Den ich in Ithaka habe: ob dieser noch lebt und gesund ist; Oder ob er schon starb, und zu den Schatten hinabfuhr. Denn ich sage dir an; merk auf, und höre die Worte! Einen Mann hab' ich einst im Vaterlande bewirtet, 265 Welcher mein Haus besuchte; so viel' ich auch Fremde beherbergt, Ist kein wehrterer Gast in meine Wohnung gekommen! Dieser sagte, er stammt' aus Ithaka's felsichtem Eiland, Und Arkeisios Sohn Laertäs wäre sein Vater. Und ich führte den wehrten Gast in unsere Wohnung. 270 Freundlich bewirtet' ich ihn von des Hauses reichlichem Vorrat, Und verehrt' ihm Geschenke zum Denkmal unserer Freundschaft: Schenkt' ihm sieben Talente des künstlichgebildeten Goldes; Einen silbernen Kelch mit schönerhobenen Blumen; Feiner Teppiche zwölf, und zwölf der einfachen Mäntel; 275 Zwölf Leibröcke dazu, mit prächtigen Purpurgewanden; Ueber dieses schenkt' ich ihm vier untadliche Jungfraun, Kunstverständig und schön, die er sich selber gewählet.
Ihm antwortete drauf sein Vater, Thränen vergießend: Fremdling, du bist gewiß in dem Lande, nach welchem du fragest! 280 Aber hier wohnen freche und übermütige Männer! Und vergeblich hast du die vielen Geschenke verschwendet! Hättest du ihn lebendig in Ithaka's Volke gefunden, Dann entließ' er gewiß dich reichlich wiederbeschenket Und anständig bewirtet; denn Pflicht ist des Guten Vergeltung. 285 Aber verkündige mir, und sage die lautere Warheit. Wie viel Jahre sind es, seitdem dich jener besuchte? Dein unglücklicher Freund, mein Sohn, so lang' ich ihn hatte! Armer Sohn, den fern von der Heimat und seinen Geliebten
Vierundzwanzigſter Geſang.
Den ich in Ithaka habe: ob dieſer noch lebt und geſund iſt; Oder ob er ſchon ſtarb, und zu den Schatten hinabfuhr. Denn ich ſage dir an; merk auf, und hoͤre die Worte! Einen Mann hab' ich einſt im Vaterlande bewirtet, 265 Welcher mein Hauſ beſuchte; ſo viel' ich auch Fremde beherbergt, Iſt kein wehrterer Gaſt in meine Wohnung gekommen! Dieſer ſagte, er ſtammt' aus Ithaka's felſichtem Eiland, Und Arkeiſios Sohn Laertaͤs waͤre ſein Vater. Und ich fuͤhrte den wehrten Gaſt in unſere Wohnung. 270 Freundlich bewirtet' ich ihn von des Hauſes reichlichem Vorrat, Und verehrt' ihm Geſchenke zum Denkmal unſerer Freundſchaft: Schenkt' ihm ſieben Talente des kuͤnſtlichgebildeten Goldes; Einen ſilbernen Kelch mit ſchoͤnerhobenen Blumen; Feiner Teppiche zwoͤlf, und zwoͤlf der einfachen Maͤntel; 275 Zwoͤlf Leibroͤcke dazu, mit praͤchtigen Purpurgewanden; Ueber dieſes ſchenkt' ich ihm vier untadliche Jungfraun, Kunſtverſtaͤndig und ſchoͤn, die er ſich ſelber gewaͤhlet.
Ihm antwortete drauf ſein Vater, Thraͤnen vergießend: Fremdling, du biſt gewiß in dem Lande, nach welchem du frageſt! 280 Aber hier wohnen freche und uͤbermuͤtige Maͤnner! Und vergeblich haſt du die vielen Geſchenke verſchwendet! Haͤtteſt du ihn lebendig in Ithaka's Volke gefunden, Dann entließ' er gewiß dich reichlich wiederbeſchenket Und anſtaͤndig bewirtet; denn Pflicht iſt des Guten Vergeltung. 285 Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Warheit. Wie viel Jahre ſind es, ſeitdem dich jener beſuchte? Dein ungluͤcklicher Freund, mein Sohn, ſo lang' ich ihn hatte! Armer Sohn, den fern von der Heimat und ſeinen Geliebten
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Vierundzwanzigſter Geſang.
Den ich in Ithaka habe: ob dieſer noch lebt und geſund iſt;
Oder ob er ſchon ſtarb, und zu den Schatten hinabfuhr.
Denn ich ſage dir an; merk auf, und hoͤre die Worte!
Einen Mann hab' ich einſt im Vaterlande bewirtet,
Welcher mein Hauſ beſuchte; ſo viel' ich auch Fremde beherbergt,
Iſt kein wehrterer Gaſt in meine Wohnung gekommen!
Dieſer ſagte, er ſtammt' aus Ithaka's felſichtem Eiland,
Und Arkeiſios Sohn Laertaͤs waͤre ſein Vater.
Und ich fuͤhrte den wehrten Gaſt in unſere Wohnung.
Freundlich bewirtet' ich ihn von des Hauſes reichlichem Vorrat,
Und verehrt' ihm Geſchenke zum Denkmal unſerer Freundſchaft:
Schenkt' ihm ſieben Talente des kuͤnſtlichgebildeten Goldes;
Einen ſilbernen Kelch mit ſchoͤnerhobenen Blumen;
Feiner Teppiche zwoͤlf, und zwoͤlf der einfachen Maͤntel;
Zwoͤlf Leibroͤcke dazu, mit praͤchtigen Purpurgewanden;
Ueber dieſes ſchenkt' ich ihm vier untadliche Jungfraun,
Kunſtverſtaͤndig und ſchoͤn, die er ſich ſelber gewaͤhlet.
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Ihm antwortete drauf ſein Vater, Thraͤnen vergießend:
Fremdling, du biſt gewiß in dem Lande, nach welchem du frageſt!
Aber hier wohnen freche und uͤbermuͤtige Maͤnner!
Und vergeblich haſt du die vielen Geſchenke verſchwendet!
Haͤtteſt du ihn lebendig in Ithaka's Volke gefunden,
Dann entließ' er gewiß dich reichlich wiederbeſchenket
Und anſtaͤndig bewirtet; denn Pflicht iſt des Guten Vergeltung.
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Warheit.
Wie viel Jahre ſind es, ſeitdem dich jener beſuchte?
Dein ungluͤcklicher Freund, mein Sohn, ſo lang' ich ihn hatte!
Armer Sohn, den fern von der Heimat und ſeinen Geliebten
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/465>, abgerufen am 22.07.2024.
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