 380
Hingeſtreckt in den Saal, und dein Herz im Buſen erfreuet!

Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander.
Aber da jene das Mahl in Eile hatten bereitet,
Sezten ſie ſich nach der Reih auf praͤchtige Seßel und Throne,
Und erhoben die Haͤnde zum Eßen. Siehe da nahte 385
Dolios ſich, der Greis, und Dolios Soͤhne: ſie kamen
Muͤde vom Felde zuruͤck; denn die Mutter hatte ſie ſelber
Heimgeholt, die alte Sikelerin, die ſie erzogen,
Und ſorgfaͤltig des Greiſes in ſeinem Alter ſich annahm.
Dieſe, ſobald ſie Oduͤßeus ſahn und im Herzen erkannten, 390
Standen ſtill an der Schwell', und ſtauneten. Aber Oduͤßeus
Wandte ſich gegen den Greis mit dieſen freundlichen Worten:

Seze dich, Alter, zu Tiſch, und ſehet mich nicht ſo erſtaunt an;
Denn wir haben ſchon lange, begierig der Speiſe zu koſten,
Hier im Saale geharrt, und euch beſtaͤndig erwartet. 395

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0469" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vierundzwanzig&#x017F;ter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Schuf ihn ho&#x0364;her an Wuchs, und jugendlicher an Bildung.<lb/>
Und er &#x017F;tieg aus dem Bade. Mit Staunen erblickte der Sohn ihn,<lb/>
Wie er gleich an Ge&#x017F;talt den un&#x017F;terblichen Go&#x0364;ttern einherging. <note place="right">370</note><lb/>
Und er redet' ihn an, und &#x017F;prach die geflu&#x0364;gelten Worte:</p><lb/>
        <p>Wahrlich, o Vater, es hat ein un&#x017F;terblicher Gott des Olu&#x0364;mpos<lb/>
Deine Ge&#x017F;talt erho&#x0364;ht, und deine Bildung ver&#x017F;cho&#x0364;nert!</p><lb/>
        <p>Und der ver&#x017F;ta&#x0364;ndige Greis Laerta&#x0364;s &#x017F;agte dagegen:<lb/>
Wollte doch Vater Zeus, Atha&#x0364;na&#x0364; und Fo&#x0364;bos Apollon, <note place="right">375</note><lb/>
Daß ich &#x017F;o, wie ich ein&#x017F;t, am Vorgebirge der Ve&#x017F;te,<lb/>
Na&#x0364;rikos Mauren er&#x017F;tieg, die Kefalla&#x0364;nier fu&#x0364;hrend;<lb/>
Daß ich in jener Ge&#x017F;talt dir ge&#x017F;tern in un&#x017F;erm Pala&#x017F;te,<lb/>
Um die Schultern gepanzert, zur Seite ha&#x0364;tte ge&#x017F;tritten<lb/>
Gegen der Freier Schaar! Dann ha&#x0364;tt' ich ihrer wohl manchen <note place="right">380</note><lb/>
Hinge&#x017F;treckt in den Saal, und dein Herz im Bu&#x017F;en erfreuet!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o be&#x017F;prachen die&#x017F;e &#x017F;ich jezo unter einander.<lb/>
Aber da jene das Mahl in Eile hatten bereitet,<lb/>
Sezten &#x017F;ie &#x017F;ich nach der Reih auf pra&#x0364;chtige Seßel und Throne,<lb/>
Und erhoben die Ha&#x0364;nde zum Eßen. Siehe da nahte <note place="right">385</note><lb/>
Dolios &#x017F;ich, der Greis, und Dolios So&#x0364;hne: &#x017F;ie kamen<lb/>
Mu&#x0364;de vom Felde zuru&#x0364;ck; denn die Mutter hatte &#x017F;ie &#x017F;elber<lb/>
Heimgeholt, die alte Sikelerin, die &#x017F;ie erzogen,<lb/>
Und &#x017F;orgfa&#x0364;ltig des Grei&#x017F;es in &#x017F;einem Alter &#x017F;ich annahm.<lb/>
Die&#x017F;e, &#x017F;obald &#x017F;ie Odu&#x0364;ßeus &#x017F;ahn und im Herzen erkannten, <note place="right">390</note><lb/>
Standen &#x017F;till an der Schwell', und &#x017F;tauneten. Aber Odu&#x0364;ßeus<lb/>
Wandte &#x017F;ich gegen den Greis mit die&#x017F;en freundlichen Worten:</p><lb/>
        <p>Seze dich, Alter, zu Ti&#x017F;ch, und &#x017F;ehet mich nicht &#x017F;o er&#x017F;taunt an;<lb/>
Denn wir haben &#x017F;chon lange, begierig der Spei&#x017F;e zu ko&#x017F;ten,<lb/>
Hier im Saale geharrt, und euch be&#x017F;ta&#x0364;ndig erwartet. <note place="right">395</note></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0469] Vierundzwanzigſter Geſang. Schuf ihn hoͤher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung. Und er ſtieg aus dem Bade. Mit Staunen erblickte der Sohn ihn, Wie er gleich an Geſtalt den unſterblichen Goͤttern einherging. Und er redet' ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: 370 Wahrlich, o Vater, es hat ein unſterblicher Gott des Oluͤmpos Deine Geſtalt erhoͤht, und deine Bildung verſchoͤnert! Und der verſtaͤndige Greis Laertaͤs ſagte dagegen: Wollte doch Vater Zeus, Athaͤnaͤ und Foͤbos Apollon, Daß ich ſo, wie ich einſt, am Vorgebirge der Veſte, Naͤrikos Mauren erſtieg, die Kefallaͤnier fuͤhrend; Daß ich in jener Geſtalt dir geſtern in unſerm Palaſte, Um die Schultern gepanzert, zur Seite haͤtte geſtritten Gegen der Freier Schaar! Dann haͤtt' ich ihrer wohl manchen Hingeſtreckt in den Saal, und dein Herz im Buſen erfreuet! 375 380 Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander. Aber da jene das Mahl in Eile hatten bereitet, Sezten ſie ſich nach der Reih auf praͤchtige Seßel und Throne, Und erhoben die Haͤnde zum Eßen. Siehe da nahte Dolios ſich, der Greis, und Dolios Soͤhne: ſie kamen Muͤde vom Felde zuruͤck; denn die Mutter hatte ſie ſelber Heimgeholt, die alte Sikelerin, die ſie erzogen, Und ſorgfaͤltig des Greiſes in ſeinem Alter ſich annahm. Dieſe, ſobald ſie Oduͤßeus ſahn und im Herzen erkannten, Standen ſtill an der Schwell', und ſtauneten. Aber Oduͤßeus Wandte ſich gegen den Greis mit dieſen freundlichen Worten: 385 390 Seze dich, Alter, zu Tiſch, und ſehet mich nicht ſo erſtaunt an; Denn wir haben ſchon lange, begierig der Speiſe zu koſten, Hier im Saale geharrt, und euch beſtaͤndig erwartet. 395

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/469
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/469>, abgerufen am 24.11.2024.