Aus der Höhle befreite, wo dir dein Tod schon bestimmt war.
Also strafte der Edle sein Herz im wallenden Busen; Und sein empörtes Herz ermannte sich schnell, und harrte Standhaft aus. Allein er wandte sich hiehin und dorthin. Also wendet der Pflüger am großen brennenden Feuer 25 Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet, Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu sehen: Also wandte der Held sich hin und wieder, bekümmert, Wie er den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern begönne, Er allein mit so vielen. Da schwebete Pallas Athänä 30 Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung, Neigte sich über sein Haupt, und sprach mit freundlicher Stimme:
Warum wachst du doch, unglücklichster aller die leben? Dieses ist ja dein Haus, und drinnen ist deine Gemahlin, Und ein Sohn, so treflich ihn irgend ein Vater sich wünschet! 35
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: Dieses alles ist wahr, o Göttin, was du geredet. Aber eines ist, was meine Seele bekümmert: Wie ich den schrecklichen Kampf mit den schamlosen Freiern beginne, Ich allein mit so vielen, die hier sich täglich versammeln. 40 Und noch ein Größeres ist, was meine Seele bekümmert: Wann ich jene mit Zeus und deinem Willen ermorde, Wo entflieh ich alsdann? Dies überlege nun selber.
Drauf antwortete Zeus blauäugichte Tochter Athänä: O Kleinmütiger, traut man doch einem geringeren Freunde, 45 Welcher nur sterblich ist und eingeschränktes Verstandes; Und der Unsterblichen eine bin ich, die deiner beständig
B b
Oduͤßee. Zwanzigſter Geſang.
Aus der Hoͤhle befreite, wo dir dein Tod ſchon beſtimmt war.
Alſo ſtrafte der Edle ſein Herz im wallenden Buſen; Und ſein empoͤrtes Herz ermannte ſich ſchnell, und harrte Standhaft aus. Allein er wandte ſich hiehin und dorthin. Alſo wendet der Pfluͤger am großen brennenden Feuer 25 Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefuͤllet, Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu ſehen: Alſo wandte der Held ſich hin und wieder, bekuͤmmert, Wie er den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern begoͤnne, Er allein mit ſo vielen. Da ſchwebete Pallas Athaͤnaͤ 30 Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung, Neigte ſich uͤber ſein Haupt, und ſprach mit freundlicher Stimme:
Warum wachſt du doch, ungluͤcklichſter aller die leben? Dieſes iſt ja dein Haus, und drinnen iſt deine Gemahlin, Und ein Sohn, ſo treflich ihn irgend ein Vater ſich wuͤnſchet! 35
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Dieſes alles iſt wahr, o Goͤttin, was du geredet. Aber eines iſt, was meine Seele bekuͤmmert: Wie ich den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern beginne, Ich allein mit ſo vielen, die hier ſich taͤglich verſammeln. 40 Und noch ein Groͤßeres iſt, was meine Seele bekuͤmmert: Wann ich jene mit Zeus und deinem Willen ermorde, Wo entflieh ich alsdann? Dies uͤberlege nun ſelber.
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: O Kleinmuͤtiger, traut man doch einem geringeren Freunde, 45 Welcher nur ſterblich iſt und eingeſchraͤnktes Verſtandes; Und der Unſterblichen eine bin ich, die deiner beſtaͤndig
B b
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0391"n="385"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Oduͤßee. Zwanzigſter Geſang.</hi></fw><lb/>
Aus der Hoͤhle befreite, wo dir dein Tod ſchon beſtimmt war.</p><lb/><p>Alſo ſtrafte der Edle ſein Herz im wallenden Buſen;<lb/>
Und ſein empoͤrtes Herz ermannte ſich ſchnell, und harrte<lb/>
Standhaft aus. Allein er wandte ſich hiehin und dorthin.<lb/>
Alſo wendet der Pfluͤger am großen brennenden Feuer <noteplace="right">25</note><lb/>
Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefuͤllet,<lb/>
Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu ſehen:<lb/>
Alſo wandte der Held ſich hin und wieder, bekuͤmmert,<lb/>
Wie er den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern begoͤnne,<lb/>
Er allein mit ſo vielen. Da ſchwebete Pallas Athaͤnaͤ<noteplace="right">30</note><lb/>
Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung,<lb/>
Neigte ſich uͤber ſein Haupt, und ſprach mit freundlicher Stimme:</p><lb/><p>Warum wachſt du doch, ungluͤcklichſter aller die leben?<lb/>
Dieſes iſt ja dein Haus, und drinnen iſt deine Gemahlin,<lb/>
Und ein Sohn, ſo treflich ihn irgend ein Vater ſich wuͤnſchet! <noteplace="right">35</note></p><lb/><p>Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:<lb/>
Dieſes alles iſt wahr, o Goͤttin, was du geredet.<lb/>
Aber eines iſt, was meine Seele bekuͤmmert:<lb/>
Wie ich den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern beginne,<lb/>
Ich allein mit ſo vielen, die hier ſich taͤglich verſammeln. <noteplace="right">40</note><lb/>
Und noch ein Groͤßeres iſt, was meine Seele bekuͤmmert:<lb/>
Wann ich jene mit Zeus und deinem Willen ermorde,<lb/>
Wo entflieh ich alsdann? Dies uͤberlege nun ſelber.</p><lb/><p>Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:<lb/>
O Kleinmuͤtiger, traut man doch einem geringeren Freunde, <noteplace="right">45</note><lb/>
Welcher nur ſterblich iſt und eingeſchraͤnktes Verſtandes;<lb/>
Und der Unſterblichen eine bin ich, die deiner beſtaͤndig<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B b</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[385/0391]
Oduͤßee. Zwanzigſter Geſang.
Aus der Hoͤhle befreite, wo dir dein Tod ſchon beſtimmt war.
Alſo ſtrafte der Edle ſein Herz im wallenden Buſen;
Und ſein empoͤrtes Herz ermannte ſich ſchnell, und harrte
Standhaft aus. Allein er wandte ſich hiehin und dorthin.
Alſo wendet der Pfluͤger am großen brennenden Feuer
Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefuͤllet,
Hin und her, und erwartet es kaum, ihn gebraten zu ſehen:
Alſo wandte der Held ſich hin und wieder, bekuͤmmert,
Wie er den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern begoͤnne,
Er allein mit ſo vielen. Da ſchwebete Pallas Athaͤnaͤ
Hoch vom Himmel herab, und kam in weiblicher Bildung,
Neigte ſich uͤber ſein Haupt, und ſprach mit freundlicher Stimme:
25
30
Warum wachſt du doch, ungluͤcklichſter aller die leben?
Dieſes iſt ja dein Haus, und drinnen iſt deine Gemahlin,
Und ein Sohn, ſo treflich ihn irgend ein Vater ſich wuͤnſchet!
35
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Dieſes alles iſt wahr, o Goͤttin, was du geredet.
Aber eines iſt, was meine Seele bekuͤmmert:
Wie ich den ſchrecklichen Kampf mit den ſchamloſen Freiern beginne,
Ich allein mit ſo vielen, die hier ſich taͤglich verſammeln.
Und noch ein Groͤßeres iſt, was meine Seele bekuͤmmert:
Wann ich jene mit Zeus und deinem Willen ermorde,
Wo entflieh ich alsdann? Dies uͤberlege nun ſelber.
40
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:
O Kleinmuͤtiger, traut man doch einem geringeren Freunde,
Welcher nur ſterblich iſt und eingeſchraͤnktes Verſtandes;
Und der Unſterblichen eine bin ich, die deiner beſtaͤndig
45
B b
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/391>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.