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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Einundzwanzigster Gesang.
Daß sie dem weisen Odüßeus verstateten wiederzukehren.
Und nachdem Odüßeus die Treue der Hirten geprüfet; 205
Da antwortet' er ihnen, und sprach die freundlichen Worte:

Nun ich selber bin hier! Nach vielen Todesgefahren
Bin ich im zwanzigsten Jahre zur Heimat wiedergekehret!
Und ich erkenne, wie sehr ihr beiden meine Zurückkunft
Wünschtet, ihr allein von den Knechten! Denn keinen der andern 210
Hört' ich flehn, daß ein Gott mir heimzukehren vergönnte!
Drum vernehmet auch ihr, was euch zum Lohne bestimmt ist:
Wenn mir Gott die Vertilgung der stolzen Freier gewähret;
Dann will ich jedem ein Weib und Güter zum Eigenthum geben,
Jedem nahe bei mir ein Haus erbauen, und künftig 215
Beide wie Freund' und Brüder von meinem Tälemachos achten,
Aber daß ihr mir glaubt, und mich für Odüßeus erkennet;
Kommt und betrachtet hier ein entscheidendes Zeichen, die Narbe,
Die ein Eber mir einst mit weißem Zahne gehauen,
Als ich auf dem Parnaß mit den Söhnen Autolükos jagte. 220

Also sprach er, und zog von der großen Narbe die Lumpen.
Aber da jene sie sahn, und alles deutlich erkannten;
Weinten sie, schlangen die Händ' um den edlen Helden Odüßeus,
Hießen ihn froh willkommen, und küßten ihm Schultern und Antliz.
Auch Odüßeus küßte den Hirten Antliz und Hände. 225
Ueber der Klage wäre die Sonne niedergesunken,
Hätt' Odüßeus sie nicht mit diesen Worten geendet:

Hemmt anizo die Thränen und euren Jammer: daß niemand
Von den Leuten im Haus' uns seh und drinnen verrathe.
Geht nun einzeln wieder hinein, nicht alle mit Einmal: 230
Ich zuerst, dann ihr! Die Abred' aber sei diese:

Einundzwanzigſter Geſang.
Daß ſie dem weiſen Oduͤßeus verſtateten wiederzukehren.
Und nachdem Oduͤßeus die Treue der Hirten gepruͤfet; 205
Da antwortet' er ihnen, und ſprach die freundlichen Worte:

Nun ich ſelber bin hier! Nach vielen Todesgefahren
Bin ich im zwanzigſten Jahre zur Heimat wiedergekehret!
Und ich erkenne, wie ſehr ihr beiden meine Zuruͤckkunft
Wuͤnſchtet, ihr allein von den Knechten! Denn keinen der andern 210
Hoͤrt' ich flehn, daß ein Gott mir heimzukehren vergoͤnnte!
Drum vernehmet auch ihr, was euch zum Lohne beſtimmt iſt:
Wenn mir Gott die Vertilgung der ſtolzen Freier gewaͤhret;
Dann will ich jedem ein Weib und Guͤter zum Eigenthum geben,
Jedem nahe bei mir ein Haus erbauen, und kuͤnftig 215
Beide wie Freund' und Bruͤder von meinem Taͤlemachos achten,
Aber daß ihr mir glaubt, und mich fuͤr Oduͤßeus erkennet;
Kommt und betrachtet hier ein entſcheidendes Zeichen, die Narbe,
Die ein Eber mir einſt mit weißem Zahne gehauen,
Als ich auf dem Parnaß mit den Soͤhnen Autoluͤkos jagte. 220

Alſo ſprach er, und zog von der großen Narbe die Lumpen.
Aber da jene ſie ſahn, und alles deutlich erkannten;
Weinten ſie, ſchlangen die Haͤnd' um den edlen Helden Oduͤßeus,
Hießen ihn froh willkommen, und kuͤßten ihm Schultern und Antliz.
Auch Oduͤßeus kuͤßte den Hirten Antliz und Haͤnde. 225
Ueber der Klage waͤre die Sonne niedergeſunken,
Haͤtt' Oduͤßeus ſie nicht mit dieſen Worten geendet:

Hemmt anizo die Thraͤnen und euren Jammer: daß niemand
Von den Leuten im Hauſ' uns ſeh und drinnen verrathe.
Geht nun einzeln wieder hinein, nicht alle mit Einmal: 230
Ich zuerſt, dann ihr! Die Abred' aber ſei dieſe:

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[407/0413] Einundzwanzigſter Geſang. Daß ſie dem weiſen Oduͤßeus verſtateten wiederzukehren. Und nachdem Oduͤßeus die Treue der Hirten gepruͤfet; Da antwortet' er ihnen, und ſprach die freundlichen Worte: 205 Nun ich ſelber bin hier! Nach vielen Todesgefahren Bin ich im zwanzigſten Jahre zur Heimat wiedergekehret! Und ich erkenne, wie ſehr ihr beiden meine Zuruͤckkunft Wuͤnſchtet, ihr allein von den Knechten! Denn keinen der andern Hoͤrt' ich flehn, daß ein Gott mir heimzukehren vergoͤnnte! Drum vernehmet auch ihr, was euch zum Lohne beſtimmt iſt: Wenn mir Gott die Vertilgung der ſtolzen Freier gewaͤhret; Dann will ich jedem ein Weib und Guͤter zum Eigenthum geben, Jedem nahe bei mir ein Haus erbauen, und kuͤnftig Beide wie Freund' und Bruͤder von meinem Taͤlemachos achten, Aber daß ihr mir glaubt, und mich fuͤr Oduͤßeus erkennet; Kommt und betrachtet hier ein entſcheidendes Zeichen, die Narbe, Die ein Eber mir einſt mit weißem Zahne gehauen, Als ich auf dem Parnaß mit den Soͤhnen Autoluͤkos jagte. 210 215 220 Alſo ſprach er, und zog von der großen Narbe die Lumpen. Aber da jene ſie ſahn, und alles deutlich erkannten; Weinten ſie, ſchlangen die Haͤnd' um den edlen Helden Oduͤßeus, Hießen ihn froh willkommen, und kuͤßten ihm Schultern und Antliz. Auch Oduͤßeus kuͤßte den Hirten Antliz und Haͤnde. Ueber der Klage waͤre die Sonne niedergeſunken, Haͤtt' Oduͤßeus ſie nicht mit dieſen Worten geendet: 225 Hemmt anizo die Thraͤnen und euren Jammer: daß niemand Von den Leuten im Hauſ' uns ſeh und drinnen verrathe. Geht nun einzeln wieder hinein, nicht alle mit Einmal: Ich zuerſt, dann ihr! Die Abred' aber ſei dieſe: 230

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/413>, abgerufen am 22.11.2024.